Südafrika: Die Gewerkschaften bekommen jetzt die Quittung

Nr. 6 –

Die südafrikanischen Bergbaugewerkschaften setzen sich kaum für ihre Mitglieder ein und verlieren so ihr Vertrauen. Neue Gewerkschaften springen in die Lücken. Sie sind linker und radikaler.

Die südafrikanischen Gewerkschaften sind zerstritten. Einerseits kämpfen sie untereinander um Macht und Anerkennung. Andererseits steht der wichtigste südafrikanische Gewerkschaftsbund (Cosatu) wegen seiner Allianz mit der Regierungspartei, dem African National Congress (ANC), und der Kommunistischen Partei seit längerem in der Kritik. Diese sogenannte Tripartite Allianz besteht seit den ersten freien Wahlen 1994 und wird von vielen MinenarbeiterInnen als verhängnisvoll wahrgenommen. Sie werfen dem Cosatu und mit ihm sympathisierenden Gewerkschaften vor, sie würden sich nicht für die Mineure einsetzen und handelten stattdessen im Sinn der Regierung und der internationalen Bergbaukonzerne. Auch die zwanzig für führende Mitglieder des Cosatu reservierten Sitze im Parlament würden nicht für die Anliegen der ArbeiterInnen genutzt.

Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Streit innerhalb des Gewerkschaftsbunds letztes Jahr. Die Metallarbeitergewerkschaft (Numsa), die mit 350 000 Mitgliedern grösste Gewerkschaft Südafrikas, forderte eine Überprüfung der Politik des Cosatu sowie den Abbruch aller Beziehungen zum ANC. Damit stiess die Numsa der Regierungspartei freundlich gesinnte Mitgliedsgewerkschaften vor den Kopf – und wurde deshalb im November aus dem Cosatu ausgeschlossen.

Vertrauen verloren

An der Basis spielt sich die Krise derweilen in den Minen und den angrenzenden Siedlungen ab. Dort kämpfen die ArbeiterInnen seit längerem in eigener Sache oder mit der Unterstützung von neuen, von den Bergbaukonzernen bisher nicht anerkannten Gewerkschaften wie der AMCU, der Gewerkschaft der Berg- und BauarbeiterInnen, für höhere Löhne sowie die Verbesserung ihrer miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen. Denn die Mineure haben das Vertrauen in die traditionellen Gewerkschaften verloren, sehen ihre Anliegen gegenüber den Unternehmen nicht vertreten, ihren Kampf nicht mitgetragen. Der fünfmonatige Streik von rund 70 000 ArbeiterInnen bei den drei grössten Platinproduzenten Anglo Platinum, Impala Platinum Mining und Lonmin im Frühjahr 2014 ist ein eindrückliches Beispiel dafür: Der längste und teuerste Streik seit dem Ende der Apartheid endete im Juni mit Lohnerhöhungen von rund zwanzig Prozent.

Zwar sind achtzig Prozent der ArbeiterInnen im südafrikanischen Bergbau gewerkschaftlich organisiert, längerfristig konnten die Gewerkschaften bisher aber keine markanten Verbesserungen durchsetzen. «Die Löhne blieben konstant, die Arbeitslosigkeit stieg», sagt Urs Sekinger vom Solifonds. Die Organisation unterstützte während der Apartheid Gewerkschaftskämpfe in Südafrika und bis heute Kampagnen der HausarbeiterInnen oder den Kampf von LandarbeiterInnen finanziell. Denn die Gewerkschaften tun es kaum.

Am Ursprung stand Marikana

Der Streik im August 2012 stellt den tragischen Höhepunkt in der jüngsten Geschichte der südafrikanischen Gewerkschaften dar: Sie tragen eine Mitschuld am Massaker von Marikana, bei dem 78 Bergarbeiter verletzt und 34 von Sicherheitskräften erschossen wurden. Nicht weil die Proteste und die Gewalt das Resultat von Kämpfen zwischen der Nationalen Minenarbeitergewerkschaft (NUM), die dem Cosatu angehört, und der AMCU war, wie die zuständigen Behörden und die Polizei, die in Notwehr gehandelt haben will, behaupten. Sondern weil die NUM ihren vertraglich vereinbarten Auftrag, die Interessen der MinenarbeiterInnen gegenüber der Führung von Lonmin zu vertreten, nicht wahrgenommen hatte.

«Die Minenarbeiter vertrauten der Gewerkschaft nicht, weil diese mit dem Konzern verbunden war», sagt Jo Seoka. Der anglikanische Bischof von Pretoria versuchte, vor Ort zwischen den Parteien zu vermitteln. Der offiziellen Version von Polizei und Regierung widerspricht er vehement: «Diese Geschichte des Kampfs zwischen zwei rivalisierenden Gewerkschaften haben sich die Sicherheitskräfte und der Bergbaukonzern ausgedacht.» Die AMCU sei erst aufgetaucht, als das Massaker bereits geschehen war, sagte Jo Seoka kürzlich an einer Tagung in den Basler Afrika-Bibliografien.

Das gewaltsame Vorgehen der Polizei in Marikana blieb nicht ohne Folgen. Um die Ereignisse aufzuklären, wurde eine Untersuchungskommission, die Marikana Commission of Inquiry, gebildet. Ihr Bericht soll im März vorliegen.

Ein neuer Kampfstil

Die AMCU, die sich 1998 als unabhängige Gewerkschaft von der NUM abgespalten hatte und inzwischen rund 50 000 Mitglieder zählt, nutzte vielmehr den fünfmonatigen Streik im letzten Frühjahr dazu, Werbung in eigener Sache zu betreiben. Sie initiierte den grössten erfolgreichen Arbeiterkampf gegen die Platingiganten und verbuchte in der Folge starken Zulauf. Somit konnte sie auch ihren politischen Einfluss steigern. Die AMCU prägt derweil mit ihrer radikalen und zeitweise sogar militanten Vorgehensweise einen neuen Kampfstil.

Diesem haben sich auch die 2013 von Julius Malema gegründeten Economic Freedom Fighters (EFF) verschrieben. Die junge panafrikanische und antikapitalistische Oppositionspartei mit ihrem populistischen Gründer, der sich trotz seines Hangs zu Luxus als Anwalt der Unterprivilegierten bezeichnet, macht sich für die Verstaatlichung der Bergwerksgesellschaften und die Enteignung von GrossgrundbesitzerInnen stark. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2014 wurde sie mit 6,4 Prozent der Stimmen auf Anhieb drittstärkste Partei im Land.

Gewerkschaften kämpfen um Macht

Inwiefern sich die Numsa nach der Spaltung des Cosatu in der linken Opposition und möglicherweise auch mit den EFF engagieren wird, ist offen. Klar ist, dass sich der ANC mit einem sich verändernden politischen Klima konfrontiert sieht. Denn der Ausschluss der Numsa hat auch zur Gründung einer neuen Gewerkschaft geführt, die ihren Platz im Cosatu übernehmen möchte: Die Liberated Metalworkers Union of South Africa (Limusa) wird von ehemaligen Numsa-Verantwortlichen geführt, die allerdings noch keine Ziele definiert haben. Urs Sekinger hält diese Entwicklung für ungesund: «Sie führt dazu, dass unter den Gewerkschaften der Konkurrenzkampf zunimmt und die Gewerkschaften somit generell geschwächt werden.» Und tatsächlich: Die Numsa, die bisher ArbeiterInnen aus der Maschinenindustrie, dem Energiesektor, der Autoindustrie und der Elektronikbranche vertrat, will neu auch Mitglieder im Bergbau anwerben.

Marikana steht demnach nicht nur für ein neues dunkles Kapitel in der Geschichte Südafrikas. Das Massaker ist auch ein Beispiel für die zunehmende Entfremdung der ANC-nahen Gewerkschaften von ihrer Basis und ein Symbol für den Niedergang der etablierten Gewerkschaften, die sich unter dem Dach des Cosatu zusammengeschlossen haben. Die nach wie vor extrem harten Arbeits- und Lebensbedingungen in und um die Minen verschärfen die instabile Situation zusätzlich. Der Widerstand schwappte nach dem Massaker in Marikana auf Minen anderer Konzerne über. Es kam zu einer regelrechten Streikwelle. Die Spannungen haben seither weiter zugenommen. Trotz hoher Profite, die mit dem wertvollsten aller Metalle erzielt werden: Die Unternehmen speisen ihre ArbeiterInnen weiterhin mit Hungerlöhnen ab.