Guatemala: Die Stunde des Komödianten

Nr. 41 –

Der Fernsehclown Jimmy Morales verkauft sich als Antipolitiker und hat damit Chancen, nächster Präsident von Guatemala zu werden. Hinter ihm stehen finstere Militärs.

Jimmy Morales, Komiker.

Unter normalen Umständen wäre es Jimmy Morales bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 13. September so ergangen wie 2011. Damals bewarb er sich um das Bürgermeisteramt in Mixco, einem Vorort von Guatemala-Stadt. Er landete mit ein paar Prozenten auf einem hinteren Platz und war schnell wieder vergessen. Aber die Umstände in Guatemala sind derzeit nicht normal. Im Mai musste Vizepräsidentin Roxana Baldetti zurücktreten, Anfang September auch Präsident Otto Pérez Molina. Beide sitzen in Untersuchungshaft, weil sie die führenden Köpfe einer VerbrecherInnenbande sein sollen, die den guatemaltekischen Zoll um viele Millionen US-Dollar betrogen hat. Und so kam es, dass Jimmy Morales die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit 24 Prozent der Stimmen klar gewonnen hat und am 25. Oktober mit guten Chancen in die Stichwahl gehen wird.

Die meisten seiner WählerInnen wussten nicht viel über ihn. Sie kannten gerade sein Gesicht und seinen Slogan «Kein Dieb und auch nicht korrupt». Bei seinen Wahlkampfveranstaltungen sagte er nicht viel mehr. Die gesamte PolitikerInnenkaste sei korrupt, aber er gehöre da nicht dazu. Das reichte für den Überraschungssieg.

Im Windschatten der Militärs

Dass er als Kandidat der Front der Nationalen Konvergenz (FCN) antritt, hätte immerhin stutzig machen können. Die Partei wurde 2004 von ehemaligen Militärs gegründet, die allesamt eine grausige Geschichte von Menschenrechtsverletzungen im guatemaltekischen Bürgerkrieg (1960–1996) hinter sich haben; etliche werden für Massaker in Indígena-Dörfern verantwortlich gemacht. Im Hintergrund üben sie weiterhin grossen Einfluss aus und sind zu jeder Einschüchterungs- und Schmutzkampagne bereit, wenn einer der ihren vor Gericht gestellt werden soll. Zuletzt bewiesen sie das im Vorfeld des Völkermordprozesses gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt. Der Prozess ist derzeit wegen angeblicher Demenz des Angeklagten ausgesetzt.

Aber die FCN ist eine kleine Partei und vielen WählerInnen noch unbekannter als Jimmy Morales. Der verfügt immerhin in der Hauptstadt über eine kleine Fangemeinde. Seit fünfzehn Jahren hat er mit seinem Bruder Sammy in einer privaten Fernsehstation eine sonntagabendliche Blödelsendung: ziemlich plump und meist mit moraltriefendem Ende. Da nimmt er auch gerne PolitikerInnen aufs Korn.

Morales, 46 Jahre alt, stammt aus bescheidenen Verhältnissen der unteren Mittelschicht. Zunächst hat er Buchhalter gelernt, dann ein Wirtschaftsstudium angehängt und schliesslich – wie Ríos Montt – eine evangelikale Predigerschule durchlaufen. Letzteres scheint ihn am meisten geprägt zu haben. Denn wenn er sich zu politischen Themen äussert, dann zu solchen, die den Evangelikalen am Herzen liegen. Ein Schwangerschaftsabbruch, sagt er schlicht, «passt nicht zum guatemaltekischen Denken». Die Homoehe sei unmöglich, weil «97 Prozent der Guatemalteken eine christliche Ethik haben». Genauso sei die Legalisierung von Marihuana ausgeschlossen: «Unser Gesundheitswesen ist jetzt schon kollabiert, wir können uns nicht auch noch Drogenabhängige leisten.» Ausserdem will er das Nachbarland Belize, seit 1981 unabhängig und vorher britische Kolonie, Guatemala einverleiben. Das freut seine militärischen Ziehväter, die mit dem kleinen Karibikstaat in den vergangenen Jahren immer wieder Grenzstreitigkeiten angezettelt haben.

Politische Erfahrung wurde irrelevant

In der Öffentlichkeit werden solche Äusserungen kaum wahrgenommen. Morales bestreitet seinen Wahlkampf ausschliesslich mit dem Satz, dass er kein Politiker sei und deshalb auch nicht korrupt. Bei der Volksbewegung, die mit monatelangen Protesten vor dem Präsidentenpalast wesentlich zum Sturz von Pérez Molina beigetragen hat, war der Kandidat nicht dabei. Einmal sei er in aller Heimlichkeit dort gewesen, behauptet er. Er habe Leuten, die sich am Zaun vor dem Palast festgekettet hatten, Wasser vorbeigebracht. Aber erkannt habe ihn niemand.

Sandra Torres, die Gegnerin von Jimmy Morales in der Stichwahl, ist eine echte Politikerin. Die Sechzigjährige tritt für die sozialdemokratische Nationale Union der Hoffnung (UNE) an, für die sie von 2008 bis 2012 Ministerin für soziale Angelegenheiten war – just zu der Zeit, als ihr ehemaliger Ehemann Álvaro Colom das Präsidium innehatte. Früher hätte diese Erfahrung für sie gesprochen. Aber das gilt unter heutigen Umständen nicht mehr.