Fussball und andere Randsportarten: Regelkunde für Dummies

Nr. 4 –

Etrit Hasler erklärt schwierige Begriffe anhand von Jassen und Offside

Das Wunderbare an der Welt des Sports ist ja, dass immer alles so schön einfach ist. Die Resultate sind klar und unantastbar, die Regeln schnell erklärt, und die AkteurInnen sind entweder Helden oder Bösewichte. Okay, das stimmt so nicht. Niemand kann die Regeln von Cricket «schnell erklären». Ausser vielleicht Chuck Norris, aber der spielt sowieso nur Cricket, um die Schläger kaputt zu machen.

Gerade in diesen Zeiten, in denen wir alle paar Sekunden hochkomplexe Konstrukte und Begrifflichkeiten um die Ohren gehauen bekommen, kann der Sport durchaus hilfreich sein, ein paar Missverständnisse aufzuklären, also quasi zur demokratischen Diskurskultur beizutragen. Was ja irgendwie ganz in Ordnung ist, da er sonst nur selten was zur Volkswirtschaft beiträgt. Also Steuern zum Beispiel. Aber ich schweife ab.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In jedem Sport gibt es Regeln – einige davon sind fix und kaum dehnbar, bei anderen braucht es eine gewisse Auslegung, wann und wie sie angewendet werden. Beim Jassen beispielsweise werden die Stöcke spätestens dann gewiesen, wenn die zweite Stockkarte ausgespielt wird. So stehts im offiziellen Schweizer Jassreglement, so wirds gemacht. Da gibts kein Diskutieren, Täubelen und kein Auf-den-Tisch-Hauen. Genauso wenig wie bei der 1896 eingeführten Fussballregel, die besagt, dass keine Büsche oder Bäume auf dem Spielfeld gepflanzt werden dürfen.

Etwas schwieriger wirds da schon bei der allseits beliebten Offsideregel. Zwar sind die Regeln eindeutig, wann ein Spieler im Abseits steht («wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler»), bei der Frage, wann das nicht erlaubt ist, wird es kompliziert: «Ein Spieler wird nur dann für seine Abseitsstellung bestraft, wenn er nach Ansicht des Schiedsrichters zum Zeitpunkt, zu dem der Ball von einem Mitspieler berührt oder gespielt wird, aktiv am Spiel teilnimmt, indem er ins Spiel eingreift, oder einen Gegner beeinflusst oder aus seiner Position einen Vorteil zieht.»

Sie sehen also, die Regeln selber sehen schon eine Auslegung vor («nach Ansicht des Schiedsrichters»). Kommt noch dazu, dass in der Regel durchaus subjektive Elemente enthalten sind («einen Vorteil zieht»). Kein Wunder also, streiten sich Fans, SpielerInnen und Schiedsrichter seit 1866 über die Auslegung.

Natürlich kann man da argumentieren, das mache das Spiel ungerecht und von der Willkür irgendwelcher Richter abhängig. Nur: Früher war es auch nicht besser. Als im Jahr 1863 die erste Abseitsregel eingeführt wurde, waren einfach alle Pässe nach vorne verboten. Da war Fussball also noch wie Rugby, einfach ohne Körpereinsatz. Das stelle ich mir so spannend vor wie eine Partie Schach zwischen einem Leguan und einer gewöhnlichen Hausfliege.

Etwas schwieriger wird es bei der Verhältnismässigkeit – ein etwas abstraktes Prinzip, das aber genauso am sportlichen Beispiel geschildert werden kann. So ist es im Fall der mogelnden Jasserin durchaus angebracht, das fehlhafte Verhalten zu sanktionieren, zum Beispiel indem man einfach die Punkte nicht schreibt und der Person die Regeln noch mal erklärt. Natürlich würde es auch zum gewünschten Ziel führen (dass diese Spielerin die Regeln nicht mehr bricht), wenn man die fehlbare Jasserin einfach aus der Beiz schmeisst. Aber das wäre nicht nur unverhältnismässig (da ein milderes Mittel zum selben Zweck führt), sondern unter gewissen Umständen auch saublöd – zum Beispiel wenn es nur vier Leute in der Beiz hat und nach dem Rauswurf nicht mehr genügend Menschen da sind, um weiterzujassen.

Und bloss weil man das nicht automatisch so praktiziert, schreit auch niemand danach, dass die Welt des Jassens auf dem Weg in die Diktatur sei.

Etrit Hasler ist ein notorischer Regelbrecher (ausser beim Jassen), weswegen er derzeit Jus studiert, lustigerweise an der Fakultät, an der auch ein Zürcher Kantonsrat unterrichtet, der ein paar der oben erläuterten Grundprinzipien nicht verstanden hat.