Jagd: Die Natur machen lassen?

Nr. 44 –

Dürfen Menschen Tiere töten? Wenn ja, unter welchen Umständen? Diese Frage polarisiert fast jede Woche neu – gerade war es eine öffentliche Metzgete im Baselbiet, die die Gemüter erregte, dann ist es wieder das Töten von frisch geschlüpften Güggeli.

Auch die Jagd polarisiert. In sehr schlechtem Licht erschien sie in einer SRF-«Rundschau» im Oktober – und das lag nun wirklich nicht an den JournalistInnen. Das Fernsehteam ging mit einem Jäger und einem Wildhüter aus Graubünden auf die sogenannte Nachsuche: Der Jäger hatte am Vorabend eine Hirschkuh angeschossen. Nicht nur er, auch der Wildhüter wirkt im Beitrag dilettantisch: Er schiesst ohne Sicht ins Gebüsch und macht flapsige Sprüche («Wo hämmer do härepfefferet?»). Der Jäger hat nicht gemerkt, dass er die Hirschkuh gar nicht hätte jagen dürfen – sie säugte noch –, denn bei einem Hirsch, der vorbeirenne, könne man eben nicht schauen, ob er ein Euter habe. Die Suche beginnt vierzehn Stunden nach dem Erstschuss; das verletzte Tier hat die ganze Nacht Qualen ausgestanden. Trotzdem darf am Schluss ein stolzes Jägerfoto nicht fehlen. Wenn das der Standard der Schweizer JägerInnen ist, dann gute Nacht.

Braucht es die Jagd überhaupt? Nein, meint die Tierpartei Schweiz. Sie hat im Kanton Zürich eine Initiative eingereicht, die die private Jagd verbieten will. Jagen dürfen sollen nur noch WildhüterInnen, und das nur in Ausnahmefällen. Der Wildbestand reguliere sich selbst, schreibt die Tierpartei.

Dieses Argument könne sie nicht ernst nehmen, sagt Nicole Imesch, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Wildtierbiologie. «Wenn auf die Jagd verzichtet würde, wäre das für den Wald ein ernsthaftes Problem, insbesondere wegen der hohen Hirschbestände in manchen Regionen.» In den Bergen sei vor allem die Weisstanne sehr stark vom Verbiss betroffen, im Mittelland die Eiche. Um Hirsche ohne Jagd zu regulieren, bräuchte es flächendeckend Wolfsrudel, sagt Imesch. «Klar, man kann sagen: Die Fichte steht ja noch. Sie wird wenig verbissen. Aber es ist sinnvoll, eine möglichst breite Waldbaumpalette zu erhalten – auch damit sich der Wald an die Klimaerwärmung anpassen kann.»

Sie verstehe und teile den Wunsch, «die Natur machen zu lassen. Aber die Schweiz ist überall von Menschen geprägt.» Auch der Nationalpark sei längst nicht gross genug, um unbeeinflusst zu sein. «Die Hirsche wissen, wo die Schutzgebietsgrenzen sind. Im Nationalpark gibt es im Sommer Rudel von bis zu 400 Tieren – man kann sich fragen, wie natürlich das ist.»

Nicole Imesch jagt selbst, am liebsten allein im Ansitz. «Das ist für mich die ehrlichste Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass ich Fleisch esse. Und die ökologischste Art der Fleischbeschaffung.» Trophäenjagd lehnt sie ab: «Die Jagd nach dem grössten Geweih ist das Gegenteil von Regulierung», und über den «Rundschau»-Beitrag war sie schockiert. «Die Jäger und Jägerinnen, die ich kenne, nehmen das Schiesstraining sehr ernst und schiessen auch nicht so leichtfertig.»

Auch der Schweizer Tierschutz (STS) will die Jagd nicht verbieten. Aber er stellt klare Forderungen. Zum einen brauche es eine gesamtschweizerische Statistik über die Nachsuche, sagt STS-Geschäftsführer Hansuli Huber: «Niemand weiss, wie viele Tiere insgesamt angeschossen, gefunden oder nicht gefunden werden.» Ausserdem will der STS die Ansitzjagd fördern, dafür Treibjagden verbieten oder zumindest beschränken. Die Baujagd, bei der Hunde Füchse oder Dachse in ihren Höhlen aufscheuchen, soll ganz verboten werden. «Auch dazu gibt es keine Zahlen», bemängelt Huber. «Viele Jäger sagen, auf die Baujagd gehe sowieso niemand mehr. Warum sträuben sie sich denn gegen ein Verbot?» Positiv wertet Huber, dass seit 2017 alle JägerInnen regelmässig zum Treffsicherheitsnachweis müssen.

Dürfen Menschen Tiere töten? Alles von dieser Frage abhängig zu machen, hilft nicht viel weiter. Zehntausende von Tieren werden hierzulande jedes Jahr getötet, ob im Schlachthof oder auf der Jagd. Sie sollten nicht leiden, weder im Leben noch beim Sterben. Es liegt in der Verantwortung aller, auf dieses Ziel hinzuarbeiten – egal ob man selber Fleisch isst oder nicht.