Lucas Niggli: Jungle Drums

Nr. 10 –

Der Schlagzeuger Lucas Niggli legt nach dreissig Jahren als Musikprofi sein erstes Soloalbum vor – und setzt als Kurator des diesjährigen Taktlos-Festivals neue Akzente.

Schlagzeuger Lucas Niggli: «Allein zu spielen, bietet mehr Freiheiten als das Spiel in der Gruppe.» Foto: Michelle Ettlin

Man kann sich die Szene fast wie ein Gemälde von Henri Rousseau vorstellen: ein dichter Urwald aus Pflanzen, Blättern, Bäumen und Orchideen, doch anstatt eines Tigers oder Affen lugt der Schweizer Schlagwerker Lucas Niggli hervor. Er hat seine Trommeln, Beckenbäume und Gongs vollkommen natürlich in den Blätterwald eingefügt, streicht die Metallbecken mit einem Bogen, bis sie wie Grillen und Insekten surren, und lässt die Trommeln donnern und prasseln, als ob gerade ein Gewitter im Regenwald niederginge.

Im September letzten Jahres hat Niggli eine Woche lang die Villa Am Aabach in seiner Heimatstadt Uster gemietet und in ein tropisches Gewächshaus verwandelt – eine Art Dschungelstudio. Vier Tage lang spielte er dort jeden Abend ein Konzert für jeweils fünfzig ZuhörerInnen, um an den Nachmittagen noch zusätzliche Aufnahmen zu machen. Jetzt ist aus den besten dieser Tracks ein Schlagzeugsoloalbum mit dem Titel «Alchemia Garden» (Intakt Records) entstanden. Obwohl Niggli dieses ohne jegliche Overdubs realisiert hat, besitzt seine Trommelmusik eine verblüffende Vielstimmigkeit und Klangfülle. «Es kam mir auf Polyfonie an, auch wollte ich äusserst vielfältig und sehr sinnlich klingen», beschreibt Niggli seine Intention. «Ich habe deshalb viel mit Präparationen gearbeitet, also meine Trommeln und Becken mit kleinen Gegenständen versehen, um andere Sounds aus ihnen herauszukitzeln.» Niggli hat lange gewartet, bis er seine Vision eines Soloalbums Wirklichkeit werden liess. «Nur nichts forcieren», lautete seine Devise. Erst jetzt schien die Zeit reif zu sein.

Afrika mit Europa verbinden

Dabei steht Niggli seit dreissig Jahren als Musikprofi in der Öffentlichkeit. Er hat gleich nach der Matura angefangen, mit eigenen Gruppen zu arbeiten. Danach absolvierte er zahllose Auftritte mit seinem Lehrer Pierre Favre, auch mit dessen Trommelensemble Singing Drums. Schliesslich rief Niggli neben seinem Jazzensemble Zoom ein eigenes Drumquartett ins Leben, später ein Trommeltrio mit Fritz Hauser und Peter Conradin Zumthor, wobei er gleichzeitig ausgiebig mit dem westafrikanischen Balafonspieler Aly Keita in der Gruppe Kalo Yele musizierte.

«Allein zu spielen, bietet mehr Freiheiten als das Spiel in der Gruppe», erklärt Niggli seinen Sologang. «Ich war selbst überrascht, wie rhythmisch die Platte geworden ist. Manchmal hat mich die Musik fast rauschhaft fortgetragen, da spüre ich dann meine tiefe Liebe und Verbundenheit mit Afrika.» Niggli kam 1968 in Kamerun zur Welt und verbrachte die ersten sechs Jahre seines Lebens dort.

Seine afrikanischen Wurzeln verbindet der Trommler mit Erfahrungen aus der zeitgenössischen Musik, in der das Formdenken und die Erkundung neuer Klänge im Vordergrund stehen. Niggli ist mit den Klassikern der Avantgarde wie John Cage und Karlheinz Stockhausen gross geworden. Seit mehr als zwanzig Jahren setzt er mit der Gruppe Steamboat Switzerland ultramoderne Kompositionen von Felix Profos, Sam Hayden und Michael Wertmüller in Szene. Unlängst war er in die Aufführung der Komposition «Eleanor» von Olga Neuwirth am Luzern Festival involviert.

«Bei all diesen Aktivitäten habe ich gelernt, wie man neue Klänge und Tonfärbungen erzielen kann», sagt Niggli. Um einen speziellen Klangeffekt zu erzeugen, legte er an einer Stelle seines Soloalbums zum Beispiel ein Metallbecken auf das Fell der Bass Drum. «Diese neuen Sounds werden mit afrikanischen Trance-Rhythmen amalgamiert: Ich verbinde Afrika mit Europa.»

Viel Neues zu entdecken

Einen ähnlich weiten Bogen von den Wurzeln Afrikas zur europäischen Avantgarde spannt auch das diesjährige Taktlos-Festival, das vom 15. bis 17. März einen Neustart unternimmt. Nach mehr als dreissig Jahren, in denen vor allem Fredi Bosshard Regie führte, soll von nun an jedes Jahr ein anderer Kurator das Programm austüfteln – 2018 kommt Lucas Niggli zum Zug. Er hat das dreitägige Festival, das erstmals nicht mehr in der Roten Fabrik, sondern im Zürcher Kanzlei-Club und im Kino Xenix über die Bühne geht, neu ausgerichtet. Dabei kommt eine enorme Bandbreite abenteuerlicher Musikstile zur Aufführung: von elektronischen und elektroakustischen Sounds über afrofuturistischen Jazz bis zu experimentellen Klangcollagen.

«Ich habe mich gefragt, was ich selber gerne hören würde», erläutert Niggli seinen Ansatz. Herausgekommen ist ein Programm, bei dem wohl mehr Notenständer auf der Bühne stehen werden als bei früheren Taktlos-Festivals. Als Gegenstück zu solch strikt notierter Musik gibt es aber auch radikal freien Jazz sowie MusikerInnen, die Komposition und Improvisation auf überzeugende Weise verbinden. «Am allerwichtigsten aber war mir, Künstler zu präsentieren, die noch nie in Zürich aufgetreten sind», sagt Niggli. Man soll beim Taktlos weiterhin Entdeckungen machen können – dafür steht das «Festival für grenzüberschreitende Musik» schliesslich seit Anbeginn.

Taktlos-Festival, 15. bis 17. März. www.taktlos.com