Mobile World Congress: Bessere Einkünfte, bessere Zukünfte

Nr. 10 –

Smartphones für eine bessere Welt? Die Mobilfunkbranche kapert die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.

ZTE? VMware? Der Mobilfunkmarkt ist längst so gross, dass sich allerlei Firmen etablieren können, die in unseren Handyshops gar nicht auftauchen. Wer irgendwie mitmischt im digitalen Geschäft, im Internet of People und im Internet of Things, der präsentierte sich letzte Woche in Barcelona, auf einer der grössten Messen Europas überhaupt: dem Mobile World Congress (MWC). Rund 2500 Aussteller, über 100 000 BesucherInnen, eine Unzahl von Konferenzen und Panels.

Der Hauptkorridor für die BesucherInnenströme windet sich in luftiger Höhe durch die diversen Hallen und offenbart unzählige Stahlseile, an denen all die Technik hängt, die unten für Spektakel sorgt. Hier oben ist offensichtlich, was die Kulissen der Renommierarchitektur unten gern vergessen machen möchten: Das alles ist Instantarchitektur, rasch aufgebaut und rasch wieder weg. Gespart wird trotzdem nicht, man kann es sich schliesslich leisten, einen aufwendig inszenierten und mit allerlei Luxusaccessoires möblierten Auftritt hinzulegen. Bloss in den hinteren Rängen, wo die kleinen Anbieter aus China Stellung bezogen haben, dominieren die typischen funktionalen Messeböxchen.

Vorne, der Promenade entlang: die Branchenriesen, Samsung, Qualcomm und wie sie alle heissen. In riesigen, mehrstöckigen Messebauten präsentieren sie ihre verschwindend kleinen Geräte. Und auch Firmen wie Mercedes-Benz, PWC oder Formel 1 markieren mit riesigen Ständen Präsenz. «Creating a Better Future» – das Motto der Messe könnte hanebüchener nicht sein. Besser für wen? Besser soll die Zukunft natürlich für die Firmen werden, für Branchenführer wie für Aufsteiger.

Siebzehn knackige Forderungen

Apropos Aufsteiger: Ein durchaus sympathischer Aspekt an dieser Messe ist dieses ein wenig postkoloniale Gefühl, das einem die zahlreichen asiatischen Gesichter vermitteln. Der Westen gibt hier nicht mehr unbedingt den Ton an. Mitunter trifft man auch auf Vertreter aus Afrika. Dort boomt das Mobilfunkgeschäft – immer wieder hört man, dass sich für den Kontinent mit der Anbindung ans World Wide Web eine grosse Chance auftue.

Entsprechend beseelt ist die Branche von einem Glauben, der noch Grösseres im Sinn hat als nur grosse Gewinne – vor allem im Konferenzteil wurde mit Weltverbesserungsrhetorik nicht gespart. Der MWC hat kurzerhand die offiziellen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen für sich gekapert: siebzehn knackig formulierte Forderungen für das Jahr 2030, allesamt nicht zu tief gestapelt. Angefangen mit Armut beenden, Ernährung sichern – den Hunger beenden und gesundes Leben für alle. Des Weiteren zum Beispiel Gleichstellung der Geschlechter, Wasser und Sanitärversorgung für alle, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle oder Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern. Nicht zu vergessen nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen sowie die Bekämpfung des Klimawandels. Und als grosses Crescendo: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.

Das MWC-Marketingteam hat den Künstler Brosmind aus Barcelona beauftragt, putzige Maskottchen zu diesen siebzehn Forderungen zu zeichnen. Und so wurde die ganze Messe, von den Pausenvideoscreens im Konferenzbereich bis zum Messemerchandising, zugeschminkt von einem penetrant gut gelaunten Optimismus, von tanzenden und lächelnden lila-blau-roten Goals, die auch gut als Musikfestivalbespassung durchgegangen wären.

Das Handy wird zum Schreckgespenst

Dazu, wie diese Ziele genau zu erreichen wären, war herzlich wenig zu hören – ausser dass die Branche «committed» sei, engagiert halt, an der Erreichung mitzutun. An den Panels ging es vornehmlich um künstliche Intelligenz, um 5G, um die «vierte industrielle Revolution» und weitere Buzzwords und (technische) Solutionismen, wie es der Silicon-Valley-Kritiker Evgeny Morozov einmal genannt hat. Irgendwo lief dauernd ein Zähler auf einem riesigen Bildschirm, der vorgeblich in Echtzeit die Anzahl von «connected people» durchratterte, weltweit wie in ausgewählten Weltgegenden. Es ist die simple Arithmetik der Branche: mehr Connections, mehr Nachhaltigkeit. Mehr Chancen für Gerechtigkeit, Wachstum, saubere Toiletten, was auch immer man sich als Weltglück ausmalt.

Die seltsame Ironie der Geschichte: Im Silicon Valley werden gerade jetzt Stimmen laut, die sich um die dauernde Vernetztheit sorgen, die uns möglichst wieder abhängen wollen vom Netzwerk – zumindest zeitweise. Noch mehr Geräte? Noch mehr Connectivity? Es ist derzeit eher ein Schreckgespenst, wenn die Manager an ihre eigene Work-Life-Balance und an ihre Kinder denken. Denn diese sprechen nur allzu gut auf die intuitive Technologie an, die in den letzten Jahren ihren Siegeszug angetreten hat.

Ach ja, und die Gleichstellung: Dem Augenschein nach dominieren die Männer das Geschehen nach wie vor. 24 Prozent Frauenanteil auf der Messe, wie die Verantwortlichen triumphierend vermeldeten? Es wäre kein Ruhmesblatt, und es fühlte sich eindeutig nach weniger an. Vielleicht weil die Frauen vor allem die Messestände betreuten, während die (männlichen) CEOs durch ihre blinkende und immer weiterwachsende Traumwelt flanierten.