Die «Interniertenskandale»: «Streng und gerecht»

Nr. 38 –

Neu entdeckte Militärstrafjustizakten beschreiben bislang unbekannte Details zum brutalen Regime in Schweizer Interniertenlagern während des Zweiten Weltkriegs. Im Zentrum: Hauptmann André Béguin, der Kommandant des Interniertenstraflagers Wauwilermoos.

  • Da sass der Schinder noch fest im Sattel: André Béguin, 1944 vor den Baracken im Wauwilermoos. Foto: Aus dem Bundesarchiv
  • Fiche des Internierten Wladislas Kubowicz, auf den es Béguin speziell abgesehen hatte. Scan: Aus dem Bundesarchiv
  • Als rechtsextremer Fröntler wurde Béguin jahrelang von Offizieren protegiert. Foto: Aus dem Bundesarchiv, Datum unbekannt
  • Mitten in einer Moorlandschaft: Luftaufnahme des Interniertenlagers Wauwilermoos in Egolzwil-Wauwil, 1943. Foto: © Swisstopo (BA200163)
  • Zwangsarbeit, teils ohne Lohn: Internierte im Wauwilermoos, Sommer 1944. Foto: Aus dem Bundesarchiv
  • Umzäunt mit Stacheldraht, bewacht von Soldaten und von «Kriegshunden»: 2 von 22 Holzbaracken, Winter 1944. Foto: Aus dem Bundesarchiv
  • Hochgelobt bis zuletzt: Béguin (mit Zigarette) im Gespräch mit hohen Schweizer Militärs. Foto: Aus dem Bundesarchiv

Vor 75 Jahren, am 3. September 1945, melden die «Luzerner Neuesten Nachrichten» («LNN»), gegen Hauptmann André Béguin, Kommandant des Interniertenstraflagers Wauwilermoos, laufe seit Wochen eine Strafuntersuchung der Militärjustiz. Der Offizier sei seither vom Dienst suspendiert – doch weiter auf freiem Fuss. So habe er immer noch Zugang zu seinem Büro und mindestens zweimal Akten verbrannt.

Der Zeitungsbericht steht am Anfang der «Interniertenskandale», die nach Ende des Zweiten Weltkriegs Korruption, schikanöse Behandlung sowie die Verhinderung von Berichterstattung öffentlich machten. Gegen Béguin allerdings waren schon früher Vorwürfe publik geworden. So berichtete die sozialdemokratische «Tagwacht» im Januar 1944, im Straflager Wauwilermoos sei ein Hund auf einen russischen Internierten gehetzt worden. Die interne Untersuchung bestätigt das. Wobei der Untersuchungsrichter in seinem Bericht noch anmerkt, der Gebissene habe die Strafe verdient: Der Mann habe eine «nicht alltägliche Insubordination» begangen und sei «ohne Gewaltanwendung nicht zum Gehorchen zu bringen» gewesen. Wie es sich in autoritären Systemen gehört: Wer sich nicht fügt, hat Schmerzen zu erleiden. Ein Gefreiter, der monatelang als Polizeichef-Stellvertreter im Lager tätig war, berichtet: «Die Hunde wurden auf die Internierten dressiert, sodass sie in der Nähe von solchen immer kurz gehalten werden mussten.»

Anfang September 1945 weckt der «LNN»-Bericht die Militärjustiz dann doch aus dem Ermittlungsschlummer. Drei Wochen später bewohnt Béguin eine Zelle im Luzerner Zentralgefängnis. Fünf Monate später verurteilt ihn ein Divisionsgericht zu dreieinhalb Jahren Gefängnis: Schuldig gesprochen wird er aber nicht wegen der brutalen Behandlung der Internierten. Strafwürdig erscheinen den Divisionsrichtern vielmehr Béguins Vermögensdelikte, darunter Betrug und Veruntreuung, sein Missbrauch der Befehlsgewalt sowie die Fälschung dienstlicher Aktenstücke.

Das Desinteresse für die Schikanierung der Internierten hatte seine Gründe: Selbst der Prozessbeobachter der staatstragenden NZZ sieht Béguin als Teil eines Systems. Er erkennt im Kommandanten «die ehrlose Gesinnung eines charakterlosen Elementes inmitten eines ausgedehnten Skandals und eines Morasts der Verantwortungslosigkeit». In der Tat: Die leitenden Offiziere des Internierungswesens hatten sich bei Kritik schützend vor den Lagerkommandanten gestellt – und wollten keine Verantwortung anerkennen. In seinem Schlussbericht beklagt sich Oberst René Probst, seit 1943 Chef des Eidgenössischen Kommissariats für Internierung und Hospitalisierung (EKIH), sie würden «als diffamierte Soldaten» abtreten und seien «schutzlos jedem Anwurf und jeder Verdächtigung preisgegeben, materiell, gesundheitlich und moralisch geschädigt».

So ist Béguin zwar verurteilt – die Betrogenen jedoch bleiben die geschädigten Internierten. Ein deutscher Deserteur, der nach dem Urteil Entschädigung für den ihm vorenthaltenen Lohn fordert, muss daraufhin erfahren, «dass den Internierten während der Dauer ihres Aufenthaltes im Straflager keinerlei Anrecht auf eine Arbeitsentschädigung» zustehe. Beim sogenannten Pelliculum handle es sich vielmehr «um eine freiwillige Vergünstigung, deren Ausrichtung im Ermessen des Kommandanten» gelegen sei: «Bei dieser Sachlage bedauern wir, Ihrem Gesuch um nachträgliche Ausrichtung eines Betrages von Fr. 98.– nicht entsprechen zu können.»

Fall und Aufstieg eines Rechtsextremen

Rückblende. Im Juli 1941 eröffnete die Armee das Interniertenstraflager Wauwilermoos. Hingestellt in eine Moorlandschaft zwischen Sursee und Zofingen, die noch im 19. Jahrhundert ein See war, standen auf feuchtem Grund 22 einstöckige Holzbaracken. Im Tagesraum: Tische und Bänke, ein Ofen und ein Radioapparat, im Schlafraum Strohpritschen, dazu im Sommer zwei, im Winter drei Decken. Umzäunt ist das Gelände mit Stacheldraht zwischen Holzpfosten, bewacht von Soldaten mit Karabinern und scharfer Munition – und kontrolliert von Hundeführern und ihren Tieren. «Kriegshunde» nennt sie Lagerkommandant André Béguin, in dessen Büro meist ein Schäferhund liegt.

Der Hauptmann aus angesehener Neuenburger Familie besitzt schon lange davor einen exquisit schlechten Leumund: Nach einer Zeichnerlehre tritt Béguin als Architekt auf, wird wegen Betrügereien gebüsst, von der Armee ausgemustert wegen Unfähigkeit – und als rechtsextremer Fröntler verurteilt wegen des unbefugten Tragens von Uniformen. Ab 1938 lebt er in München und kehrt nach Beginn des Angriffs der Naziwehrmacht auf Polen in die Schweiz zurück.

Wie er es schafft, trotz seiner Vorgeschichte eine Karriere in der Schweizer Armee hinzulegen, ist unklar: Zuerst kann er Reglemente übersetzen, dann ist er beim Militärischen Frauenhilfsdienst eingeteilt und kommt darauf bei den Internierungsbehörden unter. Schon ab Juni 1940 ist Béguin in der Ostschweiz für drei Straflager zuständig, darunter Kalchrain bei Frauenfeld – und wird ein Jahr später fristlos freigestellt, wie bislang unbeachtete Akten belegen. Er habe, schreibt der vorgesetzte Hauptmann Kropf Anfang Juli 1941, Béguin wegen wiederholter Übertretung der Kompetenzen seiner Funktionen enthoben. Dessen Gegenwart führe «oft zu unnötigen Zwischenfällen, die auf die Ordnung und Ruhe nur nachteilig» wirkten.

Kropfs Entscheid ausgelöst haben «Vorkommnisse mit dem Int. Kubowicz». Was da konkret geschehen ist, beschreibt Kropf nicht. Im Bundesarchiv finden sich Akten zu Wladislas Kubowicz, eingewiesen im thurgauischen Kalchrain Anfang Mai 1941. Ein Chauffeur und Mechaniker, 1912 geboren in Buer (Deutschland), später im französischen Orléans wohnhaft. Eingeteilt im 2. Polnischen Schützenbataillon, wollte er im Juni 1940 die Naziwehrmacht von Frankreich fernhalten. Ein Mann, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt: Beim Übertritt in die Schweiz hat er am Strassenrand ein Motorrad liegen gesehen, es wieder zum Laufen und in ein Emmentaler Dorf gebracht – und den dortigen Gemeindepräsidenten überzeugt, damit ein Geschäft zu machen. Der beabsichtigte Handel ist aufgeflogen – und so lernt Wladislas Kubowicz den militärischen Strafvollzug kennen.

Fünf Tage Arrest für einen nicht zugemachten Knopf

Béguin dagegen gereicht seine fristlose Entlassung nicht zum Nachteil. Vielmehr beschleunigt sich seine Karriere. Die Leitung des EKIH befördert ihn wenige Tage später zum Chef des neu erstellten Interniertenstraflagers Wauwilermoos. Béguin selber sieht sich als Opfer: 331 Tage sei er in den Straflagern tätig gewesen, die «brutale Abrufung» sei ein «gezielter Angriff auf meine Ehre», klagt er, um sich dann zu rühmen: Er habe doch «die Meuterei» in Kalchrain gemeistert, «ohne dass man einen einzigen Schuss» habe abfeuern müssen. Unverhohlen brüstet sich Béguin also mit der schikanösen Behandlung von Leuten, die aus geringfügigen Anlässen – Ungehorsam, Renitenz oder Flucht aus dem Lager – disziplinarisch eingewiesen wurden. Die Zusatzstrafe, die er ihnen auferlegt: Arbeitspflicht, ohne einen Lohn dafür zu erhalten.

An einem Morgen Mitte März 1941 streiken in Kalchrain die Internierten. Das belegt ein Polizeirapport, aufbewahrt im Thurgauer Staatsarchiv. Kantonspolizist Rutishauser, Hüttwilen, berichtet: Die Männer hätten sich beschwert, da sie ihre Strafe bereits in einem anderen Lager verbüsst hätten – andere wiederum wüssten gar nichts von einer verhängten Strafe. Béguin, in Winterthur stationiert, erscheint Stunden später. Er verspricht, den Vorwürfen nachzugehen – und verweigert den Internierten das Essen, bis sie wieder arbeiten würden. Die Überprüfung bestätigt: Die Personalakten vieler Internierter sind mangelhaft ausgefüllt, bei einigen fehlt der Grund der Einweisung, bei anderen ist keine Strafdauer vermerkt. Polizist Rutishauser hält fest: «Zuletzt wurde den Internierten während drei Tagen jegliche Nahrung entzogen.» Immerhin, so belegen die Akten, erreichten sie, dass sie für ihre Arbeit künftig ein bisschen Geld erhalten.

Diese Lohnzusicherung jedoch erwähnt Béguin nicht, als er drei Jahre später – bei einem Vortrag vor Offizieren – sein Vorgehen fantasievoll ausschmückt: 115 Internierte hätten sich geweigert zu arbeiten. Die Schweizer Offiziere hätten ihnen dann mitgeteilt, Essen gebe es nur, wenn sie arbeiten würden. Am 14. Tag hätten die Arbeitsunwilligen gesagt, sie seien am Sterben. «Unsere Antwort war: ‹Da der Mensch 24 Tage leben kann, ohne zu essen und zu trinken, haben wir den Arzt auf den 23. Tag bestellt.› Einige Stunden später verlangen sie zu essen. Wir antworteten: ‹Hier stehen 57 Schaufeln und 58 Pickel. Wenn ihr eine Stunde gearbeitet habt, werdet ihr zu essen bekommen.›»

Der faktenwidrige Vortrag stärkt Béguins Ruf, zumindest unter den Offizieren. Auch das Urteil des Divisionsgerichts behauptet noch, Béguin sei «seiner Aufgabe als Lagerkommandant zweifellos gewachsen» gewesen. Er habe sich Autorität und Disziplin zu verschaffen verstanden, den Internierten psychologisches Verständnis entgegengebracht, sei «nach Auffassung seiner Vorgesetzten streng und gerecht zugleich» gewesen und habe «trotz aller Schwierigkeiten eine straffe Ordnung aufrechtzuerhalten» gewusst.

Zwar erntet Béguin gelegentlich armeeinterne Kritik. So etwa im Winter 1942 von Major Humbert, dem Arzt für die Internierten im Abschnitt Seeland: «Die Internierten werden einerseits von Hauptmann Béguin aus nichtigem Anlass aufs Gröbste beschimpft, und andererseits wird ihnen jede persönliche Aussprache verweigert. Die Strafen sind übertrieben: fünf Tage Arrest für einen nicht zugemachten Knopf oder wenn einer sich nicht vollständig angezogen mit Gurt und bis oben zugeknöpft in den Waschraum begibt, was unter hygienischen Gesichtspunkten völlig absurd ist.» Humberts Schlussfolgerung: Béguin sei «psychologisch nicht fähig» und sollte «so schnell wie möglich ersetzt» werden.

Anders sieht es Oberst René Probst, Chef EKIH, im zivilen Leben Gymnasiallehrer. Béguin sei «seiner schweren Aufgabe vollständig gewachsen» und führe das Lager «mit grosser Energie und militärischer Straffheit»; auch sei er «bemüht, sich neben selbstverständlichem Streben nach äusserster Gerechtigkeit, den verschiedenen Kategorien und Nationalitäten der Insassen seines Lagers auch in psychologischer Hinsicht gerecht zu werden». Ja, er treibe «dieses Studium seiner Leute mit dem Zwecke der rein menschlichen Hilfeleistungen und Fürsorge geradezu mit Leidenschaft» und könne «in dieser Hinsicht auch auf schöne Erfolge zurückblicken». Probst versteigt sich zu höchstem Lob: «Ich wüsste heute nicht, durch wen ich Hptm. Béguin als geeigneten Lager-Kdt. ersetzen könnte.»

Um die Baracken allerdings kümmert sich Béguin wenig. Im kalten Winter 1944/45 müssen die Insassen ungewaschen herumlaufen. Über einen Monat ist es nicht möglich, die Duschen zu heizen, obwohl die Leute ohnehin sehr stark unter der Kälte leiden mussten. Selbst bei normalen Verhältnissen können die Männer nur alle vierzehn Tage duschen. Und «da ein Trocknungsraum fehlt, muss die Wäsche in den Aufenthalts- und Schlafräumen der Wohnbaracken getrocknet werden. Dies ist natürlich ausserordentlich unhygienisch, lässt sich aber nicht anders durchführen, da wir uns den Luxus nicht leisten können, eine leere Baracke zu heizen, und da draussen seit 1½ Monaten die Wäsche ständig gefriert.»

Auch die Vergehen ihrer Bewacher müssen die Internierten ausbaden. Im April 1945 wird offensichtlich: Ein Fourier, verantwortlich für den Einkauf der Lebensmittel, 23-jährig und unerfahren, bringt das Budget aus dem Gleichgewicht, um rund 3800 Franken. Er hat sich nicht selbst bereichert, aber das Geld fehlt, und die Rechnung muss wieder den Vorgaben entsprechen. Die Lösung: Die Lagerleitung kürzt den Insassen während sechs Wochen die Essensration. Empörte Briefe von Internierten hält die Briefkontrolle zurück.

Tränengas durchs Dachfensterchen

Und Wladislas Kubowicz? Im September 1941 wird er ins Lager Wauwilermoos verlegt. Ende November schickt ihn Béguin mit der Begründung, er habe Material verschleudert, für vierzehn Tage in eine Arrestzelle – in einem Raum mit vier Pritschen und einem Dach aus Pappe: im Winter zu kalt, im Sommer zu heiss.

Mit Kubowicz sitzen drei Polen. Sie hungern, sie frieren. Eines Dezembermorgens haben sie genug. Leutnant Suter, Wachkommandant, schreibt später in seinem Rapport: «Als die Wache um 8 Uhr 10 den Arrestanten das Frühstück bringen wollte, war eine Zelle von innen verriegelt. Um 9 Uhr erhielt ich von Hauptmann Béguin den Befehl, die Insassen aufzufordern, die Zelle zu öffnen. Die vier Männer gaben keine Antwort. Bei der dritten Aufforderung hörte man sie lachen.» Und der herbeigerufene Heerespolizist berichtet später: «Um 9.30 Uhr erhielt ich den telefonischen Befehl, sofort mit einer Tränengasgranate in das Lager zu kommen. Da auch meine Aufforderung, die Türe zu öffnen, wirkungslos war, habe ich durch das Dachfensterchen der Zelle einen Tränengaskörper geworfen. Obwohl die Zelle klein war, und das Gas stark wirken musste, ging es 4 bis 5 Minuten, bis die Arrestanten die Türe öffneten. Allerdings kamen sie etwas ‹hergenommen› heraus. Ich glaube kaum, dass sie sich während dieser Minuten stark amüsiert haben.»

Am folgenden Tag hat Kubowicz seinen Arrest abgesessen. Nun steht er in der Warteschlange beim Lagerkiosk. Er weiss, seine Kollegen plagt Hunger. Wieder vor Ort ist Wachtkommandant Leutnant Suter: «Ich bemerkte, dass Kubowicz mit den Arrestanten redete. Das ist verboten: Ich befahl ihm, er solle sofort verschwinden. Er erwiderte, muss noch bezahlen, dann warf er ein Pfund Brot über den Zaun. Ein Arrestant fing es auf. Ich konfiszierte das Brot. K. warf denen auch Zigaretten zu, ich beschlagnahmte sie. Hptm. Béguin befahl dann, K. in den Arrest abzuführen. Ich befahl, K. alles abzunehmen. Er weigerte sich, die Uhr abzugeben, sie sei sein Eigentum. Ich liess Hauptmann Béguin kommen. Er entschied, die Uhr sei abzunehmen, wenn nötig mit Gewalt. Ich forderte den Internierten nochmals auf, den Befehl auszuführen. Er erwiderte, ich solle meine Finger lassen. Daraufhin schlug ich ihm ins Gesicht.»

Ist das eine Tätlichkeit? Oder versuchte Körperverletzung? Amtsmissbrauch? Leutnant Suter sei ein «ausgezeichneter Offizier», urteilt Béguin. Für «die Ohrfeige» übernehme er die Verantwortung. Er habe befohlen, die Durchsuchung sei vorzunehmen, mit allen Mitteln.

Eine Stunde später sitzt Kubowicz in einer Arrestzelle. Mit einer Holzlatte schlägt er Löcher ins Pappdach. Béguin befiehlt, den Wasserschlauch an den Hydranten anzuschliessen. Ein Feldweibel steigt aufs Dach und spritzt den Eingesperrten so lang ab, bis dieser aufgibt und sich verhaften lässt. Abends liegt er in einer Zelle im Luzerner Zentralgefängnis. Dort, wo 45 Monate später auch Béguin aus dem Blechnapf essen wird. Kubowicz jedoch hat genug vom Interniertenleben in der Schweiz. Anfang April 1942 gelingt ihm die Flucht.

Die Recherchen zu diesem Text erfolgten im Rahmen eines Romanprojekts mit dem Arbeitstitel «Der Orange Befehl». Dabei handelte es sich um einen auf orangem Papier gedruckter Befehl, der der Zivilbevölkerung Kontakte mit den Internierten weitgehend verbot. Widerhandlungen wurden mit Gefängnis oder Busse bestraft.

Interniertenlager im Zweiten Weltkrieg

Am 19./20. Juni 1940 überschritten über 40 000 Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der französischen Armee die Schweizer Grenze, darunter rund 15 000 polnische Männer, die als Freiwillige in eigenen Verbänden gegen die Naziwehrmacht hatten kämpfen wollen. Die Schweiz war – gemäss dem geltenden internationalen Recht – verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die entwaffneten Truppen bis Kriegsende nicht mehr in den Kampf eingreifen konnten.

Im September 1943 – nach dem Sturz von Benito Mussolini und dem Einmarsch der Wehrmacht in Italien – kamen italienische Soldaten dazu, ebenso sowjetische Kriegsgefangene, denen in Deutschland die Flucht aus den Lagern gelungen war, und sowjetische ZwangsarbeiterInnen. Interniert wurden auch deutsche Deserteure (ausser Angehörige der Waffen-SS) sowie britische und US-amerikanische Flugzeugbesatzungen, deren Maschinen in der Schweiz notlanden mussten. Die Armee brachte die Männer zuerst in Lagern unter, später arbeiteten einige Internierte im «Einzeleinsatz», meist bei Bauern. Die Internierten unterstanden der Militärjustiz.

Das Straflager Wauwilermoos diente erstens dem Vollzug militärgerichtlicher Urteile wie auch als Untersuchungsgefängnis, zweitens der Unterbringung administrativ eingewiesener Internierter (meist als «schwierige Elemente» oder «Renitente» bezeichnet), und drittens vollzog das Lager «Alkoholentwöhnungskuren von Trunksüchtigen». Getrennt und wenig entfernt stand ein Lager für Offiziere. Ihr Privileg: Sie konnten auf Matratzen schlafen.