«Kongo-Tribunal»: Mehr als symbolisch

Nr. 44 –

Wie weit kann das Theater einen Weltkonzern zur menschenrechtlichen Verantwortung ziehen? Milo Raus Tribunal zur Rolle von Glencore im Kongo machte Station im Zürcher Schauspielhaus.

Ein quasioffizielles Gericht schafft zumindest Öffentlichkeit: Das Kongo-Tribunal in Zürich. Still: Jens Waudisch, IIPM

An Sonntagen sind Gerichte normalerweise geschlossen. Mit Ausnahmen, vielleicht. Gewiss: An diesem Sonntagnachmittag sassen wir in der Box des Zürcher Schauspielhauses. Doch wohnten wir nicht eher einer Gerichtsverhandlung bei?

«Das Kongo-Tribunal. Kolwezi Hearings» lautet der Titel der Veranstaltung. Der Hintergrund: In diesem Jahr begaben sich die UntersuchungsleiterInnen eines vom Regisseur Milo Rau initiierten «Weltwirtschaftsgerichts der Zivilgesellschaft» in die kongolesische Bergbauregion Kolwezi. Untersuchungsgegenstand auch an diesem Sonntag, fünf Wochen vor der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative: die (Mit-)Verantwortung des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore in Fällen von Menschenrechtsverletzung, Umweltverschmutzung und Korruption in dieser Region (siehe WOZ Nr. 43/2020 ).

Karge Szenografie

Rau tut gut daran, das Filmmaterial, das er und sein Team rund um die Tätigkeiten von Glencore sammelte, nicht in einen allzu theatralen Kontext zu stellen. Auf der Bühne ist eine Jury, eine Art paragerichtliches Gremium, versammelt: Colette Braeckmann, Afrikajournalistin der belgischen Zeitung «Le Soir»; der Schweizer Nationalökonom Mathias Binswanger; Marc-Antoine Vumilia, kongolesischer Autor und Regisseur, sowie Daniel Binswanger, «Republik»-Journalist. Und ganz rechts, etwas weiter vorne: Miriam Sage-Maass, Vizedirektorin des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte, die quasi als Gerichtspräsidentin fungiert.

Rau und sein International Institute of Political Murder nennen das mit der kongolesischen NGO Lemafrika produzierte Projekt eine «zivilgesellschaftliche Langzeituntersuchung». Wie schon in ähnlichen Projekten von Rau prägt eine in der Mitte hängende Videoleinwand die karge, in diesem Fall coronabedingt nachgerade plexigläsern-sterile Szenografie. Auf der Leinwand werden Ausschnitte aus Interviews mit Betroffenen gezeigt: Bäuerinnen, deren Felder und Flüsse mit Schwefelsäure vergiftet sind; Angehörige von Todesopfern eines von einem Subunternehmen verursachten Schwefelsäureunfalls oder Vertreter der illegalisierten KupferschürferInnen.

Für die «Kolwezi Hearings» reisten die kongolesischen AnwältInnen Sylvestre Bisimwa und Céline Tshizena in die wichtigste Minenregion des Landes, wo Glencore zwei der weltweit grössten Kupfer- und Kobaltminen betreibt. Ausgangspunkt war ein Fall von mutmasslicher Korruption, in den auch Glencore involviert war und der 2017 im Zuge der Veröffentlichung der «Paradise Papers» aufgedeckt wurde. Ebenso untersucht wurden Fälle von Steuervermeidung und Umweltverschmutzung, der erwähnte Unfall eines Lastwagens mit Schwefelsäure, bei dem im Februar 2019 21 Menschen getötet wurden, sowie ein Erdrutsch in einer Glencore-Mine, bei dem im vergangenen Juni 41 KleinschürferInnen begraben wurden.

Die Ausschnitte aus den Anhörungen im Kongo bringen einem das Ausmass des Leidens grosser Teile der lokalen Bevölkerung nahe, das Glencore mutmasslich mitverursacht hat. Sein Ursprung reicht in die beiden Kongokriege (1996 bis 1997, 1998 bis 2003) zurück: Während und nach diesen beiden Kriegen hat die kongolesische Regierung riesige Gebiete des rohstoffreichen Landes an Glencore verkauft – ohne daraufhin je angemessene Steuern zu verlangen. Wie es überhaupt zu einem solchen Deal zwischen Glencore und dem kongolesischen Staat kommen konnte und wie international tätige Konzerne – und auch ihre Subunternehmen – zur Verantwortung gezogen werden könnten, war eine zentrale Frage an diesem Sonntagnachmittag. Die Jurymitglieder hatten dabei die Möglichkeit, ExpertInnen wie Dorothée Baumann-Pauly, Direktorin des Center of Business and Human Rights in Genf, oder Nina Burri, Expertin für internationales Strafrecht und Menschenrechte bei der Hilfsorganisation Brot für alle, zu befragen.

Avant la justice

Dass Miriam Sage-Maass zum Schluss mit dem Hammer auf den Pult schlug, war doch etwas viel des Theatralen. Schliesslich ergab sich aus den bisherigen Hearings höchstens ein Zwischenfazit. Wie weit ein solch nichtoffizielles Gericht in den Wirklichkeiten vor Ort etwas bewirken kann, wird sich frühestens ab dem Frühjahr 2021 herausstellen: Dannzumal sollen die gewonnenen Erkenntnisse in einer Schlussverhandlung im Kongo ausgewertet werden und in ein finales «Urteil» münden.

Beim ersten «Kongo-Tribunal» im Jahr 2015 zu drei Massakern im Ostkongo gelang es Rau und seinem Team, Beteiligte aus allen Lagern in einem Theatersaal zu versammeln und so erstmals in zwei Jahrzehnten einen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem Opfer von Vertreibung, Enteignung, Vergewaltigung und Mord ihre Anklagen vorbringen konnten und von der Regierung angehört wurden. Das führte immerhin dazu, dass ein Minister kurz darauf real entlassen wurde. Beim aktuellen «Kongo-Tribunal» scheint sich das bislang schwieriger zu gestalten. Weder von WirtschaftsvertreterInnen noch von Glencore selbst war an diesem Sonntagnachmittag eine Stimme zu hören.

Was aber auch in diesem Tribunal deutlich wird: Solange es keine rechtsverbindlichen internationalen Gerichtsbarkeiten gibt, die die Tätigkeiten von Weltkonzernen aus menschenrechtlicher Perspektive untersuchen, nehmen derart quasioffizielle Gerichte eine wichtige Funktion avant la justice ein – allein dadurch, dass sie Öffentlichkeit schaffen. Inwieweit das im engeren Sinn noch mit Theater zu tun hat, ist eine andere Frage.