Zombiefilme: Untote leben länger

Nr. 24 –

Immer wieder haben Horrorfilme ein kritisches Licht auf die Gegenwart geworfen. Zack Snyders «Army of the Dead» lässt jetzt den untoten Kasinokapitalismus als Farce wiederauferstehen.

Überleben als Lotterie: Las Vegas gibt den Schauplatz für die frivole, ebenso risikogeile wie krisenanfällige Spekulation am Abgrund. Still: Clay Enos, Netflix

Vielleicht kriegt jede Zeit den Zombiefilm, den sie verdient. Für die noch jungen 2020er Jahre gibts nun Zack Snyders «Army of the Dead», eine Netflix-Produktion, in der sich nicht nur die Trump-Präsidentschaft und die weltweite Pandemie spiegeln, sondern auch Hollywood-Versatzstücke aus Blockbustern wie «Ocean’s Eleven», «Mission Impossible» und «Armageddon». Wer den Magen dafür hat, kann sich einen Abend lang gut unterhalten mit geplatzten Zombieköpfen, einem majestätischen untoten Tiger aus dem Zwinger von Siegfried und Roy selig und einer bunten Einsatztruppe im Nahkampf gegen Heerscharen von Zombies in den Trümmern von Las Vegas.

Aber steckt auch mehr dahinter? Spätestens seit George A. Romeros «Night of the Living Dead», wo die herumstaksenden Untoten noch «Ghouls», Leichenfresser, genannt werden, üben ja viele dieser vermeintlich hirntoten Filme Gesellschaftskritik, die sich im Rückblick oft noch akzentuiert.

Ein Übersetzungsfehler

Romeros Meilenstein von 1968 legte nicht nur die Matrix für alle nachfolgenden Zombiefilme, sondern warf auch ein Schlaglicht auf den Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre. In «Night of the Living Dead» kämpft Ben, ein früher afroamerikanischer Held im US-Kino, gegen die Untoten – aber eben auch gegen den Rassisten in den eigenen Reihen. Am Ende ist Ben tot. Kein Opfer der gefrässigen Zombieleichen, sondern am Morgen nach der Schlacht erschossen von einer Bürgerwehr, die Züge des Ku-Klux-Klan trägt.

Das ist auch darum bemerkenswert, weil der Zombie eine ursprünglich aus dem revolutionären Haiti importierte spirituelle Figur ist, die der Vorstellungswelt versklavter WestafrikanerInnen entstammt. Zombies sind dort auf unnatürlichem Weg zu Tode Gekommene, die keine Ruhe finden. Doch die vier «Zombies», die ein Vertreter der US-Besatzungsmacht in Port-au-Prince beobachtete und Ende der 1920er Jahre in einem reisserischen Bericht als «Unmenschen» und «Automaten» mit «toten Augen» beschrieb, waren schlicht halb tot geschundene Schwarze Plantagenarbeiter.

Der Eintritt des Zombies in die US-Popkultur wird also begleitet von einem Übersetzungsfehler. Die Schauermär verdeckt, dass diese Menschen durch Zwang und Ausbeutung so monströs zugerichtet wurden, und verwischt so auch den notwendigen Grund für die Revolution: Befreiung von der unmenschlichen Unterdrückung. Derlei verdrängte Zeichenlasten tragen die Zombiefiguren bis heute mit sich herum. In ihnen rumort eine untote alte Schuld, vielleicht lassen sie uns auch deshalb nicht los.

Romero bleibt ein Leben lang fasziniert und dreht nach «Night of the Living Dead» weitere Filme über Untote. Im bekanntesten, «Dawn of the Dead», werden Wettschiessen auf die Untoten veranstaltet. Hauptschauplatz ist eine Shopping Mall: Bereits 1978 zeigte Romero unsere hirntote Kaufwut als Zombieverhalten. Sein filmischer Blick auf die ferngesteuerten Konsumzombies schwankt stets zwischen Staunen, Mitleid und Abscheu.

Schwache Vorstellungskraft

Zack Snyder brachte uns schon 2004 ein Remake von «Dawn of the Dead» – als Hommage. Und auch sein neuer Film kann als Fortsetzung des Klassikers gelesen werden, mit hochgefahrener Symbolleistung. Statt in einer Shopping Mall spielt «Army of the Dead» in Las Vegas – ein sinnfälliger Schauplatz für den Kasinokapitalismus als frivole, ebenso risikogeile wie krisenanfällige Spekulation am Abgrund. Das traditionelle Glücksspiel hat sich in Snyders Las Vegas allerdings nach einer Zombie-Invasion gleich zu Beginn schon erledigt. Was übrig blieb, wurde doppelt eingemauert: mit einem Schutzwall aus leeren Schiffscontainern – als Chiffre für die hohlen Versprechen der Globalisierung? – und mit Quarantänelagern direkt aus dem Corona-Albtraum. Kurz bevor die zombieverseuchte Ruinenstadt per Atombombe in ewige Asche gelegt werden soll, macht sich ein Himmelfahrtskommando auf, um dort 200 Millionen Dollar aus einem Safe zu holen. Vor allem aber soll es in geheimer Mission Zombie-DNA retten, damit der gierig-zynische Komplex aus Superreichen und Militär neue unbesiegbare Armeen basteln kann.

Schon länger veranschaulicht Kapitalismuskritik ihre Thesen gern mit knalligen Zombieschlagwörtern wie «Zombie-Kapitalismus», «Zombie-Liberalismus» – der Ökonom Paul Krugman nennt sein neues Buch gar «Arguing with Zombies». Über der Idee eines untoten Kapitalismus schwebt das Bonmot des Marxisten Fredric Jameson: Wir können uns eher den Untergang der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus. Jamesons Zusatz geht meist vergessen: Womöglich liege das an unserer zu schwachen Vorstellungskraft.

In «Army of the Dead» sehen wir nun also einmal mehr den untoten Kapitalismus in Aktion, imaginiert als ekstatisch überdrehte Farce auf den Trümmern der menschlichen Zivilisation. Am Ende erscheinen die Zombies so vermenschlicht wie noch nie. Und – sorry, Spoiler – eine neue Mensch-Zombie-Mutation ist mit Reisetaschen voller Dollars im Landeanflug auf Mexico City und auf die Zukunft: Pandemiedenken und unkaputtbarer Zombie-Kapitalismus vereint als Drohung – oder Hoffnung? – für unsere Gegenwart.

Läuft auf Netflix.

Army of the Dead. Regie: Zack Snyder. USA 2021