Literatur: Unsichtbare Helferinnen

Nr. 48 –

Marco Balzano und Natascha Wodin erzählen in ihren neuen Romanen von Care-Arbeiterinnen aus Osteuropa – und zeigen, was die Arbeitsmigration mit ihnen, ihren Familien und der ganzen Gesellschaft macht.

Eher trübe Aussichten: Je länger Putzfrauen und Care-Arbeiterinnen in der Fremde schuften, umso mehr verschwindet das Zuhause, für das sie es tun. Foto: Siegfried Steinach, Alamy

«Meine Kinder, ich habe in Mailand Arbeit gefunden. Ich muss fort, damit ihr studieren könnt und anständig zu essen bekommt.» Daniela Matei ist eines Nachts heimlich aufgebrochen und hat ihren Mann Filip, ihre Tochter Angelica und ihren Sohn Manuel in Rumänien zurückgelassen. Nach dem Ende des Ceausescu-Regimes haben die Eltern ihre Arbeit verloren, die staatliche Hilfe reicht zum Leben nicht aus. Deswegen betreut Daniela nun in Italien hilfsbedürftige alte Menschen, so wie es unzählige andere Frauen aus dem ehemaligen Ostblock in Westeuropa tun.

Der italienische Autor Marco Balzano macht in seinem Roman «Wenn ich wiederkomme» die Situation dieser Migrantinnen zum Thema. Er interessiert sich dabei auch für die Zurückgelassenen und bringt uns das Schicksal der rumänischen Familie Matei nahe, indem er es aus drei verschiedenen Perspektiven schildert. Zuerst kommt Manuel zu Wort, der es als Zwölfjähriger nicht fassen kann, dass seine geliebte Mutter wirklich fort ist. Am Anfang gibt er sich besonders Mühe, ein guter Schüler zu sein, freut sich über ihre Videoanrufe und über ihre Päckchen. Dann verschwindet auch der Vater, der sich als Lkw-Fahrer in Russland verdingen will. Manuel wechselt auf Wunsch der Mutter an ein teures Gymnasium in der nahen Stadt, wo er als Aussenseiter vom Dorf bald zum schlechtesten Schüler wird. Sein Unfall mit dem geliehenen Mofa könnte ein verzweifelter Selbstmordversuch sein. Nun liegt er im Koma.

Anreden gegen die Schuldgefühle

Angelica, acht Jahre älter als Manuel, hält als Einzige der Zurückgelassenen tapfer durch. Sie studiert Architektur und kümmert sich um ihren Bruder, während sich in ihr der Frust über ihre verlorene Jugend aufstaut. Sie wird das letzte Wort im Roman haben. Davor aber hören wir Daniela zu. Sie sitzt am Bett ihres bewusstlosen Sohnes und redet leise auf ihn ein. Sie erzählt ihm von ihrem Leben in Italien, vom bösartigen Alzheimerpatienten, von der übergewichtigen Elena. Sie spricht über ihr Heimweh und über ihre Pläne für Manuel und Angelica, die es dank guter Bildung einmal besser haben sollen als sie. Nur darum ist sie weggegangen. So redet sie Tag für Tag gegen ihre Schuldgefühle an.

Während Marco Balzano in seine Figuren schlüpft und ihnen eine Stimme verleiht, nähert sich Natascha Wodin der Protagonistin ihres neuen Romans «Nastjas Tränen» von aussen an und erschliesst ihre Psyche behutsam und zögerlich. Die Ukrainerin Nastja war Tiefbauingenieurin und putzt nun in Berliner Haushalten. Das Geld schickt sie nach Kiew an ihren Exmann, der sich um ihren Enkel kümmert, während ihre Tochter irgendwo in den Niederlanden lebt und kaum je von sich hören lässt.

Die Autorin und Ich-Erzählerin lernt Nastja als ihre Putzhilfe kennen, aber sie kann sie nicht einfach als Arbeitskraft behandeln, denn sie erinnert sie an ihre Mutter, die als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt wurde und nach dem Krieg dablieb. Sie fühlte sich stets fremd und litt an verzehrendem Heimweh. Als Natascha elf Jahre alt war, nahm sich die Mutter das Leben. Der Autorin kommt es vor, als müsste sie an Nastja das gutmachen, was ihre Mutter erlitt – und für das sie als Kind kein Verständnis aufbringen konnte. So hilft sie ihr, zwecks Legalisierung, zu einem deutschen Ehemann zu kommen, was sich allerdings als Katastrophe erweist, und bietet ihr schliesslich an, in ihre Wohnung einzuziehen.

Nastja reagiert oft unvorhersehbar und gibt wenig von ihren Verletzungen preis. Ihre Angst vor der deutschen Bürokratie lässt auch nicht nach, als sie ein Aufenthaltsrecht besitzt. Sie misstraut sogar ihrer Gönnerin – nicht ganz zu Unrecht, wie sich erweist, denn alle Hilfen, die diese ihr zukommen lässt, ziehen prompt neue Katastrophen nach sich. Die Autorin analysiert hier mit sarkastischem Humor, wie wenig persönliche Hilfe, die oft auch in eigenen Problemen gründet, an der sozialen Situation der Betroffenen ändern kann.

Am Rand der Belastbarkeit

Auch in Natascha Wodins Roman erfahren die Leser:innen, was Frauen aus Osteuropa dazu treibt, alles hinter sich zu lassen und als einsame Arbeiterinnen im Westen auszuharren. Wie in Rumänien sind es in der Ukraine die katastrophalen ökonomischen Verhältnisse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Diese haben die Familien oft schon an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht oder ganz zerbrechen lassen. Je länger die Care-Migrantinnen im Ausland leben, desto weniger gibt es ein Zuhause, in das sie zurückkehren können.

Balzano berichtet, dass es in Rumänien bereits Heime für «Eurowaisen» gibt und Selbsthilfegruppen für Heimkehrerinnen, die an der «Italienkrankheit» leiden, also an Burn-out und Depressionen. Natascha Wodin verweist ausserdem mit den Parallelen, die sie zwischen dem Schicksal von Nastja und dem ihrer Eltern zieht, auf eine schreckliche Tradition: Es sind die Enkelinnen der einstigen Zwangsarbeiter:innen im NS-Staat, die jetzt als billige Helferinnen in die deutschen Haushalte kommen. Aus der Ukraine, aus Polen, Rumänien und anderen osteuropäischen Staaten.

Marco Balzano: Wenn ich wiederkomme. Roman. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. Diogenes Verlag. Zürich 2021. 320 Seiten. 34 Franken

Natascha Wodin: Nastjas Tränen. Roman. Rowohlt Verlag. Hamburg 2021. 192 Seiten. 34 Franken