Herbert Achternbusch (1938–2022): Dichter, Ober, falscher Polizist

Nr. 3 –

Sein grossartiges filmisches Sich-Abarbeiten an seiner Heimat und am Christentum hat bis nach Zürich Aufruhr gestiftet. Eine persönlich gefärbte Nachlese zum Tod des bayrischen Bierkämpfers Herbert Achternbusch.

Das konnte der Kirche nicht gefallen: Jesus (Herbert Achternbusch) steigt vom Kreuz, um am Ende mit der Schwester Oberin (Annamirl Bierbichler) gen Himmel aufzufahren. Still: Alamy

«In Bayern sind sechzig Prozent der Bevölkerung Anarchisten, und die wählen alle die CSU.» Das sagt der Dichter und Wilddieb Herbert (gespielt von Herbert Achternbusch) im Film «Servus Bayern» (1978) in die vor dem Gasthaus Zum Fischmeister aufgestellte Kamera des Fernsehteams von Reporter Knallhart. Als Innerschweizerin, nahe am Muotatal aufgewachsen, verstand ich dieses vermeintliche Paradox sofort sehr genau.

An unserem katholischen Gymnasium waren wir erstmals 1984 auf Achternbusch aufmerksam geworden, und zwar wegen des Skandals um dessen Film «Das Gespenst» (1982). Dieser war vom Doyen der progressiven katholischen Filmkritik, Franz Ulrich, in der ökumenischen Filmzeitschrift «Zoom» besprochen worden. In Deutschland war Achternbuschs Jesus-Burleske nämlich schon ein Jahr zuvor zu einer Staatsaffäre avanciert. Die hatte darin gegipfelt, dass der Bundesinnenminister, Friedrich Zimmermann (CSU), nach der Visionierung und einem Schnaps (so stand es im «Spiegel») entschieden hatte, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, einen solch «widerwärtigen, blasphemischen und säuischen» Film mit Steuergeldern zu fördern. Er strafte Regisseur Achternbusch ab, indem er ihm die finale Tranche der Preissumme für seinen letzten Film, «Das letzte Loch» (1981), strich.

Die Gebetsdemonstrant:innen

In der Schweiz war es zunächst die Polizei in der zwinglianischen Stadt Zürich, die 1984 nach der ersten öffentlichen Vorführung von «Das Gespenst» im Kino Commercio die Filmrollen beschlagnahmte. Nachdem das Bezirksgericht auf Freispruch des Kinobesitzers entschieden und das Obergericht diesen Entscheid mit Bezugnahme auf die Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit wieder umgedreht hatte, gab das Bundesgericht den Film schliesslich im Mai 1986 frei. Der Skandal verhalf ihm zu einem gesteigerten Publikumsinteresse. Bei der Wiederaufnahme der Vorführung wurde der Film vom kleinen Avantgardefilm-Kino ins grössere «Movie» verlegt.

Die reaktionäre, interkonfessionelle Vereinigung Pro Veritate, 1971 in Trimbach bei Olten vom Gotteskrieger Markus Bonaventur Meyer gegründet, versuchte, die Vorführungen mit Gebetsdemonstrationen in Solothurn und Luzern zu verhindern («Urschweizer Volk verteidigt Gottes Ehre», «Gott lässt seiner nicht spotten»). In Luzern demonstrierten 200 Personen vor dem Kino gegen «Das Gespenst» und zogen anschliessend mit dem Kreuz zur Jesuitenkirche, wo der Schweizer Psalm und Kirchenlieder abgesungen wurden. Markus Bonaventur Meyer hatte die Gewohnheit, gegen Filme zu prozessieren, die er gar nicht gesehen hatte. Dafür war der Pornojäger Martin Humer aus Österreich zuständig.

Wer «Das Gespenst» im Kino anschaute, stiess auf einen erbarmungswürdigen und liebenswerten Jesus (Herbert Achternbusch), der vom Kreuz ins Bett der Oberin (Annamirl Bierbichler) heruntersteigt, die ihm vorschlägt, nun mit ihr von Ort zu Ort zu ziehen und von seinen Verwandlungskünsten zu leben. Und da sie schon «Oberin» genannt werde, solle er doch «Ober» heissen: weil das besser zu ihm passe und er schon Berge von seinem Leib und Berge von seinem Blut zu Speise und Trank gegeben habe. Der Jesus-Ober landet im Lendenschurz und mit der Dornenkrone auf seinem Haupt in der Klosterschenke und muss zwei Polizisten bedienen. Die stockbesoffenen Polizisten (Poli und Zisti) verlangen von ihm, dass er ihre Gläser mit Scheisse fülle.

So irrt der arme Ober auf dem Münchner Viktualienmarkt umher und bittet die Menschen um Scheisse. Er hat Angst, seine Stelle zu verlieren und wieder ans Kreuz zu müssen. Während einer Landpartie mit der Oberin kann er nicht im See schwimmen, sondern muss übers Wasser gehen. Und er erschrickt beim Picknick, als ihn die Oberin daran erinnert, dass das Brot sein Fleisch und der Wein sein Blut sei. Ausserdem eröffnet sie ihm, dass die Menschen nichts von ihm und seiner Liebe wissen wollten und stattdessen massenweise, völkerweise gemordet hätten.

Unfähig zum leiblichen Genuss, verwandelt sich der Ober schliesslich in eine Schlange und die Oberin in einen Adler, und mit der Schlange in ihren Fängen fährt sie in den Himmel. Franz Ulrich attestierte dem Film in «Zoom», dass er selbstverständlich eine Provokation sei. Er verteidigte die Kunstfreiheit, doch wollte er die gleiche Freiheit auch jenen zugestehen, die protestierten, weil sie ihre heiligsten Überzeugungen verletzt sähen.

Die Bierbichlers

Herbert Achternbusch schlüpfte in seinen Filmen in viele Rollen und schuf sich ständig neue Alter Egos. Weil die Zuschauer:innen nie wissen konnten, wer oder was sich sonst noch in diesen verbarg, eigneten sie sich nicht als Identifikationsfiguren. Er integrierte Tausende von Laien und Zufallspassantinnen.

Mit Annamirl Bierbichler und ihrem jüngeren Bruder Josef Bierbichler, die aus jener Familie stammten, die seit Generationen das Gasthaus Zum Fischmeister in Ambach bewirtschaftete, schuf er familiäre filmische Konstellationen – mit wechselnden Rollen für die Ehefrau, den Schwager und den Bruder. In «Servus Bayern» rezitiert die grosse Annamirl Bierbichler in der Gaststube Zum Fischmeister nachts barfuss im weissem Nachthemd einen an Herbert gerichteten, achtminütigen Monolog. Er könne Gefühle nicht in Gefühle umsetzen, nur in Aggression: «Was ich heute sage, das tippst du morgen in die Schreibmaschine.»

Dieser von der Bierbichler mit dem rollenden R hinreissend rezitierte, verzweifelte Monolog ist deshalb so beklemmend, weil sie direkt in die Kamera spricht und die Zuschauer:innen immer auch die Figur Herbert im Raum wissen, diese aber nie zu sehen bekommen: Da gibt es keinen Schwenk auf Herberts Gesicht, keine Illusion von Blickachsen.

Der wohl beste Film Achternbuschs ist der ohne Genehmigung am Oktoberfest in München gedrehte «Bierkampf» von 1977. Herbert stibitzt als falscher Polizist die Brezeln aus den Körben, trinkt aus den Bierkrügen von wildfremden Gästen, klaut Hüte, springt Menschen an und umklammert sie wild. Dieser rohe Klamauk und das extrem physische Schauspiel kennt man aus dem frühen Kino. Achternbusch hat hier eine Figur geschaffen, die an den anarchischen Harpo der Marx Brothers erinnert, aber auch an Sacha Baron Cohens Borat. Bei Achternbuschs Wortkunst («Wer macht die Musik? Die Wehrmacht!») kippt die Gemütlichkeit in Gewalt und die Bierseligkeit in den Tod.

Aushalten in Bayern

In der Zentralbibliothek Zürich warten die unzähligen Suhrkamp-Bände mit Achternbuschs Texten, die meisten ziemlich zerlesen, in den Korpusregalen auf neue Leser:innen. Von seinen gut dreissig Filmen sind bloss sechs auf DVD greifbar. In Videotheken liegen noch ein paar VHS-Kassetten herum. Der eine oder andere seiner Werktitel, die vielen Zoten über die Fremden und die derben Sprüche über Frauen und ihr Geschlecht könnten auch heute durchaus zu neuer Aufregung führen. «In Bayern hab ich es bis jetzt bloss ausgehalten, weil ich geschrieben habe», sagt der Dichter und Wilddieb Herbert in «Servus Bayern». Und: «Diese Gegend hat mich kaputtgemacht. Und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.»

Letzte Woche ist Herbert Achternbusch in seinem Geburtsort München gestorben. Auf dem Instagram-Profil vom Gasthaus Zum Fischmeister in Ambach wurde vor ein paar Tagen ein gerahmtes, farbiges Gemälde auf Zeitungspapier gepostet. Das Bild, das wohl von Achternbusch selbst stammt, ist umrahmt von vier Zeitungsseiten aus den Rubriken «Feuilleton», «Bayern», «Vermischtes» und nochmals «Bayern». Unter dem Bild ist ein letzter Gruss hinterlegt: «Habe d’Ehre, Herbert».