Philippinen: «Ich fürchte mich»

Nr. 19 –

Ferdinand Marcos Jr. gewinnt die Präsidentschaftswahl in den Philippinen. Das sind schlechte Nachrichten für die Zivilgesellschaft und die Demokratie des Inselstaates.

«Rodrigo Dutertes Regime ist schlimm. Jetzt könnte es noch schlimmer werden. Ich fürchte mich», sagt der philippinische Radiojournalist Rey Morgado nach der Wahl von Ferdinand Marcos Jr. zum neuen Präsidenten des südostasiatischen Inselstaats. Morgado, der auch als Menschenrechts- und Gay-Aktivist tätig ist, hat bis zuletzt auf einen Sieg von Leni Robredo gehofft, der bisherigen Vizepräsidentin, die sich der Armutsbekämpfung verschrieben hat. Diese Hoffnung war nicht unbegründet. Die ehemalige Menschenrechtsanwältin hatte 2016 Ferdinand Marcos Jr., den Sohn des langjährigen Diktators Ferdinand E. Marcos, bei der Wahl ums Vizepräsidium überraschend aus dem Rennen geworfen.

Rey Morgado lebt seit einem Jahr als politischer Flüchtling in der Schweiz, sein Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. In seinem Heimatland ist er wegen Mord zur Fahndung ausgeschrieben. Der 34-Jährige hatte auch ein Verfahren wegen Entführung von Soldaten und Polizisten am Hals. Diese Methode der Strafverfolger:innen nennt sich «Red-tagging». Die Behörden markieren regimekritische Personen als «kommunistisch» – und versuchen, sie dann mit fingierten Anklagen aus dem Verkehr zu ziehen.

Häufig geschehen auch politisch motivierte Morde an Journalist:innen, Menschenrechtsanwältinnen und linken Gewerkschaftern. Aufgeklärt werden diese Morde nie. Der letzte Journalistenmord ereignete sich im Dezember. Ein Killer streckte in der 400 Kilometer südöstlich von Manila gelegenen Stadt Calbayog City den 58-jährigen Reporter Jesus «Jess» Malabanan mit einem Kopfschuss nieder, als dieser gerade Fernsehen schaute. Der bekannte Medienmann hatte vor einigen Jahren an einer preisgekrönten Serie der Nachrichtenagentur Reuters über den sogenannten Drogenkrieg von Präsident Rodrigo Duterte mitgearbeitet. Malabanans Hinrichtung war der 22.  Journalist:innenmord während Dutertes Amtszeit.

Im Griff der Familienclans

An der prekären menschenrechtlichen Lage wird sich nach der Wahl von Ferdinand Marcos Jr., Spitzname «Bongbong», kaum etwas ändern, im Gegenteil. So befürchtet Rey Morgado, dass der Diktatorenspross die autoritäre Herrschaft Dutertes weitertreibt und in eine Diktatur verwandelt. Ökonomisch und politisch beherrschen den Inselstaat knapp zwei Dutzend Familienclans, zu denen der Marcos-Clan und neuerdings auch Dutertes Familie zählen. Beide sind miteinander verbandelt und schätzen sich. So veranlasste Duterte, dass die leiblichen Überreste des Diktators, der 1986 nach einem Volksaufstand ins Exil nach Hawaii fliehen musste, in die Philippinen überführt und auf einem Heldenfriedhof bestattet wurden.

Die Machtstellung dieser Clans ist ein Erbe der spanischen und später der US-amerikanischen Kolonialzeit. Die spanischen Kolonialherren installierten zur Kontrolle der Inselwelt eine Klasse von Grossgrundbesitzern. Die USA gewährten dieser besitzenden Elite politische Mitsprache und verfestigten das System, das die Philippinen bis heute trotz demokratischer Institutionen im Würgegriff hält – und die Mehrheit der Menschen in Armut: 60 Prozent müssen mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen. 23 Prozent der rund 110 Millionen Philippiner:innen sind mit Hunger konfrontiert.

Und doch ist Marcos Jr. gerade unter Armen sehr beliebt. Florincia M., die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, lebt in einem der Armenviertel im Grossraum Manila. Die 44-Jährige sagt: «Unter Ferdinand Marcos ging es den Philippinen gut. Er hat für die Armen sehr viel getan. ‹Bongbong› wird das Erbe seines Vaters fortführen. Darum habe ich ihn gewählt.» Die Näherin verdrängt, dass einst ein Volksaufstand den kleptokratischen Machthaber aus dem Land vertrieb. M. informiert sich wie neunzig Prozent ihrer Landsleute hauptsächlich auf Facebook. Klassische Medien konsultiert sie nicht. Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass sich Marcos’ Wahlkampagne, inklusive Geschichtsklitterung über die Diktatur seines Vaters, auf die sozialen Medien konzentrierte, wo er unbehelligt von kritischen Journalist:innen wirken konnte. Das Feld hat bereits Duterte vorbereitet, indem er die klassischen Medien attackierte. 2020 verweigerte seine Regierung dem grössten und regierungskritischen Medienkonzern ABS-CBN die Erneuerung der TV-Lizenz. Auch gegenüber der Onlineplattform Rappler, die die Nobelpreisträgerin Maria Ressa gegründet hat und nach wie vor betreibt, übte das Regime immer wieder massiven Druck aus.

Abtauchen in den Strassen Manilas

Rey Morgado arbeitete unbemerkt von der Weltöffentlichkeit im Norden der Inselgruppe Mindanao. Als Radiojournalist kommentierte er dort das politische Leben und kritisierte, wie er gegenüber der WOZ sagt, die Politik von Duterte scharf. Ein Dorn im Auge war den Machthabern vor allem, dass der Journalist vor Ort über die Aktivitäten der New People’s Army (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen, berichtete. In den Augen der Regierung war Morgado deshalb selbst ein Kommunist. Er sagt: «Ich bin nicht Kommunist. Ich bin Journalist und halte es deshalb für meine Pflicht, beide Seiten anzuhören und darüber zu berichten.» Nachdem Rey Morgado angeklagt worden war, verlor er seine Arbeit und tauchte im November 2018 gar unter, als er erfahren hatte, dass die Polizei bei ihm zu Hause aufgetaucht war. Er fürchtete, bei seiner Verhaftung erschossen zu werden. Er lebte zwei Jahre auf den Strassen Manilas, ehe ihm letztes Jahr die Flucht in die Schweiz gelang. «Brechen lasse ich mich auch nach diesem Wahlergebnis nicht», sagt er.