070 Shake: Die Liebe, die verdammte Droge

Nr. 26 –

Emo-Rap ohne Suizidgedanken: Auf ihrem neuen, tollen Album «You Can’t Kill Me» besingt die Rapperin 070 Shake das Begehren, den Schmerz immer mit eingerechnet.

Rapperin 070 Shake
Eine Ernsthaftigkeit, wie sie nur Verliebte hinbekommen, ob glücklich oder unglücklich: 070 Shake. Foto: Universal

Könnte bitte jemand den Film zu diesem Soundtrack drehen, Stichworte Coming of Age, Orientierungslosigkeit, Drogen, Heartbreak, relativ viel guter Sex? Wobei der klare Titelsongfavorit noch nicht mal auf dem Album ist, sondern Anfang Jahr ins Internet stolperte: Madonna und 070 Shake in einem Remix von Madonnas «Frozen», auf dem Letztere dem verzweifelten Breakup-Hit von 1998 eine neue Note verleiht: Ich bin high, sagt sie – ruf jetzt nicht an, mach mir bloss nicht meinen Rausch kaputt. Absolut cooler, zurückgelehnter Rap, beide Mittelfinger nach oben.

Tut scheissweh, so eine Trennung. 070 Shake gelingt es auf ihrem neuen Album «You Can’t Kill Me» meisterhaft, dieses wenig originelle, so singulär wirkende Gefühl abzubilden. Aufzulösen ist das bis zum Schluss nicht, aber sterben daran, das wird sie nicht. Zu lebenshungrig, zu wach dafür: Danielle Balbuena, wie Shake bürgerlich heisst, dürfte gerade erst begonnen haben. Eckdaten: 24-jährig, aus New Jersey (daher die Postleitzahl: 070), von Kanye West entdeckt und auf sein Label Good Music geholt, wo 2020 ihr hochgelobtes Debütalbum «Modus Vivendi» erschien. 070 Shake kommt aus dem Emo-Rap, jenem Genre, das Ende des letzten Jahrzehnts die Hoffnungslosigkeit in eine Kunstform goss: Depression, Opioide, offen kommunizierte Suizidgedanken, das Zelebrieren des Konsums und der Verzweiflung. Singen übers Sterbenwollen in verschliffenen, drogenverschmierten Balladen, Rückzug ins absolut Persönliche angesichts einer kaputten Welt. Und eben nicht bloss Kunstform: Einige Exponenten starben sehr jung, XXXTentacion wurde 2018 erschossen, Lil Peep und Juice WRLD starben 2017 beziehungsweise 2019 an Überdosen. Richtig in die Traurigkeit reinliegen, das kann 070 Shake auch, doch völlig bodenlos wird es bei ihr nie, denn schliesslich: «You Can’t Kill Me», dieses Album strotzt vor stolzem Selbstbewusstsein.

Der Stoff, den die Geliebte trug

Die Drogen besang 070 Shake eher freimütig hedonistisch als destruktiv auf ihrem Debütalbum in den Songs «Microdosing» und «Over The Moon», auf «You Can’t Kill Me» wird das Thema kaum mehr expliziert. Aber natürlich ist auch die Liebe eine verdammte Droge, oder ihre Abwesenheit und das damit einhergehende hormoninduzierte Entzugsgefühl. Das wird auch da schon antizipiert, wo die Beziehung noch gar nicht vorbei ist: Nicht jeder Song auf diesem Album ist ein Trennungssong, aber das mögliche Ende ist immer mit eingerechnet. «I’ll always remember» wiederholt sie etwa im schleppenden, gehauchten «Blue Velvet» über die Angst, jemanden jeden Moment verlieren zu können. «Blue Velvet» ist der Stoff, den die Geliebte trug, als sie sich zum ersten Mal nahekamen. Sowieso fällt auf, wie stark körperlich diese Liebe bei 070 Shake auch ist, dieses Begehren und Vermissen – «Never consider I forget about your body» singt sie in «Body», einem runtergekühlten Duett mit Christine and the Queens. Das einzige Feature übrigens auf dem Album, und neben Madonna eine weitere queere Ikone, mit der Balbuena zusammenarbeitet.

Mehr als nur ein Körper für jemanden sein zu dürfen, besingt 070 Shake in der Hyperpopballade «Skin and Bones». Ob die Zeile «kept our love undercover» auf eine frühe Liebe anspielt, als alles noch ein wenig komplizierter war? Balbuena ist lesbisch, schon lange nicht mehr heimlich – sie macht keinen Hehl daraus, aber auch keinen öffentlich ausgetragenen Kampf. Dass sie in einer neuen Beziehung ist, wurde jüngst durch ein Musikvideo der Sängerin Kehlani bekannt: In «melt» feiern die zwei ihr frisches Verliebtsein schön übertrieben kitschig: Knutschen zwischen aufgehängter Wäsche, einander Auskitzeln auf dem Sofa, Rotwein zum Candle-Light-Dinner, fast zwei Millionen Aufrufe auf Youtube, und die Kommentare überschlagen sich vor Freude über das Glück der beiden.

Alles fliesst ineinander

Die Texte auf «You Can’t Kill Me» kommen oft in einer Ernsthaftigkeit daher, wie sie nur Verliebte hinbekommen, ob glücklich oder unglücklich. Vor allem in der zweiten Hälfte des Albums sind sie zuweilen auch etwas flach. Aber das macht nichts, wo in diesen synthetischen Songs doch sonst alles so wunderbar ineinanderzufliessen scheint: die vielen musikalischen Einfälle, die Versatzstücke aus Pop, R’n’B, Hip-Hop, gar ein bisschen Folk, die kalten Beats und die warme, elastische Stimme. Nur mehr wenig Rap, dafür sozusagen Soul mit Hyperpop-Update und der Beweis, dass Autotune nicht einfach Begradigung ist, sondern vielmehr Mittel sein kann, Emotionen zu verstärken. Sowieso ist es Balbuenas Gesang, der diese Songs zusammenhält, die ihre Richtung immer wieder unerwartet ändern, von einer Stimmung zur nächsten springen und wieder zurück. Da kann auf «Wine & Spirits» auf einmal gar ein verboten verkitschtes Stadiongitarrensolo reinspielen, und ach, es ist in Ordnung.

Wegen des Films noch: Balbuena hat in einem Interview einmal gesagt, sollte ihr Leben dereinst verfilmt werden, würde sie gerne von James Franco gespielt. Vielleicht ist ja sogar das eine gute Idee.

070 Shake: You Can’t Kill Me. Good Music. 2022