Intakt Records: Ein flexibler Fels in der Brandung

Nr. 34 –

Seit Anfang des Jahres wird Intakt Records von einem Team geleitet. Das Zürcher Label hat zeitgenössische Jazzgeschichte geschrieben und will weiterhin auf neue musikalische Impulse reagieren.

Florian Keller, Fiona Ryan, Anja Illmaier von Intakt Records
Stehen ein für Kontinuität: Florian Keller, Fiona Ryan und Anja Illmaier haben gemeinsam die Geschäftsleitung übernommen.

Wer interessiert sich heute noch für Major-Labels, die einstigen Giganten der Musikindustrie? Die immer wussten, was gut für eine Band war, und ihr so lange die Treue hielten, bis die nächste besser rentierte? Die Majors sahnen jetzt im Streamingbusiness mit ab. Für die Förderung von wegweisender Musik sind sie oft nicht mehr bedeutend – wichtiger ist der kreative Wildwuchs von unzähligen Kleinstlabels. Oder die Arbeit von eigenständigen Labels, die seit vielen Jahren in Nischengebieten wie dem zeitgenössischen Jazz mit Kontinuität, Qualität und internationaler Beachtung auf‌fallen. Dazu gehört das Zürcher Label Intakt Records.

Mitte der 1980er Jahre im Umfeld des damals aufbruchstarken Taktlos-Festivals entstanden, hat sich Intakt seit den ersten Veröffentlichungen von Irène Schweizer, George Lewis, Günter «Baby» Sommer, Joëlle Léandre, Paul Lovens, Lindsay Cooper, Maggie Nicols, Barry Guy oder Anthony Braxton einen Namen gemacht. Bis heute sind gegen 400 Tonträger erschienen. Die veröffentlichte Musik hat sich nicht glatt geschliffen, neue Musiker:innen stossen dazu und prägen die Ästhetik mit. Regelmässig sind Entdeckungen zu machen. Praktisch jedes Album ist auch ein Kommentar zum Zeitgeist, wie er an den Rändern wirkt und künstlerische Haltungen formt.

Vielfalt und Experiment

Mit «Mut, Offenheit, Kreativität, Bescheidenheit und harter Arbeit» habe sich Intakt über Wasser gehalten, sagt Patrik Landolt, der vor seiner Zeit bei Intakt als Mitgründer die ersten zehn Jahre der WOZ mitprägte. Nach 35 Jahren hat er sich Anfang des Jahres von Intakt verabschiedet. Landolt führte das Label früh in einen Verein über, damit es «wie eine Kultur-NGO» beweglich und erneuerbar bleiben konnte. Mit Sorgfalt wurde auch die Nachfolge aufgegleist. Neu wird das Geschäft des Labels von einem Team, bestehend aus Anja Illmaier, Florian Keller und Fiona Ryan geleitet. Illmaier und Keller haben schon länger bei Intakt mitgearbeitet und sind auch bei den Festivals «unerhört!» und Taktlos involviert.

Was hat dieses junge Team im Sinn? Wird es sich musikalisch neu orientieren? Hören wir die jüngsten Veröffentlichungen, klingt die Musik gewohnt vielfältig und experimentierfreudig: Da ist die Liveaufnahme des Trios «Punkt.Vrt.Plastik» mit seiner perkussiven Intensität und melodischen Verdichtung. Da sind die spannungsvollen Dialoge zwischen Tim Berne am Saxofon und Gregg Belisle-Chi an der Gitarre oder von Ingrid Laubrock am Saxofon und Andy Milne am Piano, die kühle Poesie von Yuko Fujiyama, Graham Haynes und Ikue Mori, die rockige Spielwucht des Dave Gisler Trios mit Jaimie Branch und David Murray, die zwischen Komposition und Improvisation verzahnten Werke des britischen Pianisten Alexander Hawkins. Da ist das neue Pianotalent Elias Stemeseder oder die spirituelle Note des afroamerikanischen Jazz, die Saxofonist James Brandon Lewis zeitgenössisch zum Klingen bringt. Die einheimische Szene ist unter anderem mit Formationen von Omri Ziegele, Lucas Niggli, Christoph Irniger, Stefan Aeby, Yves Theiler, Samuel Blaser, Sarah Buechi oder dem Trio Heinz Herbert und OM vertreten. (Der Schlagzeuger Von OM, Fredy Studer, ist diese Woche gestorben, ein Nachruf erscheint in der nächsten WOZ.)

Beweglich bleiben

Im Gespräch mit dem neuen Team wird klar: Ein Cut-up zum Bestehenden ist nicht angesagt. «Musikalisch werden wir in denselben Feldern unterwegs sein wie bis anhin», sagt Florian Keller. «Wir bleiben am Puls der Zeit und dokumentieren Musik abseits der Genrezuschreibungen.» Das Team ist sich im Klaren, dass das Label organisatorisch und künstlerisch beweglich bleiben muss, um auf die sich rasant verändernde Musikwelt und die Marktlage reagieren zu können. «Da braucht es neben unternehmerischer Kreativität einen langen Atem, viel kritische Reflexion, Skepsis und Analyse in Bezug auf Technologie wie das Streaming.» Wichtig für die Intakt-Community sind die Abonnentinnen und Abonnenten, die zu einem günstigen Preis jedes Jahr sechs bis sieben CDs erhalten.

Den zentralen Werten der Kontinuität und der Erneuerung möchte das neue Team auch in Zukunft gerecht werden. «Das bedeutet einerseits, langjährige und enge Kollaborationen mit Musiker:innen und Bands weiterzuführen und gleichzeitig offen zu sein für neue musikalische Projekte und Tendenzen in der weiten stilistischen Bandbreite des Jazz», sagt Keller.

Das Netzwerk des Labels ist gewachsen. Täglich treffen drei bis fünf Bewerbungen von Bands ein, die auf Intakt veröffentlichen möchten. Das Label muss gewichten, zudem ist ihm auch die Kulturvermittlung ein Anliegen. Keller: «In Anbetracht der Verflachung des Kulturjournalismus und der Veränderung der Medienlandschaft sehen wir es als unsere Aufgabe, neue Wege zur Vermittlung zeitgenössischer Musik jenseits des Mainstreams zu finden, damit unsere Musik zu den Hörer:innen gelangt.»

Seit den ersten Veröffentlichungen mit Irène Schweizer, ihren Duos mit bekannten Schlagzeugern und dem Trio Les Diaboliques hat Intakt immer Raum für Diversität geboten. Das gilt nicht zuletzt in musikalischer Hinsicht. Der Jazz befinde sich seit Jahren in einem Prozess der Ausdifferenzierung, sagt Keller. Akustische Spielformen, elektroakustische Musik, rockorientierte Spielweisen, Einflüsse aus jazzferner nichtwestlicher Musik sowie Techniken und Kompositionsformen der Neuen Musik seien ebenso wichtig wie die Pflege der Jazztradition. Für Letztere steht etwa das Trio von David Murray, Brad Jones und Hamid Drake, das diesen Frühling auf Intakt sein Debüt veröffentlicht hat.

Ein neues Wir

Intakt möchte den gesellschaftlichen Diversitätsdiskurs in seiner Labelpolitik und im Katalog zum Ausdruck bringen und ausserdem die kulturelle Teilhabe stärken. Keller verweist als gedankliche Leitlinie auf den Schwarzen Musiker und Komponisten George Lewis, der in einem seiner Essays schrieb: «Wir müssen gemeinsam ein neues Wir erfinden, das die zeitgenössische Musik nicht als globalisierte, paneuropäische, weisse Klangdiaspora versteht, sondern eher wie den Blues, der von den unterschiedlichsten Menschen in vielen Variationen rund um die Welt praktiziert wird.» Würden wir uns konzeptuell vermehrt in die Situation von Kreol:innen versetzen, schreibt Lewis, «könnten wir unsere gemeinsame Menschlichkeit im Streben nach einer Dekolonisation der Neuen Musik bestärken».

Ausgerüstet mit einer professionellen Infrastruktur, viel Erfahrung und guter Vernetzung, bleibt Intakt Records ein verlässlicher Dreh- und Angelpunkt in der international ausgerichteten Jazzwelt. Florian Keller sagt: «In der heutigen schnelllebigen Projektkultur ist das ein wichtiger Wert.» Die Arbeit der Musiker:innen weiterhin mit qualitativ hochstehenden Produktionen zu dokumentieren und diese möglichst weitherum zu präsentieren und nachhaltig zu etablieren, klingt nach dem üblichen Marketingslang. Für das Intakt-Team ist es Auftrag und Passion zugleich.