Literatur: Sinn und Qual der Arbeit

Nr. 5 –

Julia hat als Krankenpflegerin versagt. Durch die andauernde Überarbeitung ständig erschöpft, hat sie zwei Patientinnen verwechselt und dadurch einen allergischen Schock verursacht. Jetzt ist sie den Job los. Mit ihrem Vater fährt sie zurück in das Dorf in den Bergen, wo er allein im alten Haus lebt. Seine Frau hielt das enge Leben im «Innergebirg» nicht mehr aus und hat ihn verlassen.

Der neue Roman der österreichischen Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher heisst «Wovon wir leben», er handelt aber auch davon, wofür wir leben. Ausgebildet in Care-Arbeit, könnte Julia sich in die Sorge für den alten Vater stürzen, das Haus putzen, ihn bekochen. Aber entgegen seiner Hoffnung entzieht sie sich dieser Aufgabe. Eine Schulfreundin, die sie im Dorf wieder trifft, schlägt ihr vor, sich als Produktdesignerin ausbilden zu lassen, sie habe doch immer so gut gezeichnet. Nie wäre es Julia früher in den Sinn gekommen, daraus einen Beruf abzuleiten. Nun will sie es wagen.

Im Dorf lebt auch ein Fremder, ein «Städter», wie alle sagen, mit dem sich Julia anfreundet. Oskar ist nach einem Herzinfarkt zur Kur hier. Als er für ein Jahr ein Grundeinkommen gewinnt, entscheidet er sich, da zu bleiben und das alte Wirtshaus zu übernehmen. Selbstverständlich setzt er voraus, dass Julia ihm dabei zur Seite steht. Aber Julia will keine Existenz als «Beiwagen des Lebens eines Mannes», sondern etwas Neues, Eigenes aufbauen. Ihre Mutter hat es ihr vorgemacht, sie lebt jetzt in Sizilien.

Der Kampf zwischen Selbstverwirklichung und Aufopferung wogt in Julia hin und her. Dann trifft den Vater ein Schlaganfall. Die Situation wird prekär. Eine 24-Stunden-Pflegerin lehnt er ab. Wofür hat er denn eine Tochter?

Birgit Birnbachers Buch handelt von einer jungen Frau, die alte Rollenmuster überwinden will. Aber es ist auch ein Nachdenken über die Funktion der Arbeit: Leben wir vom Lohn der Arbeit – oder leben wir vom Sinn der Tätigkeit?

Buchcover von «Wovon wir leben»

Birgit Birnbacher: «Wovon wir leben». Roman. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2022. 192 Seiten. 35 Franken.