Wahlen im Kanton Genf: Pierre Maudets Auferstehung

Nr. 14 –

In Genf ist die Linke abgestürzt, der grosse Gewinner der Wahlen vom Sonntag ist ausgerechnet der der Vorteilsnahme schuldig gesprochene ehemalige Staatsrat Pierre Maudet. Was ist da schiefgelaufen?

Die Linke des Kantons Genf erlebte am vergangenen Wahlsonntag ein veritables Debakel. Das Parlament ist nach rechts gerückt: Die Mitte und die rechten Parteien stellen künftig 67 der insgesamt 100 Sitze, SP und Grüne gemeinsam deren 33. Die Linksaussenparteien, die in der letzten Legislatur noch mit 9 Sitzen im Kantonsparlament vertreten waren, haben mit gerade einmal 3,55 Prozent beziehungsweise 3,08 Prozent der Stimmen nicht einmal die 7-Prozent-Hürde geschafft.

Für die grösste Überraschung aber sorgte der ehemalige FDP-Regierungsrat Pierre Maudet. Er ist mit seiner neu gegründeten Liste «Libertés et justice sociale» auf Anhieb ins Kantonsparlament eingezogen. Maudet und seine Bewegung haben insgesamt zehn Parlamentssitze gewonnen. Und Maudet selbst hat gar gute Chancen auf eine Rückkehr in den Staatsrat – aus dem er 2021 auf grossen öffentlichen Druck hin zurückgetreten ist. Er landete auf dem sechsten Platz – wobei keiner der Kandidat:innen für die sieben Regierungsratssitze bisher das absolute Mehr erreicht hat.

Liberalismus à la carte

Das Bundesgericht hatte Pierre Maudet letztes Jahr definitiv der Vorteilsnahme schuldig gesprochen. Dies wegen seiner Luxusreise nach Abu Dhabi im Jahr 2015, zu der sich Maudet samt Familie und ehemaligem Kabinettschef hatte einladen lassen. Genf hat der Affäre Maudet gleich zwei neue Gesetze zu verdanken: Eines reguliert die Annahme von Geschenken durch Staatsräte. Das zweite ermöglicht die Absetzung eines kantonalen Regierungsmitglieds bei Vertrauensbrüchen.

Doch geschadet hat Maudet das alles offenbar nicht. Im Wahlkampf präsentierte er sich als Opfer einer Hetzkampagne der Medien und zeigte sich reumütig. Dass Maudet ein begnadeter Populist ist, zeigte sich bereits während der Pandemie: Er inszenierte sich als Kümmerer und Vertreter der mittelständischen Unternehmen – obwohl der Mann für seine Verbindungen zu grossen Konzernen wie dem Kreuzfahrtunternehmen MSC Croisières bekannt ist. Im Wahlkampf forderte Maudet Steuersenkungen für alle und gleichzeitig eine kantonale Einheitskrankenkasse, besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie den Ausbau von Carsharing und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Maudet besetzt so einmal linke, einmal rechte Themen – und praktiziert damit einen Liberalismus à la carte. Die Strategie ist aufgegangen. Seine Stimmen dürfte Maudet nur zum Teil von Stammwähler:innen der FDP erhalten haben, die im Parlament ein paar Sitze verloren hat. Er dürfte auch von durch die Linke enttäuschten Wähler:innen profitiert haben.

Linksaussen ist gespalten

Viele linke Wähler:innen dürften ihren Unmut über die als neoliberal empfundene Politik ihres eigenen Lagers zum Ausdruck gebracht haben. Die Genfer Linke leistet zwar gute Arbeit an der Basis, nicht aber in der Kantonsregierung. Die Sozial-, Raumplanungs- und Bildungsdepartemente, die von sozialdemokratischen und grünen Staatsrät:innen geführt werden, haben die linken Wähler:innen offensichtlich enttäuscht. Der profitgetriebene Wohnungsbau wird in Genf mit aller Kraft forciert. Wegen der vom Gesamtregierungsrat getragenen Politik der Steuergeschenke sind die Staatskassen nicht gut gefüllt. Soll eine Hochschule, eine Brücke oder ein Museum gebaut werden, ist die Regierung immer öfter auf Philantrop:innen angewiesen. Oft holt sie die Hans-Wilsdorf-Stiftung der Uhrenmanufaktur Rolex zu Hilfe.

Den Linksaussenparteien wiederum gelang es nicht, interne Konflikte sauber aufzuarbeiten – was für Gerüchte gesorgt und zu einem gewissen Vertrauensverlust bei den Wähler:innen geführt hat. Dass sie schliesslich gar mit zwei schwer voneinander abzugrenzenden Listen antraten, hat zu Verwirrung und der Aufspaltung von Stimmen geführt.

Ob Pierre Maudet der Wiedereinzug in den Staatsrat tatsächlich gelingt, zeigt sich beim zweiten Wahlgang am 30. April. Auf dem Spiel steht dann auch die linke Mehrheit in der Kantonsregierung mit Thierry Apothéloz (SP), Antonio Hodgers (Grüne), Fabienne Fischer (Grüne) und Carole-Anne Kast (SP). Selbst wenn die Linke die Mehrheit halten kann, ist ihr Handlungsspielraum in den nächsten Jahren von einem weit rechts stehenden Parlament eingeschränkt. Die kämpferische Linke muss sich in Genf also nun auf die ausserparlamentarische Bewegungsarbeit fokussieren.

Aus dem Französischen von Judith Kormann.