Literatur: Wer Schaf war, soll Wolf werden

Nr. 21 –

Im ersten Roman des Netzsatirikers Sebastian «El Hotzo» Hotz folgt ein trauriger Versager einem Erfolgsguru. Das ist etwas dünn, aber als Porträt einer sinnentleerten Arbeitswelt erzählt das Buch doch viel über unsere Gegenwart.

Sebastian «El Hotzo» Hotz sitzt in einem Oldtimer-Gefährt
Schlaglichter auf die neoliberale Gesellschaft: Sebastian «El Hotzo» Hotz. Foto: Max Sand

Wer in sozialen Medien unterwegs ist, dem dürfte «El Hotzo» ein Begriff sein. Unter diesem Profilnamen hat sich Sebastian Hotz, geboren 1996 in Oberfranken, mit alltags- und gesellschaftskritischem Spott bei Instagram und Twitter mehr als 1,5 Millionen Follower:innen erarbeitet. Bevor er mit Kurzkommentaren im Netz berühmt wurde, absolvierte er bei Siemens eine betriebswirtschaftliche Ausbildung, heute ist er unter anderem Autor für Jan Böhmermanns «ZDF Magazin Royale».

Bei einem derartigen Autorenprofil stellt sich natürlich die Frage, ob jemand, der sich auf pointierte Tweets versteht, auch auf längerer Strecke bestehen kann. Die gute Nachricht lautet: Sebastian Hotz scheint zumindest bewusst gewesen zu sein, dass ein Roman nicht aus einer Aneinanderreihung von Postings entsteht. Sein Buch «Mindset» kommt unprätentiös, fast ein bisschen depressiv daher. Hier geht es nicht um die schnelle Pointe, sondern um ein grösseres gesellschaftliches Bild.

Die beiden Hauptpersonen im Roman sind junge Männer, die nach oben wollen. Maximilian Krach ist Erfolgscoach und risikobereiter Entrepreneur – zumindest inszeniert er sich so. Bei seinen Workshops bombardiert er das Publikum mit neoliberalen Botschaften, am liebsten in Form von Tiermetaphern. Der Weg zum Erfolg beginne «mit der Entscheidung, sein MINDSET zu ändern, kein Schaf mehr zu sein, sondern ein Wolf zu werden». Nur so, predigt Krach, könne man sein «Potenzial entfesseln».

Zu gut zum Jammern

Mirko hingegen ist ein unscheinbarer, sozial isolierter IT-Techniker aus Gütersloh, der ebenso trostlos lebt, wie er denkt: «So wie er gerade dasitzt, über das Handy gekrümmt, sein Tagesablauf nur daraus bestehend, seinen Blick von einem Bildschirm zum nächsten zu bewegen, an einen Job gefesselt, der zu gut ist zum Jammern und zu schlecht für alles andere, so ist Mirko wirklich ein Versager.»

Die Botschaften von Krach Consulting, die ihn über das Smartphone erreichen, wecken bei Mirko irgendwann den Wunsch, auszubrechen – und so schwänzt er die Arbeit, um einen Workshop von Maximilian Krach zu besuchen. Die Anweisungen des Erfolgsgurus mobilisieren ihn; fiebernd wartet Mirko darauf, was ihm der Coach via Chatgruppe als Nächstes befiehlt. Leider ist Mirko nicht besonders erfolgreich in der Umsetzung: Als Höhepunkt seiner neuen Entwicklung besucht er ein Schützenfest, auf das ihn seine Kollegin Angela mitnimmt und wo ihm zufällig so etwas wie Anerkennung zuteilwird. Immerhin.

Der Witz an Sebastian Hotz’ Geschichte besteht darin, dass der Prophet Maximilian und sein Jünger Mirko einander viel ähnlicher sind als zunächst vermutet. Denn Krach ist ein Blender: Seine Uhren sind gefälscht, die Geschäftsreisen und die teuren Autos frei erfunden. In diesem Sinne kreist der Roman letztlich um ein fast schon soziologisches Motiv, nämlich um labile Männlichkeit. Wer in der neoliberalen Gesellschaft attraktiv sein will, muss Erfolg vorweisen; damit sich dieser einstellt, muss man an der eigenen Geisteshaltung feilen, dem «Mindset» (siehe WOZ Nr. 2/23). Und wenn der Erfolg dann trotzdem ausbleibt, muss man ihn notfalls eben simulieren. Ein bisschen wie in der Netflix-Serie «Inventing Anna», in der die ebenfalls aus trostlosen Verhältnissen stammende Hochstaplerin Anna Delvey die High Society von New York an der Nase herumführt. Nur gibt es bei Hotz und seiner Hauptfigur Krach nicht mal Glamour, sondern nur traurigen Betrug.

Kaum Konturen, kaum Konflikte

Es liesse sich einiges einwenden gegen diesen Roman. Die Figuren sind kaum konturiert, mögliche Konflikte zwischen ihnen werden zu wenig entfaltet, es gibt praktisch keine Persönlichkeitsentwicklung. Insofern plätschert die Geschichte streckenweise recht ziellos dahin. Auch sprachlich bleibt der Text unter den Möglichkeiten: ein bisschen popliterarische Alltagsreferenz, ein bisschen Sprachkritik.

Trotzdem ist «Mindset» ein interessanter Roman, denn er umkreist ein Thema, zu dem sein Autor offenkundig einiges zu sagen hat. Eigentlich erzählt das Buch nämlich von sinnentleerten Arbeitsverhältnissen und domestiziertem Begehren. Je geistloser die Realität, desto aufdringlicher die marktschreierischen Aufforderungen, etwas aus sich zu machen, und desto trauriger der Vorstellungshorizont der Subjekte. Ein gutes Leben – für Maximilian und Mirko ist das nicht viel mehr als soziale Anerkennung dank Statuskonsum. Das hat schon sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun, wird in der deutschsprachigen Literatur aber eher selten verhandelt.

Auch wenn Story und Figuren ein bisschen dünn daherkommen, gelingt es dem Roman also durchaus, ein Gesellschaftsbild zu zeichnen. Hotz zeigt eine trostlose Arbeitswelt, in der sich die ganze Energie der Betroffenen darauf beschränkt, die Einöde des Angestelltendaseins durch die Einöde der Investmentkarriere zu ersetzen. Gewiss hätte er mehr aus dem Stoff machen können, wenn er seinen Figuren mehr Leben eingehaucht hätte. Doch als Schlaglicht auf die neoliberale Gesellschaft ist «Mindset» kein schlechter Debütroman für einen gerade einmal 27-jährigen Autor.

Buchcover von «Mindset»

Sebastian Hotz: «Mindset». Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2023. 288 Seiten. 34 Franken.