DNA-Gesetz: Wird verdächtig, wer zu viel Hamburger isst?

Nr. 32 –

In Luzern soll ein Vergewaltigungsfall mit einer neuen umstrittenen DNA-Analyse aufgeklärt werden. Die Erfolgschancen sind klein – der potenzielle Schaden dafür erheblich.

Die Luzerner Staatsanwaltschaft betritt neues, unsicheres Terrain. Sie will den Vergewaltigungsfall von Emmen mit einer gerade erst legalisierten, umstrittenen Genanalyse aufklären. Ein unbekannter Täter hat vor acht Jahren eine junge Frau am Ufer der Reuss vom Velo gerissen und vergewaltigt. Die 26-Jährige erlitt dabei so schwere Verletzungen, dass sie heute querschnittgelähmt ist.

Am Tatort entdeckten Ermittler:innen DNA-Spuren, die sie dem mutmasslichen Täter zuordnen. Und trotzdem konnte er nicht identifiziert werden: Ein Massengentest bei fast 400 Männern, die in der Umgebung des Tatorts wohnten, brachte die Ermittler:innen nicht auf die Spur des Täters. Weil auch ein gross angelegter Handysuchlauf ins Leere lief und eine ausgesetzte Belohnung keine Hinweise brachte, sistierte die Luzerner Staatsanwaltschaft 2018 die Untersuchung schliesslich. Doch bald könnte sie diese von neuem aufnehmen.

Anfang Monat ist das revidierte DNA-Gesetz in Kraft getreten – es gibt Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, DNA-Proben auf eine Vielzahl sogenannt phänotypischer Merkmale hin zu untersuchen. Bis dahin waren diese Analysen aufgrund grundrechtlicher, ethischer und fachlicher Bedenken verboten. Nun ist es gestattet, nach schweren Gewalt- und Sexualdelikten aus DNA-Spuren Informationen zu Haar-, Haut- und Augenfarbe, zum Alter sowie zur «biogeografischen Herkunft» herauszulesen – wobei die Zuverlässigkeit der Analysen stark variiert. So werden etwa blonde Haare nur zu 69 Prozent richtig erkannt, schwarze immerhin zu 87 Prozent.

Doch die Staatsanwaltschaft Luzern hat die hohen Erwartungen, dass die brutale Tat nun endlich aufgeklärt werden kann, mit ihrer Ankündigung selber geschürt. Andere angefragte Staatsanwaltschaften, wie etwa jene in Zürich oder Baselland, erklären, sie würden nie über ihre Ermittlungsmethoden informieren, so auch nicht über den etwaigen Einsatz der neuen DNA-Analysen. In Luzern dagegen setzt sich die Behörde jetzt selber unter Druck, einen Durchbruch zu erzielen.

Genetische Diskriminierung

Ob die Erwartungen berechtigt sind? Der Soziologe Tino Plümecke, der zu forensischen Gentests forscht und beim gentechkritischen Basler Verein Biorespect arbeitet, ist skeptisch. Weil das Opfer bereits Angaben zu Aussehen und Sprechweise des Täters gemacht habe, könne die DNA-Analyse allenfalls noch neue Angaben zur biogeografischen Herkunft beisteuern. «Doch diese ist fehlerbehaftet», bestätigt Plümecke. Vor allem bei Menschen, deren Eltern aus zwei verschiedenen Regionen stammten, produziere die Analyse irreführende oder gar falsche Resultate. Eine Forschungsgruppe im deutschen Freiburg habe beispielsweise herausgefunden, dass asiatisch-europäische Personen als «afghanisch» identifiziert würden. «Gerade in einem Einwanderungsland wie der Schweiz sind komplexe Befunde häufig», sagt Plümecke.

Auf internationaler Ebene sind bis heute nur wenige Kriminalfälle bekannt, die dank der phänotypischen Genuntersuchung aufgeklärt werden konnten. Der Nutzen der Methode sei also gering – der gesellschaftliche Schaden, den sie anrichte, könne auf Dauer aber erheblich sein, warnt Plümecke: «Wenn es Resultate gibt, betreffen diese fast ausschliesslich Angehörige von Minoritäten.»

Der Begriff dafür lautet «genetische Diskriminierung». Denn kommt ein:e Täter:in aus der Mehrheitsgesellschaft, nützt die erweiterte DNA-Analyse kaum etwas, weil sie die Täterschaft zu wenig eingrenzt. Plümecke schaute sich zwei Anwendungsfälle in Bayern an, einmal beim sogenannten «Allgäuer Triebtäter», einmal beim «Isar-Mord». Die biogeografische Untersuchung ergab in beiden Fällen, dass der Täter ein Europäer mit braunen Haaren sein müsse. «Das hat zu nichts geführt, es gab keinen Ermittlungsfortschritt. Auch in den Medien wurde dieses Scheitern der Technologie nicht debattiert.»

Umgekehrt können Beschreibungen eines mutmasslichen Täters ganze Bevölkerungsgruppen unter Verdacht stellen. So kam es in Emmen schon 2015 zu rassistischen Ausfällen nach der Tat: Nachdem das Opfer erklärt hatte, der Täter habe gebrochen Deutsch gesprochen, und die Behörden diese Information veröffentlicht hatten, plakatierte die rechtsextreme Pnos im Ort und machte die SVP Stimmung gegen Ausländer:innen und die Zuwanderung. Sollte die Luzerner Staatsanwaltschaft mit unspezifischen Ergebnissen der neuen DNA-Analyse einen erneuten Zeugenaufruf veröffentlichen, könnte sich dies wiederholen.

Hohe Erwartungen

Der Sprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft, Simon Kopp, verspricht, seine Behörde werde mit grösster Sensibilität vorgehen. Er sagt: «Jeder Zeugenanruf löst immer etwas aus, es ist unsere Hauptaufgabe, das sorgfältig zu prüfen und abzuwägen.» Ob neue Informationen veröffentlicht würden und die Untersuchung wiederaufgenommen werde, entscheide die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der DNA-Analyse, sagt Kopp. Bedingung dafür sei, dass diese neue Hinweise enthalte.

Es ist also gut möglich, dass die Ermittlungen auch nach dieser Auswertung weiter feststecken. Doch die Unzulänglichkeiten der DNA-Analysen in der Ermittlungsarbeit tun den hohen politischen und polizeilichen Erwartungen an die Technologie keinen Abbruch. Aussagen aus Gentests geniessen ein hohes Vertrauen, weil sie Wissenschaftlichkeit versprechen. Kaum überraschend arbeiten Forensiker:innen fleissig an Erweiterungen der Methode.

Matthias Wienroth verfolgt diese Entwicklung seit mehr als einem Jahrzehnt. Er forscht an der Northumbria University im nordenglischen Newcastle zu ethischen und sozialen Aspekten forensischer Genetik. Obwohl die Phänotypisierung noch nicht vollends erforscht sei, würde versucht, immer neue Informationen aus DNA-Proben zu ziehen, sagt Wienroth.

Als Nächstes könnten Aussagen zum Lebensstil einer Person Eingang in forensische Analysen finden, ob sie Alkohol trinke oder Drogen nehme, ob sie sich gesund oder ungesund ernähre. «Das wird in der Forschung stark vorangetrieben», sagt Wienroth. Eine problematische Entwicklung, findet er: «Künftig wird wahrscheinlich nicht mehr nur nach dem Aussehen unterschieden, sondern auch nach dem ‹Lifestyle›.» Wird bald verdächtig, wer zu viel Fastfood konsumiert oder zu wenig Sport treibt?

Keine Kontrolle

Derweil fehlen Daten dazu, was die Methode wirklich zur Ermittlungsarbeit beitragen kann. Auch das findet Matthias Wienroth unbefriedigend. Kommuniziert würden von vielen Forensiker:innen und den Behörden in der Regel lediglich Erfolge, aber nur selten, wenn die Phänotypisierung nichts gebracht habe. Und auch an der nötigen Kontrolle fehlt es – insbesondere in der Schweiz. «Kein europäisches Land geht so weit bei den DNA-Analysen wie die Schweiz, ohne jegliche spezialisierte Kontrollinstanzen», sagt Wienroth.

Ein Beispiel, wo der Umgang mit forensischer DNA-Phänotypisierung bedachter erfolge, seien die Niederlande. Dort würde der Einsatz kontrolliert und die Polizei zudem geschult, wie sie die Ergebnisse solcher Analysen angemessen kommuniziere, ohne dass ganze Bevölkerungsgruppen in Generalverdacht gerieten. «Ich frage mich», sagt Matthias Wienroth, «warum man sich in der Schweiz vor der Regulierung solcher Technologien zu fürchten scheint.»