Kommentar zu den Wahlen in Polen: Ein wegweisender Ausgang für Europa?

Nr. 42 –

Das polnische Wahlergebnis gibt Anlass zur Hoffnung. Für Entwarnung ist es aber noch zu früh.

«Die Demokratie hat gewonnen» – so vollmundig bejubelte Donald Tusk, ehemaliger und womöglich künftiger Ministerpräsident, am Sonntag das vorläufige Ergebnis der polnischen Parlamentswahlen. Dass die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die absolute Mehrheit verpasst hat und damit der Weg frei wird für ein neues Regierungsbündnis, angeführt von Tusks liberaler Bürgerkoalition (KO), machte den bisherigen Oppositionschef zum «glücklichsten Menschen der Welt».

Zu Hochstimmung führte der inzwischen bestätigte Ausgang der Wahl auch bei Vertreter:innen der EU. Quer über den Kontinent war in liberalen und progressiven Kreisen ein Aufatmen zu vernehmen. Viele dürften mit Guy Verhofstadt einig sein: Der Abgeordnete der liberalen Fraktion Renew Europe sprach von einem «Triumph der proeuropäischen Opposition».

Tatsächlich gibt es aus europäischer Sicht Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Die PiS stand in ihrer achtjährigen Regierungszeit für die Aushöhlung der Demokratie, für die Beschneidung von Pressefreiheit und Gewaltenteilung. Sie agitierte offen gegen die europäische Integration, legte sich – etwa im Streit um die beschnittene Unabhängigkeit der polnischen Justiz – mit Brüssel an, betrieb rassistische Propaganda gegen Migrant:innen und hetzte gegen LGBTIQ. Zusammen mit dem ungarischen Fidesz prägte sie mitten in Europa das Modell der «illiberalen Demokratie» und setzte neue Massstäbe für einen autoritären Umbau von Staat und Gesellschaft.

Wie sich die Rückbesinnung auf die Rechtsstaatlichkeit gestaltet, muss sich nun zeigen. Ein Selbstläufer wird dies mit Sicherheit nicht. In der EU und besonders im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschef:innen verlagert sich das Gewicht aber immerhin zuungunsten von Rechtspo­pulistinnen und Anhängern aggressiver Nationalstaatlichkeit: Mit dem Ausgang der Wahl in Polen fehlt dieser Strömung künftig ein zentraler Protagonist.

Fraglich bleibt, inwieweit das Wahlergebnis Signalwirkung hat und die so titulierte europäische Schicksalswahl auch die politische Landschaft und Kultur des Kontinents beeinflusst. Dass Ungarn und Polen zuletzt eine solche Funktion hatten, steht ausser Frage. Ungarn prägte Mitte der zehner Jahre das europäi­sche Grenzregime mit dem unbedingten Willen zum Zaunbau. In Polen hetzte in jener Zeit Aussenminister Witold Waszczykowski gegen einen «neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen».

Nicht wenige im Westen der EU lachten über die grotesken Tiraden. Längst aber hat sich das Gedankengut auch in ihren Gesellschaften verbreitet, es wabert durch Onlineforen, Tweets und rechtspopulistische Medien. In Staaten wie Deutschland, Belgien, den Niederlanden oder Österreich wird die Frage immer dringlicher, ob etablierte Parteien Koalitionen mit Akteuren eingehen, die solchen Ideologien anhängen. In Schweden und Finnland sind diese direkt oder indirekt an der Regierung beteiligt. In der Slowakei ist der Populist Robert Fico soeben als Premier zurückgekehrt. Polen fällt nun wohl aus dem bereits befürchteten illiberalen Block in Zentraleuropa heraus. Doch kann das auch einen Dominoeffekt zurück in Richtung offener Gesellschaften anstossen?

Gerade im Hinblick auf die EU-Wahlen 2024, die den Kontinent nach rechts rücken könnten, wäre dies von grosser Bedeutung. Vor den Wahlen 2019 verkündete der belgische Rechtspolitiker Mischaël Modrikamen, der mit Trump-Ideologe Steve Bannon an einem globalen rechtspopulistischen Netzwerk bastelte, es gehe ihm und seinen Mitstreiter:innen weniger um Legislaturperioden als um eine Veränderung der politischen Kultur. Insofern bietet Polen einen Hoffnungsschimmer, aber noch keine Entwarnung.