Bundesratswahlen: Ins Gelingen verliebt

Nr. 49 –

Der eine baut Brücken, der andere schüttet Gräben zu: Beat Jans und Jon Pult inszenieren sich vor den Bundesratswahlen als Politiker des Ausgleichs. Was haben die beiden SP-Männer wirklich vorzuweisen?

Beat Jans und Jon Pult an einer Pressekonferenz
Am 13. Dezember besetzt die Bundesversammlung den Sitz des abtretenden Alain Berset neu. Die SP stellt Beat Jans und Jon Pult zur Auswahl. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Beat Jans und die Gleichstellung

Wer nach Einschätzungen zu den Qualitäten von Beat Jans sucht, merkt: Mehr als nette Worte gibt es nicht abzuholen. Jedenfalls wenn die Angefragten mit ihrem Namen hinstehen sollen. Zu gross ist eine Woche vor der Bundesratswahl die Furcht in Basel-Stadt, dass nach Eva Herzog wieder eine Basler Kandidatur scheitern könnte – und der Kanton in Selbstmitleid versinkt.

Aber mit netten Worten ist noch niemand erklärt. Deswegen sind vielfältige anonyme Meinungen in diesen Text eingeflossenen, von politischen Weggefährt:innen, aus Verbänden, der SP, von der Basta! und von den Grünen. Doch das Stimmungsbild bleibt ähnlich: Es ist fast nur Gutes zu vernehmen.

Sein Prinzip: Fokussieren

Aussagekräftig ist vor allem Jans’ relativ kurze Zeit in der Kantonsregierung von Basel-Stadt. 2020 trat er als Nationalrat zurück, nachdem er gleich im ersten Anlauf zum Regierungspräsidenten gewählt wurde. Das Präsidialdepartement, das bis zu seiner Wahl nie viel mehr hervorgebracht hatte als Konzepte und Kontroversen, wurde unter Jans zum Treiber der gesellschaftlichen Veränderung. Und das, obwohl es seit den letzten Wahlen keine linke Mehrheit mehr in der Regierung gibt.

Jans brachte Tempo in die Basler Politik. Das neue Gleichstellungsgesetz ist das fortschrittlichste der Schweiz. Weil es geschlechtliche und sexuelle Minderheiten umfassend einschliesst und dem Schutz vor Diskriminierung unterstellt. Die Bestätigung durch den Grossen Rat fehlt zwar noch, doch sie gilt als Formsache. Dabei waren die zentralen Punkte lange Gegenstand einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung. Neben konservativen wehrten sich auch feministische Kreise gegen die Öffnung für LGBTIQ+, vor allem aus Angst, marginalisiert zu werden. Die «Emma» titelte: «Basel will die Frauen abschaffen!», weil im Entwurf zeitweise nicht mehr von «Frauen» und «Männern» die Rede war.

Jans bezog alle relevanten Gruppierungen in die Ausarbeitung des Gesetzes ein, nahm Einwände auf und schliff so lange an einzelnen Formulierungen, bis sich alle mitgenommen fühlten. Dass er ein fähiger politischer Handwerker ist, zeigt sich auch darin, dass er rechtzeitig ans Geld dachte: Die Budgeterhöhung für den erweiterten Diskriminierungsschutz beantragte er im Parlament schon vor Abschluss der Arbeiten am Gesetz. Als genügend Mittel für alle externen Fachstellen da waren, beruhigte sich die Debatte.

Mit zusätzlichen Geldern löste Jans auch einen Konflikt im Kulturbereich auf, wo die Clubsparte Zugang zum riesigen Fördertopf der klassischen Kultur verlangte. Mehr Geld ist im reichen Basel ein beliebter politischer Lösungsweg – der auf Bundesebene, wo es gerade wieder ums Sparen geht, kaum funktioniert. Jans selber meint dazu: «Ich werde mich im Fall meiner Wahl dafür einsetzen, dass für die wichtigen Themen genügend Geld da ist.»

Sein Prinzip, sagt er, heisse: Fokussieren. Etwa in der Klimapolitik. «Ich konzentriere mich auf jene zwanzig Prozent der Massnahmen, die achtzig Prozent der Wirkung bringen», sagt Jans. Zu viel Energie gehe in der Auseinandersetzung um einzelne ideologisch aufgeladene, aber klimapolitisch unbedeutende Geschäfte verloren. So würden die übergeordneten Ziele gefährdet.

Pakt mit dem Gewerbe

In Basel-Stadt schaffte Beat Jans jedenfalls, was in der Klimapolitik selten gelingt: Er legte einen Plan vor, der sowohl von Links-Grün und Umweltorganisationen als auch von der Wirtschaft getragen wird. Vor gut einem Jahr sagte die Stimmbevölkerung deutlich Ja dazu, dass Basel-Stadt bis 2037 klimaneutral sein muss. Daraufhin schuf Jans Begleitgruppen mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer Strategie. Ende September präsentierte er diese: Das Auto erhält weniger Platz in der Stadt und muss elektrisch betrieben sein. Öl und Gas als Energieträger müssen nach und nach abgelöst, die Fernwärme zu hundert Prozent klimaneutral werden.

Es sind alles Forderungen, die noch vor wenigen Jahren heftigen Widerstand bei Wirtschaftsverbänden ausgelöst hätten. Dort kämpfte man noch bis vor kurzem mit Referenden um jeden Parkplatz. Doch unlängst stand der Basler Gewerbedirektor Reto Baumgartner zusammen mit Jans im Studio von Telebasel und erklärte: «Wir sehen die Klimastrategie als grosse Chance an und wollen Teil der Lösung sein.» Der erwartete Schlagabtausch entfiel.

Ob die Gemengelage so harmonisch bleibt, zeigt sich, wenn Jans im nächsten Jahr die konkreten Massnahmen zur Umsetzung der Klimaziele vorlegt. Doch klar ist, dass seine Methode bislang produktiv ist. In knapp drei Jahren im Amt hat er dem überflüssig wirkenden Präsidialdepartement Legitimität verliehen.

Fraglich bleibt, ob seine Herangehensweise auch in Bern funktioniert. Ob der «Brückenbauer», als den sich Jans derzeit ein bisschen zu oft bezeichnet, auch im Bundesrat gefragt ist. Gerade die Gesundheitspolitik, die Jans im Fall seiner Wahl vermutlich verantworten müsste, wird von Lobbygruppen blockiert, die geübt darin sind, ihre Profite um jeden Preis zu sichern. Schon Alain Berset setzte lieber auf runde Tische als auf klare Vorgaben, um Reformen voranzutreiben – und scheiterte damit weitgehend. Brücken sind eben nur dann sinnvoll, wenn jemand den Fluss überqueren will.

Jon Pult und die Staatspolitik

Wer als Sozialdemokrat in Graubünden politische Erfolge erringt, muss aus besonderem Holz geschnitzt sein. Im grössten Kanton des Landes fristet die Linke ein Minderheitendasein. Sie hält im Grossen Rat weniger als ein Viertel der Sitze. Und genau dort, in der Südostschweiz*, gegenüber einer bürgerlichen Übermacht, hat Jon Pult den grössten Teil seiner Politkarriere gemacht: als Gemeinderat in Chur, als Grossrat im Kanton, von 2009 bis 2016 als Präsident der kantonalen SP-Sektion. Und dabei immer mal wieder auch gewonnen.

Etwa vor zehn Jahren, als Graubünden eine Initiative annahm, die dem kantonalen Energiekonzern Repower die Beteiligung an Kohlekraftwerken verbot. Pult hatte dafür an einer grossen Allianz mit Umweltverbänden, Grünen und GLP mitgezimmert, die sich gegen die Kantonsregierung und den fundamentalen Widerstand aus Wirtschaftskreisen durchsetzte. Gleich zweimal war er zudem federführend daran beteiligt, Bündner Olympiakandidaturen abzuwenden: 2013 und 2017 gewannen Linke und Umweltverbände entsprechende Abstimmungen gegen sämtliche bürgerliche Parteien und die mächtigen Wirtschafts- und Tourismusverbände.

Idealismus und Pragmatismus

Wie ist das zu schaffen? Wer politisch mit ihm zu tun hatte und hat und wer ihm wohlgesinnt ist, beschreibt Jon Pult üblicherweise als beflissenen Strategen und Netzwerker. Als stabilen Sozialdemokraten mit Machtbewusstsein, der keine Politik fürs Schaufenster mache, sondern diese nach erreichbaren Zielen ausrichte. Als interessierten Zuhörer, der zugleich klar sei in der Ansage. Der wisse, wie für linke Anliegen politische Mehrheiten zu schaffen sind: indem er zum Gespräch mit restlos allen Interessengruppen bereit sei und die Zusammenarbeit suche. Ein «Glücksfall» sei Pult gewesen, heisst es aus dem Umfeld des Vereins Alpeninitiative, dessen Präsidium er 2014 übernahm: «blitzschnell» im Erfassen politischer Opportunitäten, und das schon als damals 29-Jähriger.

Was dabei auffällt: Pults kantonale Vorzeigeefforts fussten oft auf einem gewissen Pragmatismus. So betrafen sie weniger die sozialpolitischen SP-Kernthemen, sondern neben Umweltanliegen etwa staatspolitische Vorlagen. Unter anderem eine Gebietsreform, die den Kanton Graubünden administrativ modernisieren sollte und die Pult gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden anstrebte. Vielleicht charakteristisch für seinen Politstil trat Pults SP 2014 mit dem wenig aufmüpfigen Slogan «Mut zur sorgfältigen Entwicklung» zu den kantonalen Wahlen an. Gleichzeitig trug er mit dieser Haltung jahrelang – und letztlich erfolgreich – zu einer Wahlgesetzreform bei, hin zum Proporzsystem, das der Linken im letzten Jahr beträchtliche Sitzgewinne im Grossen Rat ermöglichte.

Demgegenüber betont Jon Pult, dass er durchaus auch sozialpolitische Erfolge erkämpft habe. Etwa als er im Churer Gemeinderat 2011 eine Mehrheit organisiert habe, um den Abbau von Sozialleistungen im Rahmen eines Sparpakets abzuwenden. «Darauf bin ich besonders stolz, denn das hatte reale Auswirkungen für viele Menschen», sagt er. Aber grundsätzlich stimmt er zu, dass sich seine Politik immer auch an der Machbarkeit orientiere. Idealismus und Pragmatismus seien keine Gegensätze, sagt Pult, denn wer als Sozialdemokrat in ein Parlament gewählt werde, müsse letztlich «ins Gelingen verliebt» sein.

Der Überzeugungsarbeiter

Seit er vor vier Jahren in den Nationalrat gewählt wurde, hat Pult auch Niederlagen eingefahren. Es sticht die verlorene Abstimmung zum Medienpaket vor bald zwei Jahren heraus: Als Präsident der nationalrätlichen Fernmeldekommission hatte er sich stark für die Vorlage eingesetzt, einen gutschweizerischen Medienförderungskompromiss. Andernorts gelang ihm Beachtliches. Erst kürzlich hat der Bundesrat endlich eine Verordnung zur Schaffung einer unabhängigen Expert:innenkommission für belastetes Kulturerbe verabschiedet – als Ergebnis einer Motion, die Pult vor zwei Jahren eingereicht hat. Dieser Erfolg stehe beispielhaft für seine Art, zu politisieren, sagt eine Weggefährtin: Über sämtliche Parteigrenzen hinweg habe er dafür Überzeugungsarbeit geleistet.

Das kommt auch auf der Gegenseite an. Früher, als Jungpolitiker, hätten sie im Bündnerland teils energisch gegeneinander gekämpft, sagt Martin Candinas von der Mitte-Partei. Heute lobt er seinen Nationalratskollegen für sein handwerkliches Können und die Zusammenarbeit in den Bereichen, bei denen man auf der gleichen Seite stehe: beim öffentlichen Verkehr oder auch in der Medienpolitik. «Auf ihn ist Verlass», sagt Candinas. Und als Präsident der Fernmeldekommission, in der Candinas ebenfalls sitzt, habe Pult bewiesen, dass er auch bundesrätlich auftreten könne: vermittelnd, sachlich, kollegial.

Weder Medienleute noch Unterstützer:innen vergessen jeweils zu unterstreichen, mit welch grossem rhetorischem Talent Jon Pult gesegnet sei. Dass er dieses als Strategie- und Kommunikationsberater aber gleich zu seinem Beruf gemacht hat, fliegt ihm derzeit um die Ohren: Manche Landwirt:innen im Parlament bezeichnen ihn aufgrund einer drei Jahre alten Agrarpolitkampagne seiner Zürcher Kommunikationsagentur mittlerweile als «unwählbar». Nun kann Pult beweisen, dass er auch diesen Graben noch rechtzeitig zuzuschütten vermag.

* Korrigendum vom 7. Dezember 2023: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise Südwestschweiz. Korrekt ist natürlich: Südostschweiz.