Film: Papas letzter Geburtstag

Nr. 49 –

Filmstill aus «Tótem»
«Tótem». Regie und Drehbuch: Lila Avilés. Mexiko / Dänemark / Frankreich 2023. Jetzt im Kino.

Eine Mutter scherzt mit ihrer kleinen Tochter in einer öffentlichen Toilette. Sie sind auf Shoppingtour, ihre Stimmung scheint aufgekratzt, geradezu ausgelassen. Wenig später sitzen sie gemeinsam im Auto und reden über Wünsche. «Ich wünschte, Vati würde nicht sterben», sagt die siebenjährige Sol (Naíma Sentíes), und mit einem Schlag erscheint alles in einem anderen Licht.

Der Tod eines Nächsten berührt auf intime Weise. Die mexikanische Regisseurin Lila Avilés trägt dem Rechnung, indem sie ihren Film «Tótem» grösstenteils an Orten des Intimen spielen lässt: im Badezimmer, in der Küche, in der Ankleide, dort, wo Menschen sich unbeobachtet fühlen und ihre sozialen Masken fallen lassen. Die Handlung erstreckt sich über einen einzigen Tag: Sol und ihre Mutter Lucia (Iazua Larios) fahren ins Haus des Grossvaters, wo Sols kranker Vater (Mateo García Elizondo) gepflegt wird und Sols Tanten ein offenbar letztes, grosses Geburtstagsfest für ihn vorbereiten. Erzählt wird aus der Perspektive der Kleinen, aber im Zentrum stehen weniger ihre Gefühle als vielmehr das feine Gewebe der Beziehungen in der Grossfamilie.

Sei es eine fliehende Eidechse im Garten oder der Eifer, mit dem eine der Tanten einen Kuchen für ihren Bruder backen will: Im Beobachten dessen, was alles um sie herum vorgeht, wird Sol zum Instrument, das mit geschärfter Aufmerksamkeit registriert, ohne einordnen zu können. Der Onkel bringt ihr einen Goldfisch mit und spricht mit seinen Schwestern verklausuliert über Chemotherapie und Behandlungskosten.

Der Grossvater wiederum, der nur über einen elektronischem Stimmverstärker kommunizieren kann, hält die Feier für einen Fehler. Aber immer, wenn Sol ihren Vater sehen will, bekommt sie gesagt, dass der sich ausruhen müsse für den Abend. Nur einmal, allein in einem Versteck im Schuppen, weint Sol deswegen. Ohne je auf die Tränendrüsen zu drücken, entfaltet der Film allein aus diesem Mosaik der Beiläufigkeiten eine emotionale Kraft, der man sich nur schwer entziehen kann.