Biodiversität: Mitte gegen Vielfalt

Nr. 50 –

Ein besserer Schutz von Arten und Ökosystemen ist nötig. Trotzdem weigert sich der Ständerat, auf einen Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative einzutreten. Damit geht er sogar dem SVP-Bundesrat Albert Rösti zu weit.

Wildblumenwiese bei Feldis GR
Wiesen mit so vielen Blumen wie hier in Feldis GR sieht man im Mittelland nur noch selten. Die Biodiversitätsinitiative will die artenreichen Gebiete besser vernetzen. Foto: Ursula Häne

Der Wolf ist zurück. Der Biber fällt wieder Bäume an den Flüssen, sogar direkt beim Zürcher Platzspitz. Der Bartgeier kreist wieder über den Alpen. Doch solche «Rückeroberungen» sind Ausnahmen: Strassen und Siedlungen, zu hohe Düngermengen und verbaute Gewässer bedrohen die Biodiversität der Schweiz. Mehr als ein Drittel der hierzulande bekannten Pflanzen-, Tier- und Pilzarten ist gefährdet oder schon ausgestorben. «In den tieferen Zonen gibt es ein ausgeprägtes Biodiversitätsdefizit», schreibt das Bundesamt für Umwelt.

Wie beim Klima ist auch bei der Biodiversität der wissenschaftliche Konsens klar: Es muss dringend gehandelt werden. Einzelnen Arten gehe es tatsächlich besser, sagt Biologe Lukas Berger, Leiter des Forums Biodiversität Schweiz. «Zum Beispiel Libellen und Amphibien, die von der Revitalisierung der Gewässer profitieren. Wenn man etwas macht für die Biodiversität, sieht man eine Wirkung.» Das sei ermutigend. «Aber die bisherigen Massnahmen reichen nicht, um den Abwärtstrend zu stoppen.»

Mehr Geld und mehr Vernetzung

Naturschutzkreise haben deshalb 2020 die Biodiversitätsinitiative eingereicht, zusammen mit der inzwischen zurückgezogenen Landschaftsinitiative. «Wir wollen einen stärkeren Schutz der Biodiversität in der Verfassung verankern», sagt Sarah Pearson Perret von Pro Natura. «Frische Luft, sauberes Wasser, gesundes Essen und Wohlergehen – all dies sichert die Natur.» Laut Verfassung sind die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig. «Wir müssen die Biodiversitätsförderung stärker gesamtschweizerisch denken.» Die Vernetzung zwischen artenreichen Gebieten funktioniere noch nicht genug, besonders im Mittelland.

Die Initiative will die Bundesebene stärken und mehr Geld für die Biodiversität bereitstellen. «Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind heute immens», sagt Pearson. Das liege nicht nur an den politischen Machtverhältnissen, sondern auch am Geld: Für Massnahmen im Umweltbereich schliesst der Bund mit den Kantonen sogenannte Programmvereinbarungen ab. Je nach Projekt müssen die Kantone davon 35 bis 70 Prozent selbst bezahlen. «Für Kantone mit knappem Budget ist das ein Problem.» Während finanzstarke Kantone wie Zürich, der Aargau oder Genf viel für den Naturschutz täten, sei in ihrer Heimat, dem Kanton Neuenburg, noch nicht einmal der Moorschutz fertig umgesetzt – dieser basiert auf der Rothenthurm-Abstimmung von 1987. Auch Lukas Berger vom Forum Diversität sagt, es brauche mehr Ressourcen: «Die Umweltgesetzgebung der Schweiz ist eigentlich gut, aber scheitert oft am Vollzug. Das liegt auch am knappen Personal.»

Der Bundesrat erarbeitete einen indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative und schickte ihn 2021 in die Vernehmlassung. Während ihn der Nationalrat umsetzen wollte, trat der Ständerat nicht darauf ein. Die Umweltkommission des Nationalrats versuchte, dem Ständerat entgegenzukommen: Sie plädierte für einen abgespeckten Gegenvorschlag ohne Änderungen im Landwirtschaftsrecht, ohne zusätzliche Schutzgebiete und mit einem stärkeren Fokus auf das Siedlungsgebiet. Doch auch diesen Weg schmetterte der Ständerat letzte Woche ab. Nun kommt die Initiative 2024 ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung.

«Von Ritter dirigiert»

Was ist los mit dem Ständerat? Ging es wirklich nur darum, wie etwa Heidi Z’graggen (Mitte) und Damian Müller (FDP) im Rat betonten, dass wegen der knappen Fristen die Zeit nicht reiche, um den neuen Gegenvorschlag sorgfältig auszuarbeiten?

«Das ist eine Ausrede», sagt Maya Graf. Die grüne Baselbieter Ständerätin lebt auf ihrem familieneigenen Biobauernhof und prägt seit über zwanzig Jahren in Bern die Politik mit. Sie kritisiert insbesondere die Rolle der Mitte-Partei: «Sie ist eine wichtige Verbündete in Umwelt- und Klimapolitik, doch jetzt lässt sie sich zunehmend von Bauernverbandspräsident Markus Ritter dirigieren.» Mit dem Wechsel von Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi in den Ständerat sei die Allianz zwischen Wirtschaft und Landwirtschaft in der kleinen Kammer noch stärker geworden.

Der Gegenvorschlag sei der Landwirtschaft entgegengekommen: «Ich verstehe, dass Bauern frustriert sind, wenn sie allein für die Biodiversitätsförderung verantwortlich gemacht werden», sagt die Ständerätin. «Im Siedlungsgebiet muss und kann viel mehr getan werden – und genau das stand im Gegenvorschlag.» Graf, die in der Agrarpolitik den Dialog mit Bäuer:innen aller politischen Lager sucht, beobachtet eine Verhärtung: «Die Stimmung ist aufgeheizt gegen Umweltanliegen und Links-Grün. Ich bedauere das. Es schadet allen.» Sie erwarte von beiden Seiten Kompromisse. «Die Umweltverbände sind auch bereit dazu. Der Bauernverband immer weniger.»

SVP-Bundesrat Albert Rösti warb im Parlament für einen Gegenvorschlag. Er warnte davor, dass es nächstes Jahr auch eine Abstimmung über die Energiewende geben könnte, falls das Referendum gegen den Mantelerlass zustande kommt. «Da müssen wir schon vorsichtig sein, wenn man dann sagt, wir würden das ganze Land mit Windrädern verbauen […], aber bei der Biodiversität würden wir nichts machen.» Da hat Rösti für einmal recht. Doch der Ständerat wollte nicht hören.