Konflikt im Ostkongo: Besorgnis­erregende Signale

Nr. 2 –

Die Krisensituation im Ostkongo bleibt auch nach den umstrittenen Wahlen vom Dezember angespannt. Es droht sogar eine länderübergreifende Eskalation, und selbst Erinnerungen an den Völkermord in Ruanda werden wach.

Soldaten aus Kenia reisen Anfang Dezember vom Flughafen Goma ab
Mission nicht erfüllt: Truppen mit einem Mandat der ostafrikanischen Gemeinschaft sollten die M23-Miliz bekämpfen, wollten aber keinen Konflikt mit deren Schutzmacht Ruanda riskieren. Soldaten aus Kenia reisen Anfang Dezember vom Flughafen Goma ab. Foto: Alexis Huguet, Keystone

Jede Nacht, wenn der Lärm der Grossstadt verstummt, ist es zu hören: das Dröhnen der Kampfjets, die am Himmel kreisen, das Wummern der Geschosse, die von Panzern abgefeuert werden. Die Bevölkerung verharrt in einem Zustand des kollektiven Traumas, die Menschen befinden sich im Überlebensmodus, jeden einzelnen Tag.

Seit fast zwei Jahren hält der Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo an. Über sechs Millionen Menschen hat er bereits zur Flucht gezwungen; Hunderttausende suchen am Stadtrand von Goma Schutz vor den Kämpfen, die ihre Äcker und Häuser in den Bergen nördlich der Millionenmetropole zerstört haben. Aus Ästen und löchrigen Zeltplanen haben sie auf kantigem Lavagestein Behausungen errichtet. Ihre Situation ist katastrophal. Sie leiden an Mangelernährung und Krankheiten, berichten Hilfswerke.

Gefechte und Wahlkampfchaos

Eigentlich ist die Stadt am Ufer des Kivusees ein Handelszentrum. Kartoffeln, Kaffee und Käse werden von hier in die gesamte Region exportiert. Mineralien und seltene Erden finden zu Friedenszeiten via Goma ihren Weg auf den Weltmarkt.

Derzeit steht jedoch alles still. Die wenigen Verbindungsstrassen sind umkämpft oder werden von den Rebell:innen des M23 (Bewegung des 23. März) kontrolliert. Die Tutsi-Kämpfer:innen haben entlang der Grenze zu Ruanda und Uganda seit 2021 einen Landstrich erobert, den sie wie einen eigenen Staat verwalten. An manchen Tagen erreicht kaum ein Lkw die Grossstadt. Die Lebensmittelpreise haben sich mittlerweile vervierfacht, die Kriminalität hat exorbitant zugenommen.

Rund um die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 20. Dezember hat sich die Lage weiter zugespitzt. Westliche Diplomat:innen haben zwar im Vorfeld eine Feuerpause ausgehandelt, um den 44 Millionen Wahlberechtigten im Land – das so gross ist wie Westeuropa – die Stimmabgabe zu ermöglichen. Sie hielt nicht lange. Seit dem Weihnachtsabend wird im Osten wieder geschossen.

Es sind nicht die ersten Wahlen im Kongo, die von Chaos gezeichnet sind. Diesmal aber musste selbst die Wahlbehörde Ceni zugeben, dass in fast zwanzig Prozent der landesweit 75 000 Wahllokale Unregelmässigkeiten registriert worden waren.

Dennoch wurde der seit 2019 amtierende Präsident Félix Tshisekedi mit über 73 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklärt. Seine wichtigsten Rivalen, darunter der Unternehmer Moïse Katumbi vom Wahlbündnis Ensemble, der mit 18 Prozent auf dem zweiten Platz landete, lehnen das Wahlergebnis ab und fordern Neuwahlen. Kurzerhand schickte die Regierung Polizisten los, um Katumbi unter Hausarrest zu setzen.

Dabei hatte Tshisekedis Amtszeit 2019 vielversprechend angefangen. Als erster Präsident wagte er eine Neuausrichtung der politischen Beziehungen mit den einst feindlichen Nachbarn Ruanda und Uganda. Im April 2022 unterzeichnete er die Beitrittserklärung zur ostafrikanischen Gemeinschaft EAC. Die Hoffnung auf Frieden im Land schien real.

Ein ungelöstes Problem blieben jedoch die vielen Milizen, die den Ostkongo unsicher machen. Um den maroden Regierungsstreitkräften zu helfen, lud Tshisekedi die EAC-Staaten ein, Truppen zu entsenden; rund 3000 Soldat:innen aus Uganda, dem Südsudan, Kenia und Burundi wurden 2023 im Kongo stationiert. Das EAC-Mandat sah vor, eine Pufferzone zu installieren, während die Regierung mit den Milizen über eine Niederlegung der Waffen verhandelte.

Populistische Hetze

Die Bemühungen verliefen allerdings im Sand. Der grössten Miliz, dem M23, verweigerte Tshisekedi sämtliche Gespräche, weil die Tutsi-Rebell:innen von Ruanda unterstützt werden, ebenfalls ein EAC-Mitglied. Der jüngste Uno-Bericht zum Kongo zeigt von Drohnen gemachte Aufnahmen ruandischer Spezialeinheiten, die illegal tief in den Kongo eingedrungen sind. Die anderen EAC-Länder wollten nicht in Kämpfe mit diesen ruandischen Truppen verwickelt werden – weshalb ihnen Tshisekedi im September vorwarf, den M23 zu schützen. Er entschied: Sie müssen ihre Soldat:innen wieder abziehen.

Der Wahlkampf war zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gang. Und Tshisekedi wusste die Konfliktlage auszuschlachten: Er warf Ruanda vor, den Ostkongo annektieren zu wollen, und verglich Präsident Paul Kagame mit Adolf Hitler. In einer feurigen Rede rief er zudem die Jugendlichen im Kongo dazu auf, «Wachsamkeitsgruppen zu organisieren mit dem Ziel, unsere Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu unterstützen». Gleichzeitig entsandte er Generäle in den Dschungel, um eine Koalition bewaffneter Milizen zu schmieden. Die «Wazalendo» (Suaheli für «Patrioten»), wie sie sich nennen, sollten Schulter an Schulter mit der Armee gegen den M23 kämpfen.

Zu Tausenden sitzen diese Milizionäre nun in alten Armeeuniformen mit Sturmgewehren in den Stellungen rund um Goma. Im direkten Gespräch bestätigen sie: Sie sollten Tshisekedi den Sieg nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch an den Wahlurnen garantieren. Ihr erklärter Feind ist Ruanda – sowie alle Tutsi im Ostkongo, die sie als «Verräter:innen» bezeichnen.

Die kongolesischen Tutsi fühlen sich nirgendwo mehr sicher. «Sie kamen in unser Haus und haben einfach mitgenommen, was sie wollten, den Fernseher, die Möbel», berichtet eine Tutsi-Familie in Goma. Angeblich halten die Wazalendo auf Listen fest, in welchen Häusern wie viele Tutsi leben – ähnlich wie es die Hutu-Milizen in Ruanda vor dem Völkermord 1994 getan haben.

Die Parallele ist kein Zufall. Unter den mit der Armee koalierenden Milizen befindet sich auch die ruandische FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), in deren Führungsriege sich Verantwortliche des ruandischen Völkermords tummeln. Zahlreiche kongolesische Militärs machen nicht nur Geschäfte mit den FDLR, sondern folgen auch deren Ideologie, alle Tutsi als «Eindringlinge» zu brandmarken.

Für Ruanda stellt das ein grosses Sicherheitsrisiko dar. In seiner Neujahrsansprache warnte Präsident Kagame vor der Bedrohung aus dem Kongo und versicherte, seine Armee sei bereit, Ruanda zu verteidigen, «egal was auf dem Spiel steht».

Im Osten des Kongo sind an die Stelle der abgezogenen EAC-Truppen nun 3000 Soldat:innen aus Malawi, Tansania und Südafrika getreten – im Rahmen eines Mandats, das Tshisekedi mit der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) eingegangen ist. Es ist offensiver als jenes der EAC: «Jegliche Attacke gegen einen der Mitgliedstaaten wird als Bedrohung für den regionalen Frieden und die Stabilität betrachtet und mit direkter, gemeinsamer Aktion erwidert», heisst es im Beschluss.

Mandat für Kampfeinsätze

Malawische, tansanische und südafrikanische Militärs engagieren sich bereits seit 2013 im Kongo. Bislang waren sie im Rahmen der Uno-Mission (Monusco) als Eingreiftruppen (FIB) mit offensivem Mandat stationiert, um gegen Rebellengruppen vorzugehen. In den kommenden Monaten werden die rund 14 000 Uno-Blauhelme auf Drängen der kongolesischen Regierung abziehen. Bleiben sollen einzig die FIB-Soldat:innen, im Auftrag der SADC.

Während Diplomat:innen darauf zählen, dass sich die Lage nach den Wahlen allmählich entspannt, gibt es Anzeichen, dass die Regierung eine neue Offensive gegen den M23 vorbereitet. In Goma landen stetig Militärmaschinen, die Truppen und Kriegsgerät einfliegen. Der oben erwähnte Uno-Bericht bestätigt: Zusätzlich zu den privaten Söldner:innen aus Bulgarien und Rumänien, die bereits seit einem Jahr stationiert sind, wurden 1000 Soldat:innen aus Burundi angeheuert.

«Die Grossoffensive ist bereits in vollem Gang», fasst M23-Chef Bertrand Bisimwa am Telefon die Lage zusammen. Tag und Nacht würden Bomben über den Stellungen des M23 abgeworfen. «Sie treffen aber vielmehr die Bevölkerung», sagt er siegessicher.

Der M23 hat sich in den vergangenen Wochen komplett neu aufgestellt. Er kämpft nun gemeinsam mit sechzehn weiteren Milizen, teils aus benachbarten Provinzen, unter dem Label Allianz des Kongo-Flusses (AFC). «Unser gemeinsames Ziel ist es, eine neue Regierung einzusetzen», sagt Bisimwa, «zur Not auch mit Waffengewalt.» Seine Drohung richtet sich ans andere Ende des Landes, an die Regierung im 1500 Kilometer entfernten Kinshasa.