Kost und Logis: Wie reife Pfirsiche

Nr. 4 –

Karin Hoffsten über des Menschen grösstes Organ

Dass es sich bei der Haut um ein lebenswichtiges Organ handelt, lernte ich in der Schule. Als ich im Kino sah, wie Bösewicht Goldfinger seine Gehilfin Jill tötet, indem er ihren Körper mit Gold überziehen lässt, leuchtete mir das ein. Ihre Haut habe nicht mehr atmen können, erklärte James Bond, weshalb die Schöne erstickt sei – doch er irrte. Da der Mensch, anders als der Regenwurm, zum Atmen eine Lunge besitzt, kann er an einem Ganzkörpergoldüberzug nicht ersticken, auch wenn die Behandlung sicher nicht gesundheitsfördernd ist.

Im Gegensatz zu Organen, die im Leben weniger wahrgenommen werden – wie zum Beispiel Dünndarm oder Gallenblase, es sei denn, diese erkranken –, ist die Haut allgegenwärtig. Wohl, weil sie – zumindest teilweise – in unseren Breitengraden öffentlich sichtbar ist und ihr Anblick Rückschlüsse auf Alter und physischen Zustand zulässt.

Eine gigantische Kosmetikindustrie profitiert davon, dass dabei Faltenfreiheit als oberstes Gebot gilt. Wenn ich als Kind bei der über achtzigjährigen Tante Otti zu Besuch war, betonte meine Mutter ein ums andere Mal, dass deren Wangen noch glatt wie Pfirsichhäutchen seien: dank Creme Mouson mit Lavendelduft. Hätte es damals schon Produktetests für Verbraucher:innen gegeben, hätte meine Mutter allerdings lesen müssen, was oekotest.de 2022 berichtete: «Mouson-Creme von L’Oréal ist grosser Testverlierer», denn sie enthielt mehr Schadstoffe als alle anderen geprüften Produkte.

Dann also Botox! Gerade wurde dem «Pop-Star der Nervengifte» im Magazin der «NZZ am Sonntag» frenetisch gratuliert, weil das Gift «relativ einfach herzustellen» sei und «minimalinvasiv die Visage der Menschheit verändert» habe. Milliarden toter Mäuse dürften da anderer Meinung sein.

Unsanft auf die Bedeutung der Haut wurde auch eine meiner Freundinnen gestossen: Wie aus dem Nichts überfiel ihren Körper ein übel juckender Ausschlag. Nachdem ihr Hausarzt etwas von «Pruritus senilis» gemurmelt hatte, fand sie, so alt sei sie nun auch wieder nicht, und suchte Hilfe bei ihrer Hautärztin. Diese meinte, sie sei zwar nicht sicher, aber vielleicht wäre es doch gut, vorsorglich eine Krätzebehandlung durchzuführen.

Also schmierte sich die Freundin von Kopf bis Fuss mit einer Antikrätzmilbensalbe ein, wusch danach vier Tage lang die gesamte Bett- und Körperwäsche bei über sechzig Grad und fühlte sich aussätzig. Nachdem man in der dermatologischen Abteilung eines städtischen Spitals ihr Blut und einen winzigen Hautpartikel untersucht hatte, erhielt sie bezüglich Milben Entwarnung – doch eine Ursache fand sich trotzdem nicht. Inzwischen wurde es von allein besser.

Das Abziehen der Haut wurde übrigens jahrhundertelang als Todesstrafe eingesetzt, wie mir in einem Museum in Brügge vor dem Gemälde «Die Häutung des Sisamses» entsetzt bewusst wurde. Aber im Interesse meines und Ihres Befindens ist hier jetzt Schluss.

Karin Hoffsten ist froh, dass derzeit keines ihrer Organe angekränkelt scheint.