Auf allen Kanälen: Shitshow im Kreml

Nr. 7 –

Ein Scoop als Rohrkrepierer: Was lehrt Tucker Carlsons Trip nach Moskau über rechte Meinungsmache?

Fotomontage: Tucker Carlson und Wladimir Putin sitzen gemeinsam auf einem Stuhl

Das Tucker-Carlson-Spektakel der vergangenen Woche produzierte schwindelerregende Zahlen. Allein das Video, in dem der frühere Fox-News-Moderator vorab sein Vorhaben rechtfertigte, Russlands autoritär regierenden Präsidenten Wladimir Putin in Moskau zu interviewen, wurde auf dem sozialen Netzwerk X (ehemals Twitter) weit über hundert Millionen Mal geklickt.

Carlson, seit seinem Rauswurf beim rechten US-Sender als freischaffender Meinungsmacher tätig, spielte darin auf der Klaviatur populistischer Medienkritik: Im Westen werde nicht frei berichtet, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski werde verhätschelt, die Sicht Moskaus totgeschwiegen – und das, obwohl die Unterstützung Kyjiws die US-Bürger:innen viel Geld koste. «Das ist kein Journalismus, das ist Regierungspropaganda», deklamierte er.

Dabei haben viele westliche Medienvertreter:innen seit dem Überfall auf die Ukraine um einen Termin bei Putin ersucht, was sogar der Kreml richtigstellte. Dass Carlson nun der erste ist, dem ein Interview auch gewährt wurde, dürfte daran liegen, dass Putin angenommen hatte, in diesem Gast einen nützlichen Idioten gefunden zu haben. Dieses Kalkül ging auf.

«Warum ist das relevant?»

Mehr noch: Das Ende letzter Woche veröffentlichte Gespräch war mitunter unfreiwillig komisch. Das begann schon damit, dass Putin sein Gegenüber gleich mal wie den Abgesandten einer Schüler:innenzeitung zurechtwies, ehe er zum fast halbstündigen Monolog über die russische Geschichte seit dem 9. Jahrhundert ansetzte. Damit sollte der Anspruch der Ukraine auf Eigenständigkeit bestritten werden, wozu weitere fragwürdige Deutungen kamen (Polen hat den Zweiten Weltkrieg begonnen?). Sichtlich hilflos sagte Carlson irgendwann: «Ich verstehe nicht, warum das alles relevant ist.»

Russlands Präsident ist für ausufernde Geschichtslektionen bekannt. Das liess ihn wiederum wie einen Hobbyhistoriker älteren Semesters wirken, der obsessiv seine ganz eigene Sicht der Dinge darlegen muss. Taktisch war das wohl eher unklug: «Ich denke, Putin könnte die Lust des amerikanischen Publikums überschätzt haben, etwas über Prinz Rurik und Jaroslaw den Weisen zu erfahren», spottete etwa der Korrespondent der «Financial Times» auf X.

Vor einigen Monaten war Carlson bereits in Ungarn gewesen, um Präsident Viktor Orbán zu interviewen, der Putin ideologisch nahesteht. Schon da wurde klar, dass es ihm nicht um Journalismus geht, der seinen Namen verdient, sondern um Werbung für Donald Trump. Der frühere (und womöglich bald wieder amtierende) US-Präsident ist ein Gegner des Engagements Washingtons für die Ukraine. Auf seinen Druck hin blockieren die Republikaner:innen Waffenhilfe in Milliardenhöhe. In Budapest hatte Orbán denn auch wie bestellt mitgeteilt, was seiner Meinung nach zu tun sei: «Holt Trump zurück!»

So explizit wurde der im Vergleich zu Orbán weniger leutselige Putin nicht. Im Kreml kam Carlson die Rolle eines ahnungslosen Statisten zu. Kritische Fragen stellte er keine, während sein Gegenüber seine Weltdeutung ausbreitete.

Köppel ist entzückt

Rechts aussen wurde der Plausch trotzdem bejubelt. Der deutsche AfD-Politiker Björn Höcke, ebenfalls mit Faible für nationalistische Geschichtsschreibung, meinte, ein «historisches Interview» gesehen zu haben, und auch «Weltwoche»-Chef Roger Köppel war begeistert. Dabei liegen Welten zwischen Carlson und einem Journalisten vom Format des ORF-Moderators Armin Wolf, dessen Putin-Interview von 2018 noch heute sehenswert ist; allein schon deshalb, weil es eine Freude ist, Leute mit viel zu viel Macht zur Abwechslung mal in Bedrängnis zu sehen.

Und doch war auch das jüngste Spektakel aufschlussreich. Eindrücklich führte es vor Augen, dass Schreihälse wie Carlson zwar stets viel Wind zu machen verstehen, dieser aber letztlich nur heisse Luft ist. Und es belegte, dass es bei allen Schieflagen, die auch den Diskurs im Westen immer wieder kennzeichnen, um die hiesige Informationsversorgung nicht so schlecht bestellt sein kann – trotz des populistischen Getöses um angeblich verschwiegene Fakten. Putin jedenfalls hatte nichts mitzuteilen, was man nicht schon längst anderswo hätte hören können.