Pop: Ein Kostümfilm gegen die Welt

Nr. 7 –

Eine neue Band als feierlich überladenes Versprechen – das sie erstaunlich überzeugend einlöst. Wie The Last Dinner Party die Welt mit Lust und Pomp überzieht.

Bandfoto von The Last Dinner Party
Normal heisst hier dreist und extravagant: The Last Dinner Party. Foto: Cal McIntyre

Das Vorspiel zur Ekstase kommt mit Streichern, Bläsern und Kirchenglocken, und was danach folgt, ist entsprechend opulent angerichtet. «Prelude to Ecstasy», das ist der Titel dieses Albums, aber auch der Introtrack: ein orchestraler Auftakt, das Drama gibts gleich von Beginn weg. The Last Dinner Party heisst die Band, ihr fehlt jede Angst vor Symbolik, vor der grossen Geste – nicht einmal vor dem Musical schrecken sie zurück.

Sie empfänden viele zeitgenössische Bands als zu cool, sagte Bassistin Georgia Davies in einem Interview; als würden sie etwas zurückhalten, sich schon halb für ihre Existenz entschuldigen, bevor überhaupt ein Ton erklungen sei. The Last Dinner Party hingegen wollten eine Band sein, die sich für genau gar nichts entschuldigt. Lieber bauen sie viel Pomp auf, um gleich noch mehr Pomp hinterherzuschicken.

Morgens um vier bricht das Herz

«Prelude to Ecstasy» wurde insbesondere von der britischen Presse sehnlichst erwartet und nachher entsprechend hochgelobt, wie auch die Band, die erst vor zwei Jahren überhaupt zusammenfand, von vielen Medien gleich zum nächsten grossen Hype erklärt wurde. Es gab Vorwürfe, The Last Dinner Party (vier Frauen, eine nonbinäre Person) seien eine «industry plant», ein von der Musikindustrie mit viel Geld herangezüchtetes Gebilde also. Die Band antwortete darauf auf X, Oasis (alles Männer) seien auch schnell berühmt geworden, habe ihnen jemand diesen Vorwurf gemacht? Natürlich nicht. Sehr interessant sind diese Diskussionen ohnehin nicht. Man kann jetzt, da das Album da ist, auch einfach fragen: Funktionierts?

Ja, es funktioniert. The Last Dinner Party ist eine selbstbewusste Behauptung, die im Grossen und Ganzen auch aufgeht. Dabei ist die Band tatsächlich so ziemlich das Gegenteil von cool. «Prelude to Ecstasy» trägt dick auf, ist maximalistisch und schwer. Barockpop kann man das nennen, auch der Glamrock ist nicht allzu weit. Herausragend: «On Your Side», eine Ballade, die den Moment besingt, wenn einem um vier Uhr nachts das Herz bricht, oder das tanzlustige «Sinner».

Raum zum Atmen bleibt kaum, das feierliche, aber leise «Gjuha», in dem Keyboarderin Aurora Nishevci auf Albanisch den Verlust einer Sprache besingt, wird da leider etwas zerdrückt. Es ist im Grunde weniger ein eigenständiges Stück als ein Sprungbrett für den nächsten grossen Popmoment: für «Sinner» mit seinen muskulösen Gitarrensolos und zum Mitsingen einladenden Refrainzeilen, die den schamlosen Flirt mit Stadionrock schon andeuten, der hinterher mit «My Lady of Mercy» ausgekostet wird.

«Sinner» und «My Lady of Mercy» stecken inhaltlich ungefähr das Feld ab, in dem sich «Prelude to Ecstasy» bewegt. Die Ekstase im Albumtitel ist explizit auch sexuell gemeint, Songtitelei und Bandname implizieren nicht zufällig christliche Symbolik. «Ich wünschte, ich hätte dich gekannt, bevor es sich wie eine Sünde anfühlte», heisst es zu Beginn von «Sinner», später fordert ein Chor freudig und immer wieder: «Pray for me on your knees.» Ja, wer soll denn hier beten, die besorgte Gemeinschaft oder die Frau, die angebetet wird? Auch «My Lady of Mercy» thematisiert den Zwiespalt zwischen dem Aufwachsen in einem katholischen Umfeld und dem Entdecken des eigenen queeren Verlangens.

Blut, Tränen und Kerzenwachs

The Last Dinner Party hatte von Anfang an nicht «nur» eine musikalische Idee, sondern ist als ästhetisches Gesamtpaket konzipiert, irgendwo zwischen Kostümfilm, Katholizismus und der aristokratisch-makabren Addams Family. Auf dem Plattencover ist ein gerahmtes Bild der Band auf einem blumenbeladenen Altar zu sehen, die Texte über romantische Liebe sind getränkt von Blut, Tränen und Kerzenwachs. Ihre Shows spielen sie in immer wechselnden, nach Themen designten Outfits («Glamrock», «Folkhorror», allgemein viel aus der Region Korsette, Mieder, Strümpfe), wobei sie ihre Fans dazu auffordern, es ihnen gleichzutun. Sie wollten eine Gemeinschaft schaffen, in der Extravaganz nicht die Ausnahme sei, sondern von den Leuten erwartet werde, erklärte Bassistin Georgia Davies dem Magazin «Rolling Stone».

Es wirkt auch ein wenig entrückt, wie hier die Welt drumherum einfach aufhört zu existieren. Wie im Refrain zur ersten Singleauskoppelung «Nothing Matters» gejubelt wird: «I will fuck you like nothing matters.» Das wäre wohl der Satz, der bleibt, wenn man «Prelude to Ecstasy» auf einen einzelnen herunterkochen müsste. Der Rest der Welt egal und diese Musik ein hedonistisches Versprechen, ein Abtauchen in Hülle und Fülle, Samt und Seide. Was sie tun, sollte sich beinahe pervers anfühlen, sagte Sängerin Abigail Morris in einem Interview und meinte das durchaus positiv.

Man mag diese betonte Lässigkeit arrogant finden, gerade von einer Band, deren Mitglieder sich an der Uni kennengelernt haben, alle in London leben und alles in allem eine gewisse Saturiertheit verströmen. Freundlicher ausgedrückt ist es von erfreulicher Dreistigkeit, wie diese Band eine lustbetonte Welt schafft; die Dekadenz eine Waffe gegen jeden asketischen Lebensentwurf.

Album-Cover «Prelude to Ecstasy» von The Last Dinner Party
The Last Dinner Party: «Prelude to Ecstasy». Island Records / Universal. 2024. Live in Zürich, Mascotte, Freitag, 23. Februar 2024 (ausverkauft).