Film: Hundekot und Raubtierkäfig

Nr. 8 –

Filmstill aus «May December»
«May December». Regie: Todd Haynes. USA 2023. Jetzt im Kino.

Mit nur einer einzigen Oscarnominierung (fürs beste Originaldrehbuch) gehört der neue Film von Todd Haynes zu jener ehrenvollen Reihe von Werken, über deren Mangel an Auszeichnungen man in späteren Jahren den Kopf schütteln wird. «May December» behandelt ein ungemütliches Thema, und das ist so fein gegen den Strich inszeniert, dass man sich nie auf der sicheren Seite fühlen kann. Unter der Oberfläche eines Melodrams entfaltet Todd Haynes eine Zwiespältigkeit, die nachhaltig irritiert.

Zwei Frauen, gespielt von Natalie Portman und Julianne Moore, stehen sich in einer spiegelbildlichen Anordnung gegenüber, die Haynes fast aufdringlich als direkte Anspielung auf Ingmar Bergmans «Persona» inszeniert. Wobei die Ähnlichkeit nicht wirklich auf das vorbereitet, was kommt. Portman – in einem wahrhaft unheimlich unter die Haut gehenden Auftritt – verkörpert die Schauspielerin Elizabeth, die zur Recherche die um einiges ältere Gracie (Moore) und ihre Familie kennenlernen will. Deren Lebensgeschichte soll verfilmt werden, und Elizabeth soll Gracie spielen.

Dass Gracies Story noch immer die Gemüter bewegt, zeigt schon das Päckchen, das Elizabeth bei ihrem Besuch vor der Haustür aufliest. Gracie nimmt es mit begründeter Skepsis an: Jemand hat ihr und ihrem Mann Joe (Charles Melton) Hundekot geschickt – und so routiniert, wie Gracies Mann Joe den Desinfektionsspray bereithält, war es offenbar nicht das erste Mal. Grund der Anfeindungen ist der Zeitpunkt, an dem Gracie und Joe einst zusammenkamen: Gracie war damals eine 36-jährige verheiratete Frau mit Kindern, Joe ging in die siebte Klasse. Später heirateten die beiden und bekamen gemeinsame Kinder.

Spielt der Altersunterschied nach all den Jahren denn noch eine Rolle? «Du hast doch mich verführt!», sagt Gracie an einer Stelle zu ihrem Mann, aber bis dahin hat es Todd Haynes geschafft, sein Publikum mit tiefem Misstrauen gegen den Anschein zu imprägnieren. «May December» erweist sich als Porträt zweier weiblicher Raubtiere. Es ist Haynes’ provozierendster Film seit langem.