Konzernverantwortung : Die Ampel steht auf Gelb

Nr. 8 –

Das Lieferkettengesetz der EU schien unter Dach und Fach – doch wegen der deutschen FDP hat sich dessen Verabschiedung zur Zitterpartie gewandelt. Viel steht auf dem Spiel, auch mit Blick auf die Schweiz.

«Manchmal ist der Fortschritt eine Schnecke», hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vor einigen Wochen gesagt, als er auf die Position seiner Ampelregierung zum EU-Lieferkettengesetz angesprochen wurde. Mittlerweile scheint sich die Schnecke aber gar nicht mehr zu bewegen. Sämtliche Bemühungen des SPD-Kanzlers verliefen bislang im Sand: Seine zerstrittene Koalition mit Grünen und FDP brachte keine Einigung zustande, womit Deutschland bei seinem Rückzieher bleiben und dem Lieferkettengesetz die Zustimmung verweigern dürfte.

Über Jahre war die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) genannte Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt ausverhandelt worden. Als das Resultat im Dezember vorlag, hiess es, dessen Verabschiedung im Frühjahr sei bloss noch Formsache – bis Deutschlands FDP Mitte Januar zu ihrem jüngsten Machtspiel ansetzte. Nun hängt die Richtlinie in der Schwebe, sogar ein Scheitern scheint möglich. Und damit ein kolossaler Scherbenhaufen.

«Massives Foulspiel»

Der Kompromiss, der am Ende eines aufreibenden Verfahrens zwischen EU-Kommission, -Rat und -Parlament stand, ist kein Wundermittel. Er wird die ausbeuterischen Seiten der globalen Güterproduktion nicht von heute auf morgen beseitigen können.

Aber er verpflichtet Unternehmen ab einer bestimmten Grösse, ihre Lieferketten auf Verstösse gegen Menschenrechts- und Umweltstandards zu überprüfen. Kommen sie den Pflichten nicht nach, können Leidtragende oder auch Gewerkschaften und nichtstaatliche Organisationen vor europäischen Gerichten gegen sie klagen. Zudem müssen sie einen Plan vorlegen, der aufzeigt, wie sie ihr Geschäft mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang bringen wollen.

Die Richtlinie hat zwar erhebliche Schwächen: Der Finanzsektor bleibt ausgeklammert, er liesse sich allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt noch einbinden. Und die Unternehmen können nicht für die Verfehlung der eigenen Klimafahrpläne haftbar gemacht werden.

Und dennoch: Das Lieferkettengesetz würde einen neuen internationalen Standard setzen, der bestehende Konzernverantwortungsgesetze in einzelnen EU-Staaten – etwa in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden – sinnvoll ergänzt. Um endgültig verabschiedet zu werden, braucht die Richtlinie eine qualifizierte Mehrheit. Das heisst: Mindestens 15 von 27 Ländern müssen zustimmen, die gemeinsam nicht weniger als 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Entsprechend grosses Gewicht kommt dem bevölkerungsreichsten EU-Staat Deutschland zu – und genau das machte sich die deutsche FDP zunutze. Das Parteipräsidium gab am 15. Januar bekannt, dass das Lieferkettengesetz wegen eines drohenden «Bürokratie-Burn-outs» abzulehnen sei. Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann trugen die FDP-Blockade direkt in die Ampelregierung.

Und nicht nur das: Die Minister sollen sich an andere europäische Staaten gewandt haben, um sie ebenfalls zu einem Rückzug zu bewegen. Insbesondere an Italiens rechte Regierung von Giorgia Meloni: Gemäss Recherchen von «Table Media» soll Lindner angeboten haben, im Gegenzug eine ebenfalls weit fortgeschrittene EU-Verpackungsverordnung zu kippen. Und tatsächlich geriet Italien, das aufgrund seiner Bevölkerungsgrösse den entscheidenden Unterschied machen kann, ins Wanken. Um ein Scheitern zu verhindern, hat die belgische Ratspräsidentschaft das Geschäft aufgeschoben.

Als «massives Foulspiel des kleinsten Koalitionspartners» bezeichnet Johanna Kusch das Vorgehen der FDP. Sie ist Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz, einer Allianz von weit über hundert Organisationen, die sich in Deutschland für das Zustandekommen des 2023 in Kraft getretenen deutschen Lieferkettengesetzes eingesetzt hat. Auch die Verhandlungen in Brüssel hat die Initiative seither eng begleitet.

«Deutschland hat dort erfolgreich eigene Interessen reinverhandelt», sagt Kusch. So sei etwa die Regelung zur Haftung fehlbarer Unternehmen so ausgestaltet, wie es die FDP gewollt hatte. «Und trotzdem betreibt die Partei nun Lobbyarbeit gegen die eigene Koalition», sagt sie. In einer Petition fordert die Initiative Kanzler Scholz nun auf, sich über die Blockade der FDP-Minister hinwegzusetzen und die CSDDD eigenmächtig zu unterschreiben. Über 47 000 Menschen haben die Petition mittlerweile unterschrieben.

Derzeit wirkt es jedoch eher so, als wäre Scholz der Koalitionsfrieden wichtiger – obwohl dieser ohnehin schon längst kaum noch existiert. Schon wiederholt hat die FDP die EU-Kompromisse unterwandert, etwa beim Verbot von Verbrennermotoren im vergangenen Jahr, bei dem sie im Nachhinein noch ein Schlupfloch einzubauen vermochte.

Schon zu Angela Merkels Zeiten war «The German Vote» in Brüssel zur berüchtigten Anspielung geworden: Deutschland sei ein unverlässlicher Player, so die Auffassung. Das beklagt auch Anna Cavazzini, EU-Parlamentarierin der Grünen: «Erst das Gesetz in hohem Masse formen und dann in letzter Sekunde von der Fahnenstange gehen – wer soll in Zukunft noch Vertrauen in Deutschland als Verhandlungspartner haben?», sagt sie gegenüber der WOZ. Sollten die FDP-Minister Buschmann und Lindner tatsächlich an den Koalitionspartnern vorbei Länder zur Enthaltung gedrängt haben, sei dies «ein eklatanter Vertrauensbruch in der Regierung», so Cavazzini.

Was die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2021 zur «europapolitischen Koordinierung» festhielt, klingt heute fast schon höhnisch: Man wolle «ein geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern und Institutionen sicherstellen», heisst es dort. Sogar die Unterstützung eines europäischen Lieferkettengesetzes ist im Vertrag explizit festgehalten. Aber mittlerweile ist offensichtlich, dass sich die FDP, die gemäss Umfragen bei Wahlen derzeit nicht einmal die Fünfprozenthürde schaffen würde, mit ihrem radikalen Obstruktionskurs händeringend zu profilieren versucht.

Der Bundesrat wartet

Um noch in der laufenden Legislatur zum Abschluss kommen zu können, bleiben dem Geschäft bloss wenige Wochen. Mittlerweile haben auch der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte und mehrere Uno-Organisationen die EU offiziell zu einer Einigung aufgerufen. Die belgische Ratspräsidentschaft soll sich offenbar nach Kräften darum bemühen, auch ohne Deutschlands Zustimmung eine qualifizierte Mehrheit zu bewerkstelligen – also vor allem: Italien zu überzeugen.

Viele Akteur:innen äussern sich weiterhin verhalten zuversichtlich, dass das gelingt – auch in der Schweiz, wo ebenfalls auf das Ergebnis in Brüssel gewartet wird. Nicht nur, weil hierzulande Hunderte Unternehmen direkt oder indirekt vom EU-Lieferkettengesetz betroffen wären, sondern auch, weil Bundesrat und Parlament die Entwicklungen in Europa abwarten wollen, bevor in Sachen Konzernverantwortung die nächsten Schritte gemacht werden.

Sie gehe nach wie vor davon aus, dass die CSDDD bald definitiv verabschiedet werde, sagt Isabelle Bamert vom Vorstand der Koalition für Konzernverantwortung. Zudem bereite man sich weiterhin darauf vor, im Anschluss eine neue Volksinitiative zu lancieren – «damit die Schweiz nicht zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortung wird».