8. März in Argentinien : Streiken gegen die Motorsäge

Nr. 10 –

Der neue argentinische Präsident Javier Milei greift gezielt feministische Errungenschaften an. Nun organisieren Frauen und Queers den Widerstand.

Protestaktion gegen gestiegene Nahverkehrspreise am 1. März in Buenos Aires
Frauen immer zuvorderst: Protestaktion gegen gestiegene Nahverkehrspreise am 1. März in Buenos Aires. Foto: Daniella Fernandez, Imago

«Der Protestaufruf richtet sich gegen die Regierung von Javier Milei, durch die die Bevölkerung verarmt», sagt Verónica Gago. Die Philosophin und Politologin ist Teil von «Ni Una Menos». Im Vorfeld des feministischen Kampftages am 8. März hat das Kollektiv mehrere Versammlungen, sogenannte Asambleas, organisiert – an denen Hunderte Frauen und queere Personen teilnahmen. «Die Lebensmittelkrise, die Entlassungen und die Inflation sind die Themen, die bei den Asambleas am meisten angesprochen wurden», sagt Gago. Deshalb prangern die Aktivist:innen dieses Jahr explizit auch die ökonomische Gewalt an, von der Frauen und queere Personen ebenso betroffen sind wie von geschlechtsspezifischer Gewalt.

In den ersten drei Monaten seiner Präsidentschaft führte Milei ein neoliberales «Schockprogramm» durch. Zwar scheiterte sein umstrittenes Gesetzespaket Ley Omnibus im Kongress. Ein Notstandsdekret mit über 300 Massnahmen, die staatliche Regulierungen abschaffen, ist aber weiterhin in Kraft. Unter Milei stieg die jährliche Inflation im Januar auf 250 Prozent, Lebensmittelpreise schossen in die Höhe, Renten und Löhne verlieren kontinuierlich an Wert. Zwar erzielte das Land zum ersten Mal seit 2012 einen Haushaltsüberschuss, gleichzeitig stieg aber die Armutsrate auf 57 Prozent und damit auf den höchsten Wert in den vergangenen zwanzig Jahren.

«Gegen die Entmenschlichung»

Im ganzen Land organisieren feministische Kollektive solidarische Aktionen, um sich angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation gegenseitig zu unterstützen. Sie verteilen Unterrichtsmaterialien an Mütter, die es sich nicht leisten können, ihren Kindern zum Schulanfang im März Bücher, Hefte und Stifte zu kaufen. Sie sammeln Lebensmittelspenden für solidarische Suppenküchen in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln, die häufig von Frauen verwaltet werden. Die feministischen Versammlungen und Solidaritätsaktionen seien eine «konkrete Praxis gegen die Entmenschlichung», für die die aktuelle Regierung stehe, so Verónica Gago.

Die Regierung von Javier Milei hat mit ihrer Politik auch ganz gezielt feministische Errungenschaften angegriffen: So schaffte sie etwa das Frauenministerium ab und kürzte öffentliche Gelder, die vorher in die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt flossen. Ein Regierungssprecher kündigte zudem das Vorhaben an, das Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu schliessen.

Die feministische Bewegung in Argentinien gilt als Vorbild für Kollektive und Organisationen in ganz Lateinamerika. 2015 entstand hier die Bewegung gegen Femizide «Ni Una Menos» (Nicht eine weniger), die sich anschliessend auf dem Kontinent und darüber hinaus ausbreitete. Alle zwei Stunden wird, den Zahlen der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik zufolge, in der Region eine Frau getötet. Damit verzeichnen Süd- und Mittelamerika die höchste Femizidrate weltweit.

Auch die sogenannte grüne Welle, die Bewegung für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, hat ihren Ursprung in Argentinien. Sie wurde nach den grünen Halstüchern benannt, die mittlerweile Feminist:innen überall auf der Welt tragen, um sich für den legalen, sicheren und kostenfreien Zugang zu Abtreibungen einzusetzen. Die Bewegung erreichte 2020 die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Argentinien. Seither sind die Zahl der Teenagerschwangerschaften und die Müttersterblichkeit gesunken. Auch Kolumbien und Mexiko lockerten anschliessend ihre Abtreibungsgesetze. Aber die errungenen Rechte sind in Gefahr: Milei selbst hat bisher noch keine konkreten Schritte unternommen, um das Abtreibungsrecht abzuschaffen, eine Abgeordnete seiner Partei reichte aber im Kongress einen Vorstoss ein, der Schwangerschaftsabbrüche wieder unter Gefängnisstrafe stellen will.

Massenhaft die Strassen besetzen

Für die rechtslibertäre Regierung von Javier Milei und seiner Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) ist der Feminismus ein Feindbild. «Das Einzige, was die radikalfeministische Agenda bewirkte, ist mehr staatliche Intervention, um den Wirtschaftsprozess zu behindern und Bürokraten zu beschäftigen, die nichts zur Gesellschaft beitragen», sagte Milei bei seiner Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2024.

Davon lassen sich die feministischen Kollektive Argentiniens nicht einschüchtern – ganz im Gegenteil: «Unsere Freiheit wird nicht vom Markt regiert» und «Haltet die Kettensäge von unseren Rechten fern», lauten die Parolen des diesjährigen 8. März. Verónica Gago von «Ni Una Menos» erwartet einen grossen Protestmarsch: «Wir hoffen, dass wir massenhaft die Strassen besetzen und es schaffen, eine starke Opposition gegen diese Regierung aufzubauen.» Gleichzeitig arbeiten die feministischen Kollektive an einem politischen Programm, um sich der neoliberalen Offensive der Regierung zu widersetzen und die Rechte von Frauen und queeren Menschen zu verteidigen.