Wahlen 2019

20.30: Grünes Know-how für den Bundesrat

Plötzlich sind sie alle im rechten Vorzimmer des Nationalrats – dort, wo eigentlich die Fraktionen von SVP und FDP ein- und ausgehen. Es ist Zeit für die sogenannte Elefantenrunde des Schweizer Fernsehens (SRF). Gut gelaunt betritt SP-Präsident Christian Levrat das Studio, auch wenn seine Partei voraussichtlich fünf Sitze einbüsst. Durch den Hintereingang kommt CVP-Chef Gerhard Pfister, er wirkt nervös, auch wenn seine Partei nicht so schlecht abgeschnitten hat wie befürchtet. Eingetroffen sind auch FDP-Chefin Petra Gössi und SVP-Präsident Albert Rösti. Viel zu lachen haben die beiden nicht, büssen sie doch ihre bisher satte rechtsbürgerliche Parlamentsmehrheit ein.

Dann eilt Regula Rytz durch den Parlamentssaal, in dem ihre Grünen in Zukunft mit siebzehn zusätzlichen Sitzen über eine deutlich grössere Fraktion verfügen werden. Von der Moderatorin bereits als Siegerin begrüsst, steht sie neben den restlichen ParteipräsidentInnen und ist überwältigt: «Was wir erleben, ist eine historische Verschiebung, wie sie die Schweiz selten gesehen hat», so Rytz. 

Bis die Frage aufs Tapet kommt, über die im Bundeshaus schon seit Stunden gesprochen wird, dauert es aber eine Viertelstunde: jene nach der künftigen Zusammensetzung des Bundesrats. Zuerst plätschert das Gespräch dahin, es wird über trockene klimapolitische Forderungen wie Flugticket- und Lenkungsabgaben geredet, über «Kompromisse» und «tragfähige Lösungen» für die Zukunft. Ganz so, als wäre nichts passiert an diesem 20. Oktober. Ob die Wahl «eine Klatsche für die Etablierten» sei, fragt Moderatorin Nathalie Christen dann noch – und bedient damit die langjährige Rhetorik der SVP von der Classe politique. Dabei hat die Partei doch gerade eine krachende Niederlage eingefahren

Und dann kommt endlich der Satz, auf den hier alle gewartet haben. «Der Bundesrat, wie er zusammengesetzt ist, passt nicht mehr zu den jetzigen Mehrheiten», sagt Rytz. Wochenlang hatte sie Zeit, sich auf diesen Moment des Triumphs vorzubereiten; dass ihre Partei derart massiv gewinnt, hat sie aber nur hoffen können. Nun verkündet sie – vorsichtig, nach einigem Herumdrucksen und Lavieren –, Anspruch auf den FDP-Sitz von Ignazio Cassis erheben zu wollen. 

Und während die FDP noch verzweifelt für Stabilität und die Zauberformel plädiert, ist längst klar: Angesichts der heutigen Ergebnisse, der Deutlichkeit der Klimawahl, gehören die Grünen in den Bundesrat, Zauberformel hin oder her. So wie es aussieht, wird die SP sie dabei unterstützen, während sich CVP-Präsident Pfister vorerst bedeckt hält. Ein Interesse daran hätte seine Partei allerdings schon – lenkt das doch davon ab, dass sie nicht mehr die viertstärkste Kraft im Parlament ist. Und einmal mehr könnte die Partei von Gerhard Pfister zur Mehrheitenbeschafferin werden. 

Zwar waren schon im Vorfeld der Wahl die Stimmen jener laut geworden, die die Grünen zur Geduld auffordern: Schliesslich hätten auch andere Parteien auf ihren Bundesratssitz gewartet, man müsse deshalb erst schauen, wie die Partei beim nächsten Mal abschneide. Diesen Zweiflerinnen und Kritikern lässt sich aber eines entgegnen: Dass die Schweizer Bevölkerung schnelle Lösungen gegen die Klimaerwärmung will, hat sie heute mehr als deutlich bewiesen. Und für ebendiese schnellen Lösungen läuft die Zeit davon. Umso wichtiger ist mehr klimapolitisches Know-how im Bundesrat, und das nicht erst in vier Jahren.