Kost und Logis: Der Geschmack der Mikroben

Nr. 14 –

Eine andere Agrarforschung käme auch Gourmets zugute, meint Bettina Dyttrich

Beim Wein spielt «Terroir» eine wichtige Rolle. Und wir schauen auf den Jahrgang. Klar. Warum bei anderen Lebensmitteln nicht? Auch bei ihnen haben Boden und Wetter einen grossen Einfluss auf den Geschmack. In «Verwobenes Leben», seinem monumentalen Werk über Pilze, erwähnt der englische Biologe Merlin Sheldrake eine Studie, die zeigt, dass Wurzelpilze den Geschmack von Erdbeeren beeinflussen. Wo wären wir heute, wenn die Mainstream-Agrarforschung der letzten 150 Jahre auf solche Aspekte Wert gelegt hätte? Statt nur auf Rationalisierung und Ertragssteigerung?

«Mit dem Boden dort ist es einfach, einen guten Käse zu machen», sagte eine erfahrene Älplerin zu mir, als ich den Käse einer bestimmten Bündner Alp lobte. Die Mineralien im Boden, die Futterpflanzen der Kühe, die Mikroben an den Wänden des Käsekellers – alles beeinflusst den Geschmack. Und gerade die Mikroben wurden lange unterschätzt. Sie sind überall: im Boden, in der Luft, auf und in allen Lebewesen. «Wir sind Ökosysteme, in denen die Mikrobengemeinschaften leben können», sagt die US-amerikanische Biochemikerin Margaret McFall-Ngai. Die Gemeinschaften dieser winzigen Bakterien, Algen und Pilze heissen Mikrobiome. Ihre Vielfalt ist bedroht: «Mit der Zucht in Richtung mehr Grösse und Ertrag sind die Pflanzenmikrobiome viel einheitlicher geworden, und ihre Samen enthalten eine viel geringere Anzahl nützlicher Mikroben», warnt die deutsche Biologieprofessorin Gabriele Berg. Die Mikroben im Essen beeinflussen das Mikrobiom im Darm – das für die Gesundheit eine Schlüsselrolle spielt. Von Autoimmunkrankheiten über Adipositas bis Depressionen können viele Krankheiten mit ihm zu tun haben.

Die beiden Zitate stammen aus dem neuen Buch «verwoben & verflochten» von Florianne Koechlin. Seit 2007 hat die Basler Biologin ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht, die die Forschung über die erstaunlichen Interaktionen in Ökosystemen einem breiten Publikum zugänglich machen.

Gene seien Baupläne für Eigenschaften von Lebewesen, lernte ich in den Neunzigern in der Schule. Koechlin kritisierte diese Vereinfachung damals schon. Heute ist klar: Sie hatte recht. Genetik ist viel komplexer. Im neuen Buch geht es nicht nur um Mikroben, sondern auch um die Frage, wie Menschen besser mit Kühen und Fischen umgehen könnten, um Erstaunliches aus der Ameisenforschung und darum, wie eine Landwirtschaft aussieht, die die verwobenen Ökosysteme produktiv nutzt. Das macht sie nicht nur ökologischer und interessanter für die Landwirt:innen, sondern kommt auch der Kulinarik zugute. Zum Beispiel beim Ustermer Bäcker Thomas Wiesmann, den Koechlin besucht hat. Er verbackt uralte Getreide wie Waldstaudenroggen, Emmer und Schwarze Gerste und teilt sein Getreide in Jahrgänge ein wie ein Winzer. Jetzt brauchen wir nur noch eine Ernährungspolitik, die das gute Essen für alle zugänglich macht.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. Das Buch «verwoben & verflochten» von Florianne Koechlin ist im Lenos-Verlag erschienen.