Nachtbeleuchtung: Laterne - Mond und Sterne?

Nr. 25 –

Die Nacht vom 21. zum 22. Juni ist die kürzeste des Jahres. Die Verkürzung der Nacht wird aber auch künstlich betrieben, und zwar seit der Mensch das Feuer beherrscht. Von positiven und negativen Utopien rund um Licht und Dunkel.

Sich vom Gegensatzpaar Hell und Dunkel nur eines zu denken, hat die Fantasie der Menschen seit je beflügelt. Die ewige Nacht ist Urbild des Chaos, der Verdammnis, des Kriegs. Das Bild hat nach wie vor Konjunktur, der atomare Winter, die Apokalypse nach einem Meteoriteneinschlag, sie gehen einher mit der Verdunkelung der Sonne, mit dem Verlust des Tageslichts. Und der ewige Tag? Es gibt keinen Urmythos der immerwährenden Helligkeit - offenbar lässt sich der Schrecken der totalen Nacht nicht so ohne Weiteres ins Positive drehen. Entsprechende Allmachtsfantasien gibt es indessen, gerade in der Wirtschaft, zuhauf.

Seit es das Feuer gibt, hat sich der Mensch daran gemacht, die Nacht allmählich zum Tag zu machen. KulturhistorikerInnen haben die Nacht oft als Territorium beschrieben, auf das sich der Mensch mithilfe des Lichts Stück für Stück weiter vorwagte, um es schliesslich ganz zu erobern. Doch die Nacht ist immer noch Nacht, und das liegt nicht in erster Linie daran, dass es an der nötigen Technik fehlen würde.

Seit dem flackernden Schein des offenen Feuers ist das domestizierte Licht einen weiten Weg gegangen, vom brennenden Scheit zur Fackel, dann zur Kerze und zur Öllampe. Dem letzten Schritt misst Wolfgang Schivelbusch, der eine Geschichte der künstlichen Helligkeit geschrieben hat, eine grosse psychologisch-symbolische Bedeutung bei. Denn am Docht verzehrte sich das Feuer zum ersten Mal nicht mehr selbst, «in der stetig und ruhig vor sich hinbrennenden Flamme der Kerze wurde das Feuer so pazifiziert und reguliert wie die Kultur, die sich diese Form der Beleuchtung schuf.»

Über die Jahrhunderte wurde der Docht ein so selbstverständlicher (und liebevoll gepflegter) Teil des leuchtenden Feuers, dass die Menschen ungläubig vor der nächsten Entwicklung standen. Anfang des 19. Jahrhunderts begann man, das «Leuchtgas», das man schon seit über hundert Jahren kannte, im grossen Stil zur Beleuchtung zu nutzen. Dass so das Feuer endgültig entmaterialisiert wurde, schien schon zauberhaft genug, doch die Loslösung der Lampe aus dem ursprünglichen Feuerkontext hatte damit erst richtig begonnen. Mit der Elektrizität ging der Lampe die Flamme verloren, und schliesslich, mit der Leuchtdiode, auch noch die Hitze (der Glühfaden bewahrte wenigstens noch eine vage Erinnerung an das brennende Scheit).

Jede dieser Innovationen trat ihren Siegeszug zuerst im Hausinnern an. Gaslampen kamen in den Industriegebieten Englands auf, wo in den Fabriken Bedarf an intensiven Lichtquellen bestand. Maschinen brauchten keinen Schlaf, bald betrachtete man die Nachtruhe bloss noch als störenden Unterbruch. Da Kohle ohnehin die Triebfeder der Industrie war und das Gas bei der Verkokung in grossen Mengen anfiel, «bestand», wie Schivelbusch schreibt, «die Produktion von Leuchtgas also (…) in nichts anderem als der Verwertung eines bis dahin ignorierten Abfallprodukts.» Von den Industriehallen fanden die Gaslampen ihren Weg alsbald in die Stadt, in die Theater und die Salons. Und schliesslich auch in die Strassen, wo sie bald einmal die alten Öllampen verdrängten. Es war ein einschneidender Wechsel im Stadtbild, zumindest an ausgesuchten Orten: Erstmals vermochten die hellen Lampen so etwas wie einen einheitlichen Lichtraum zu schaffen, sie erzeugten nicht mehr bloss Eigen-, sondern Leuchtlicht, Licht, das ganze Strassenzüge zu erhellen vermochte. Die Lampe begann ihren individualistischen Charakter zu verlieren, zum ersten Mal entstand so etwas wie ein kollektives nächtliches Licht.

Strassenlaternen gab es in europäischen Städten seit dem 16. Jahrhundert, seit die Hausbesitzer verpflichtet wurden, im Winter ihr Haus mit einer Lampe zu kennzeichnen. Im Grunde handelte es sich dabei um eine fixierte Version der tragbaren Öllampe, die jeder Nachtgänger im Mittelalter dabeihaben musste, wollte er nicht den Verdacht der Obrigkeit auf sich ziehen. Das Dunkel sollte strukturiert werden, um die Orientierung zu erleichtern und die Nacht kontrollierbar zu machen. Damals formten die Lampen im Stadtraum im besten Fall lockere Lichterketten, weit voneinander entfernte Fixpunkte. Das änderte sich auch nicht, als im späten 17. Jahrhundert die ersten öffentlichen Beleuchtungen entstanden, durch die das Licht zu einem Teil der behördlich regulierten Strasse wurde. In Paris liess der Sonnenkönig Ludwig XIV. 2700 Einheitslaternen aufhängen, kleine Repräsentationen seiner Macht. Das Beleuchtungswesen gehörte bis zu den Revolutionen zum polizeilichen Sicherheitsapparat, und seine Bedeutung wuchs rasant, schon im 18. Jahrhundert machte es den grössten Einzelposten im Pariser Polizeihaushalt aus. Schivelbusch vergleicht die Institutionalisierung der Beleuchtung mit dem Herausbilden des staatlichen Waffenmonopols, das ungefähr gleichzeitig vonstatten ging. Hier dürfte auch der Keim liegen für die feindliche Haltung dem nächtlichen Licht gegenüber, die Ende des 19. Jahrhunderts in Widerstreit mit den positiven, aufklärerischen Assoziationen (Licht = Sicherheit, Moral, Beherrschbarkeit) treten sollte.

Doch zunächst folgte die öffentliche Beleuchtung dem technischen Fortschritt. Auf Öl folgte Gas, und auf Gas das elektrische Licht. Dieses hatte seinen ersten Auftritt in ebenso archaischer wie spektakulärer Weise: Die um 1800 erfundene Bogenlampe brennt ab wie eine Fackel, der gleissende Funkenbogen verzehrt die Kohlenelektroden langsam. Das dabei entstehende Licht ist so hell, dass man hier mit Recht von künstlichen Sonnen sprechen kann (auch, was die spektrale Zusammensetzung des Lichts betrifft). In einer französischen Zeitung heisst es 1844: «Das Licht (...) war so stark, dass die Damen ihre Schirme aufspannten - nicht etwa aus Galanterie gegenüber den Erfindern, sondern um sich gegen die Strahlung dieser geheimnisvollen neuen Sonne zu schützen.»

Damit war der Mensch zum ersten Mal mit einer Lampe konfrontiert, die ein Zuviel an Licht produzieren konnte. Doch dieses Zuviel schreckte zunächst nicht ab, sondern diente ungestümen Zukunftsvisionären zur Inspiration. Die Bogenlampe blendet? Dann muss sie eben aus dem Sichtfeld entfernt werden, hinaufgehoben an eine der nächtlichen Sonne gebührende Stelle. Nicht mehr allein einzelne Strassen, sondern die ganze Stadt sollte von nun an lichtdurchflutet sein, es ging den Lichtutopisten im 19. Jahrhundert um nichts weniger als um die Abschaffung der Nacht. Das künstliche Licht wurde zum Inbegriff der Moderne.

Zur Weltausstellung 1889 schlug ein französischer Elektroingenieur vor, einen klassizistischen Sonnenturm zu bauen, der in 360 Metern Höhe eine gewaltige Bogenlampe tragen und so die gesamte Strassenbeleuchtung der Hauptstadt überflüssig machen sollte. Die Wettbewerbsjury liess sich nicht überzeugen, gebaut wurde stattdessen der Eiffelturm.

Auch wenn sie in der «Ville Lumière», wie sich Paris gern gesehen hat, nicht zur Ausführung gekommen sind, die überbordenden Pläne der Lichttechniker blieben dennoch keine Utopie. Auf der anderen Seite des Atlantiks setzte man die Träumereien kurzerhand und auf durchaus prosaische Weise in die Tat um. Ende des 19. Jahrhunderts hatten zahlreiche amerikanische Städte (die grösste war Detroit) auf die Lichtturmbeleuchtung umgestellt. Nüchterne Stahlträger, mit heutigen Strommasten vergleichbar, hoben die Bogenlampen bis zu hundert Meter über die Dächer der Stadt. Das ganze Stadtgebiet von Detroit, das sich immerhin über fünfzig Quadratkilometer erstreckte, liess sich so mit wenig mehr als hundert Türmen beleuchten. Doch schon nach dreissig Jahren wurden die Lichttürme wieder demontiert, sie boten «mehr Spektakel als Effizienz», wie ein Chronist bemerkte.

Womöglich hätten sie noch rascher wieder weichen müssen, wenn von ihnen tatsächlich mehr als bloss grossflächiges «Dämmerlicht» ausgegangen wäre. Seit den Öllaternen Ludwigs hatte die nächtliche Beleuchtung nicht allein praktische, sondern auch politische Bedeutung, sie war Hoheitszeichen der Macht. Während der Revolution waren die Lampen deshalb beliebte Ziele der Aufständischen, sowohl aus taktischen als auch aus symbolischen Gründen. Die Ausleuchtung der Nacht wurde immer öfter gleichgesetzt mit staatlicher Überwachung, und die Utopien des Lichts schlugen bald einmal ins Negative um. So schreibt der Romancier Stevenson 1917 vom Bogenlicht als einem «Schrecken, der jeden Schrecken erhöht». Die Angst vor dem allmächtigen Suchscheinwerfer, dem Auge des Gesetzes, das einen überall findet, vermischte sich mit der Sehnsucht nach der Geborgenheit des Dunkels. Bis heute wirft man sich die Nacht gern über wie einen dunklen Umhang, man schätzt ihre Anonymität, ob man nun etwas Zwielichtiges vorhat oder ob man sich bloss ein wenig vor sich selbst verbergen will.


Peter Schriber ist Direktor des Bereichs Öffentliche Beleuchtung der Stadt Zürich.

«Nicht überall taghell»

WOZ: Herr Schriber, wie viele Lampen gibt es im öffentlichen Raum in Zürich?

Peter Schriber: 57 579 alles in allem, wenn man die beleuchteten Verkehrsinselpfosten, Uhren und Wartehallen mitzählt. Darunter sind auch noch ein paar Gaslaternen am Rindermarkt.

Was ist die Aufgabe der öffentlichen Beleuchtung?

Prinzipiell die Sicherheit im öffentlichen Raum. Jüngst geht es vermehrt auch um die Attraktivitätssteigerung der Stadt, mit dem Plan Lumière haben wir diesbezüglich einen zusätzlichen Auftrag bekommen. Wir haben zwar schon früher Gebäude angeleuchtet, doch nur punktuell in der Innenstadt. Lichtinszenierungen im öffentlichen Raum sind allerdings nicht unproblematisch, man muss da in verschiedenerlei Hinsicht vorsichtig sein - Blendung, ökologische und energetische Aspekte gilt es zu berücksichtigen.

Das heisst, es gibt sowohl Klagen über zu wenig wie zu viel Licht?

Ja, allerdings eindeutig mehr von Ersterem. Grundsätzlich werden öffentliche Strassen und Fusswege nach den Sicherheitsnormen beleuchtet.

Wie sieht es mit der Lichtverschmutzung aus?

Da hat die Stadt Zürich immer eine Vorreiterrolle gespielt. Es werden vorwiegend Leuchten mit modernster Technik eingesetzt.

Auch im 21. Jahrhundert ist es nachts in den Städten immer noch dunkel. Hat das technische, ökonomische oder ästhetische Gründe?

Technisch ist heute alles möglich. Aber wir wollen ja gar nicht überall taghelle Verhältnisse. In den Erholungszonen zum Beispiel sind wir sehr zurückhaltend. Und auch sonst muss man die Ruhephase von Fauna und Flora respektieren.

Interview: Roland Fischer