Nach den Wahlen: In der Wundertüte

Nr. 46 –

Die CVP hat sich saniert und inhaltlich wie auch personell erneuert. Wird sie damit zur Bündnispartnerin von Rot-Grün?

Wenn es dumm läuft, verliert die CVP im Ständerat noch zwei Sitze. Aber selbst wenn Eugen David in St. Gallen oder Filippo Lombardi im Tessin im zweiten Wahlgang Ende November hängen bleiben, kann die Partei zufrieden sein. Sie hat bei den Wahlen zugelegt und mit der FDP gleichgezogen. Nun darf die Partei der Konkordanz par excellence - auf sie geht die Zauberformel im Bundesrat zurück - auch wieder vom zweiten Bundesratssitz träumen. Und Christoph Blocher ist noch nicht wiedergewählt.

Die CVP ist 2007 in einen Jungbrunnen gestiegen. Knapp ein Viertel ihrer ParlamentarierInnen sind neu, ein weiteres Viertel ist erst seit der letzten Amtsperiode dabei. Den Schock von 2003 - als Ruth Metzler in einer Kampfwahl gegen Blocher verlor - hat die Partei zu nutzen verstanden. Mit neuen Gesichtern wie der heutigen Bundesrätin Doris Leuthard und dem Parteichef Christoph Darbellay hat sie ihr Image aufpoliert. Und mit einem sozial-liberalen Programm - zu dem nun auch noch ein bisschen Ökologie kommt - hat sie den katholischen Stammtisch hinter sich gelassen. Mittelfristig ist da auch in städtischen Gebieten einiges drin - zumal sich die politische Mitte neu formiert.

Die CVP gewinnt immer

Im Parlament ist die CVP seit langer Zeit die Partei der Mehrheit. Ihre Parolen und ihr Stimmverhalten setzen sich in den meisten Fällen durch. Sie war aber auch immer ein fester, wenn auch sozialer Bestandteil der bürgerlichen Mehrheit. Nachdem sich die FDP aufgegeben hat, ist sie im bürgerlichen Lager die wichtigste Gegenspielerin der SVP. Gleichzeitig ist sie bei der SP und den Grünen als Bündnispartnerin begehrt.

Wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse zählt im Parlament jede Stimme. Bereits in der letzten Legislatur sind einige links-grüne Anliegen nur knapp angenommen worden: etwa die Harmonisierung der Familienzulagen oder die Vergütung für die Einspeisung von erneuerbaren Energien. Und die Privatisierung der Swisscom wurde mit neun Stimmen Differenz abgelehnt. Nach den Verlusten der SP sind die Verhältnisse in den nächsten vier Jahren eher noch knapper.

Die SP hat bereits vor den Wahlen ihre Schlüsseldossiers der kommenden Legislatur definiert: Keine Erhöhung des AHV-Alters auf 67 Jahre. Keine Privatisierung der Swisscom. Keine weiteren Steuersenkungen auf Bundesebene. Keine neuen AKWs. Und natürlich hat die SP - wie die Grünen - gesagt, sie werde Christoph Blocher auch diesmal nicht in den Bundesrat wählen.

Wo darf sich die SP allenfalls Hoffnungen auf Bündnisse machen? Die WOZ hat sich bei der CVP umgehört - vor allem bei ihren Frischlingen im Parlament.

Rentenalter 67

Gemäss «Smartvote» ist die überwältigende Mehrheit der CVP-ParlamentarierInnen dagegen, das Rentenalter hinaufzusetzen. Kathrin Amacker, die neue Nationalrätin aus dem Kanton Baselland, hat dazu eine klare Haltung: «Die AHV ist gesund. Rentenalter 67 ist eine dogmatische Position. Wir müssen uns vielmehr überlegen, wie wir es schaffen, dass die Leute bis 65 arbeiten. Als langjährige Vertreterin der Arbeitnehmer bei Novartis stelle ich fest, dass die meisten bereits mit 60 oder 61 Jahren in Pension gehen.» Weit verbreitet ist in der CVP aber die Position, das Rentenalter solle flexibler gestaltet werden: nach oben freiwillig und nach unten unter teilweisem Leistungsverzicht. Rentenalter 67 bleibt also ein neoliberaler Wunschtraum. Die von der SP mitgetragene Initiative der Gewerkschaften für ein flexibles Rentenalter 62 wird es aber auch schwer haben.

Privatisierung der Swisscom

Die von den Bundesräten Blocher und Hansruedi Merz forcierte Privatisierung der Swisscom scheiterte in der letzten Legislaturperiode knapp - dank der Stimmen der CVP. Und auch im neuen Parlament wird die Mehrheit der CVP gegen eine Privatisierung stimmen - vor allem jene ParlamentarierInnen aus den ländlichen Regionen. Die neue CVP-Ständerätin Anne Seydoux aus dem Jura fasst die Vorbehalte so zusammen: «Die Randregionen sorgen sich, abgehängt zu werden. Bei einer Totalprivatisierung ist die Grundversorgung nicht mehr zwingend gewährleistet. Deshalb soll der Staat die Mehrheit an der Swisscom behalten.» Aber unter den neuen CVP-NationalrätInnen gibt es einige, die sich nicht oder nicht grundsätzlich gegen weitere Privatisierungsschritte stellen. Die Zürcher Nationalrätin Barbara SchmidFederer sagt, sie sei zurzeit wegen der vielen Unsicherheitsfaktoren gegen eine Vollprivatisierung der Swisscom: «Tendenziell interessiert mich aber eine Liberalisierung dieses Marktes.» Ein entschiedener Befürworter der Privatisierung ist sodann Jacques Neirynck aus dem Kanton Waadt: «Ich bin für die Swisscom-Privatisierung, weil ein privates Telekommunikationsunternehmen die gleichen Dienstleistungen anbieten kann wie ein staatliches. Es kann auch Gewinne erwirtschaften - im Unterschied etwa zu den SBB, die aus der Bundeskasse unterstützt werden müssen.» Vorderhand kann Rot-Grün also auf die CVP zählen - aber mittelfristig wird die CVP in dieser Frage nicht mehr geschlossen auftreten.

Steuersenkungen

Hier zeigt sich die CVP in ihrem ganzen schillernden Spektrum. Für Gerhard Pfister, den Wirtschaftsvertreter aus dem Kanton Zug, sind weitere Steuersenkungen unerlässlich, für den Gewerkschafter Meinrado Robbiani aus dem Tessin sind sie kein Thema. Kathrin Amacker setzt sich ein für die Unternehmenssteuerreform II, über die im Februar abgestimmt wird. Sie will ausserdem die sogenannte Heiratsstrafe - bei der Bundessteuer sind verheiratete Paare schlechter gestellt als unverheiratete - abschaffen und die Steuern für Familien reduzieren. Damit befindet sie sich im Mainstream der Partei. Für die Aargauer Nationalrätin Esther Egger-Wyss sind Steuersenkungen kein prioritäres Ziel: «Zuerst müssen wir den Haushalt in Ordnung bringen und die Schulden abbauen.» Weil CVP-NationalrätInnen gegenüber den Argumenten der Wirtschaft sehr offen sind, muss Links-Grün in diesem Feld mit unliebsamen Überraschungen rechnen.

Neue AKWs

Die Energieversorger wollen neue AKWs bauen - wofür sie einen politischen Grundsatzentscheid brauchen. In dieser Frage ist die CVP ein Flohhaufen. Überzeugte VerfechterInnen für weitere AKWs sind vor allem in den möglichen Standortkantonen Aargau und Solothurn zu finden. Der Solothurner Pirmin Bischof plädiert für Gösgen 2 oder Beznau 3, wenn die Versorgung trotz Einsparungen und erneuerbarer Energien nicht mehr gewährleistet ist: «Ich gehe davon aus, dass wir die Lücke nicht schliessen können. Dann lieber ein AKW als ein Gaskombikraftwerk.»

Andere wie Barbara Schmid-Federer sind skeptisch: «Ich bin keine Fundamentalistin, aber ich will tun, was ich kann, damit keine neuen AKWs gebaut und keine alten ersetzt werden. Ich hoffe, dass dies mit der Umstellung auf erneuerbare Energien und Einsparungen möglich sein wird.»

Die CVP setzt sich inzwischen mehr für Sparen und erneuerbare Energien ein und könnte in dieser Frage zur Partnerin von Rot-Grün werden. Aber in Sachen AKW wird es wohl innerhalb der CVP nicht zu einer gemeinsamen Haltung kommen. Und es reichen bekanntlich wenige Stimmen, um der FDP/SVP-Atomlobby im Parlament zur Mehrheit zu verhelfen.

Wiederwahl Blochers

Parteipräsident Christoph Darbellay hat sich im letzten Jahr bereits laut Gedanken über eine Abwahl Blochers gemacht - und da wohl die Stimmung in der Romandie gespürt. Die beiden Neulinge Neirynck und Seydoux sind dezidierte Blocher-GegnerInnen. Seydoux: «Ich werde ihn sicher nicht wählen. Mir missfällt die Art, wie er im Bundesrat agiert, wie er sein Departement leitet und wie er sein Amt dazu missbraucht, persönliche Ziele zu verfolgen.» In der deutschsprachigen Schweiz hingegen wird bislang Zurückhaltung geübt. Auch die neuen NationalrätInnen wollen sich nicht in die Karten blicken lassen: «Ich beantworte diese Frage nicht», sagt Bischof. «Ich habe mich noch nicht entschieden und warte auf die erste Fraktionssitzung», sagt Egger-Wyss. «Ich mag es nicht, wenn die Wahl eines einzigen Bundesrates isoliert im Zentrum der Diskussionen steht. Schliesslich wählen wir sieben Bundesräte», sagt Schmid-Federer. Auch Amacker hält sich bedeckt, macht aus ihrer Abneigung gegen Blocher aber keinen Hehl: «Mir passt die Art nicht, wie er im Ausland Volksentscheidungen infrage stellt. Man soll ihn nicht so wichtig nehmen. Bislang hat er nur die von Ruth Metzler vorbereiteten Dossiers umgesetzt.»

Ressentiments gegen Blocher sind vorhanden. Anders als vor vier Jahren steht die Partei inzwischen deutlicher in der politischen Mitte. Blochers Abwahl würde ihr wohl nicht schaden.

Die CVP hat sich in den letzten Jahren neu positioniert. Aber sie bleibt eine Wundertüte. Ihre Tendenz zu pragmatischen Lösungen schlägt leicht in Opportunismus um - wie man in der Asyl- und Ausländerfrage in den letzten Jahren immer wieder feststellen musste.