Biermarkt Schweiz: Wer schluckt was und wen?

Nr. 37 –

Heineken schluckte vor kurzem Eichhof und damit die letzte grosse eigenständige Brauerei. Dennoch gibt es heute in der Schweiz mehr Biersorten denn je. Wie ist das möglich?


Vor knapp drei Jahren konnte man in der Zeitschrift «Bilanz» lesen: «Im Verwaltungsrat sind wir zum Schluss gekommen, dass wir selbständig bleiben wollen.» Die Absichtserklärung Werner Dubachs, Verwaltungsratspräsident und CEO der Eichhof-Holding, hielt genau bis zum April dieses Jahres, als die Offerte von Heineken auf den Tisch kam. Die Luzerner Brauerei hatte sich zuvor prächtig behauptet. Dem rückläufigen Bierkonsum zum Trotz wuchsen Umsätze und Erträge, ein Marktanteil von geschätzten zehn Prozent machte Eichhof zur unangefochtenen Nummer drei im Land. Vor zwei Jahren noch hatte Eichhof Ziegelhof aus Liestal übernommen.

Dem Angebot von 278,5 Millionen Franken des niederländischen Bierbrauers konnte die Mehrheit der Eichhof-AktionärInnen nicht länger widerstehen. Zum Aktionariat zählt auch die Familie des CEO selber, die ein gutes Drittel der Aktien hält, sowie die Familie seiner Frau, mit knapp neun Prozent die zweitgrösste Aktionärin. Als Eichhof im April das Kaufangebot bekannt machte, teilte die Brauerei zugleich mit, dass die Familien Dubach und Keller sowie die Eichhof-Holding, die sieben Prozent besitzt, ihre Aktien Heineken andienen würden. Dem solcherart vorgespurten Entscheid folgten die meisten der über dreitausend restlichen AktionärInnen. «Ein neues Angebot wäre nicht so schnell wieder gekommen», sagt René Weber, Analyst bei der Bank Vontobel. «Der Preis ist sehr attraktiv.»

Konzentration abgeschlossen

Mit dem Eichhof-Deal hat Heineken dem Konzentrationsprozess im hiesigen Biermarkt wohl den Schlusspunkt gesetzt. Die jüngere Brauereigeschichte der Schweiz ist geprägt von Übernahmen. 1991, ein Jahr nachdem das Bierkartell gefallen war, fusionierten Calanda-Bräu und Haldengut. Drei Jahre später ging das fusionierte Unternehmen in den Besitz von Heineken über. Ende der neunziger Jahre wurde Ittinger aufgekauft. Und nachdem Feldschlösschen 1991 Cardinal und fünf Jahre darauf Hürlimann geschluckt hatte, wurde im Jahr 2000 die Rheinfelder Brauerei ihrerseits vom dänischen Bierbrauer Carlsberg gekauft. Nun ist also Eichhof an der Reihe. Sobald die Übernahme vollzogen ist, wird der letzte noch an der Zürcher Börse gehandelte Brauereititel dekotiert. Biermarktanalyst René Weber erinnert sich, dass er vor zwanzig Jahren noch neun kotierte Brauereien zu beurteilen hatte.

Was sich hierzulande abspielt, hat sein Pendant im weltweiten Biermarkt. «Die letzten drei Jahre erlebte die Bierbranche international eine massive Konzentration», sagt Analyst Weber. Gerade erst hat die belgische InBev - gemessen an der Menge produzierten Biers der weltweite Branchenleader - die US-amerikanische Brauerei Anheuser-Busch gekauft, weltweit der drittgrösste Bierkonzern (Nummer zwei ist die britische SABMiller). 52 Milliarden Dollar mussten die Belgier dafür lockermachen. Ein anderes Beispiel: Heineken, Nummer vier der Welt, und Carlsberg, Nummer fünf, haben kürzlich die englischen Bierbrauer Scottish & Newcastle für 7,6 Milliarden Pfund (rund 15 Milliarden Franken) gekauft und dann untereinander aufgeteilt. «In den meisten Biermärkten gibt es zwei grosse Unternehmen», sagt Vontobel-Analyst Weber.

Heineken erhöht mit dem Kauf von Eichhof seinen Marktanteil in der Schweiz um 10 auf geschätzte 28 Prozent. (Die Angaben beruhen auf Schätzungen. Der Schweizer Brauerei-Verband macht abgesehen von der Importmenge keine Angaben über die abgesetzte Menge Bier seiner Mitglieder. Heineken gibt keine Auskunft über einzelne Länder. Die Zahl von Schützengarten beruht auf Eigendeklaration.)

Der Kauf war eine der vorläufig letzten Gelegenheiten für den Branchenriesen, in der Schweiz durch Akquisition zu wachsen. Und damit auch, das «strategische Ziel» zu verwirklichen, «die Nummer eins oder eine noch stärkere Nummer zwei zu werden», wie Heineken-Mediensprecher Urs Knapp sagt. Denn viele der mittleren und kleineren Brauereien sind in den Händen von nicht verkaufswilligen Familien. Anders als über Zukäufe aber haben es die beiden grössten Brauereiunternehmen in der Schweiz - Carlsberg ist die Nummer eins, Heineken die Nummer zwei - schwer, zu wachsen. «In den letzten zehn Jahren sind die beiden Grossen geschrumpft», sagt Christoph Kurer, Geschäftsleiter der St. Galler Brauerei Schützengarten. «Wir hingegen haben uns überdurchschnittlich entwickelt.»

Der Bierkonsum in der Schweiz ist zwar rückläufig: Pro Person wurden letztes Jahr durchschnittlich etwa 57 Liter Bier getrunken, zehn Jahre zuvor waren es noch knapp 60 Liter gewesen. Doch Eichhof, aber eben auch Schützengarten, haben entgegen dem Trend zugelegt. Die regionalen Brauereien hatten einen Trumpf in der Tasche: Sie hatten die BiertrinkerInnen nicht vergrault. Feldschlösschen beispielsweise schockierte 1997 die ZürcherInnen mit dem Entscheid, die Produktion der kurz zuvor gekauften Hürlimann-Brauerei stillzulegen. Viele WirtInnen wollten fortan anderes Bier - das war die Chance für regionale Brauereien. So beliefert die St. Galler Brauerei Schützengarten heute im Kanton Zürich rund 300 Restaurants und unterhält dort auch zwei Depots. Auch die Zürcher Turbinen-Bräu wurde ausdrücklich als Reaktion auf die Hürlimann-Schliessung gegründet.

Grosse haben bessere Karten

Die grossen Bierbrauer hatten sich also unbeliebt gemacht - dennoch ist es erstaunlich, dass Carlsberg und Heineken in den letzten Jahren nicht so recht auf einen grünen Zweig kamen. Denn die in der Gastronomie übliche Praxis der Kreditvergabe verschafft kapitalkräftigen Brauereien einen Vorteil. Brauereien und Gastronomiebetriebe schliessen häufig Lieferverträge mit mehrjähriger Laufzeit ab - die grossen Brauereien können den Restaurants dabei Kredite gewähren, die kleinen hingegen nicht. «Sie können nicht auch noch Bank spielen», sagt Alois Gmür, Präsident der Interessengemeinschaft unabhängiger Klein- und Mittelbrauereien.

Mittlerweile müssen aber die grossen Bierunternehmen auch Verträge eingehen, die ihnen wohl wenig zupasskommen. Die Stadt Zürich, die rund fünfzig Restaurants besitzt, hat zwar einen neuen fünfjährigen Liefervertrag mit Feldschlösschen abgeschlossen. Im Gegensatz zum alten Vertrag aber erlaubt der neue den WirtInnen, ein Drittel des Bierabsatzes mit regionalen beziehungsweise städtischen Bieren zu erwirtschaften. Zuvor mussten die Gastrobetriebe der Stadt Strafzölle bezahlen, wenn sie andere Biersorten als die des Lieferanten ausschenkten.

Die Marktmacht von Carlsberg und Heineken in der Gastronomie ist dennoch beträchtlich. Dies ergab die Überprüfung des Eichhof-Kaufs durch die Wettbewerbskommission (Weko). Während Carlsberg und Heineken beim Absatz im Detailhandel bloss auf einen Marktanteil von unter fünfzig Prozent kommen, sind es bei den Restaurants und Hotels laut Auskunft von Walter Stoffel, Präsident der Weko, wesentlich mehr. Weil Gastronomiebetriebe aber frei sind, die LieferantInnen zu wechseln, sei trotz der hohen Konzentration der freie Markt auch dort intakt. «Jährlich laufen zwanzig bis dreissig Prozent der Lieferverträge aus. Dann können andere Brauereien ein Angebot machen», sagt der Weko-Präsident. Deshalb kam die Wettbewerbsbehörde zum Schluss, dass Carlsberg und Heineken zusammen den Markt nicht beherrschen, und bewilligte die Eichhof-Übernahme.

Boom der Kleinen

Die grossen zwei haben also einen festen Stand - und dennoch Sorgen: Zusätzlich zu den Folgen der Schliessung grösserer Brauereistandorte macht den beiden Marktführern wohl auch zu schaffen, dass immer mehr Brauereien gegründet werden. Im März vor einem Jahr verkündete die IG der Klein- und Mittelbrauereien stolz, dass innerhalb von zwei Jahren die Anzahl der Brauereien in der Schweiz um ein Drittel auf 170 gestiegen sei. Zugleich wurden zehn neue Mitglieder in die IG aufgenommen, die in den fünf Jahren zuvor gegründet wurden. Diese müssen jährlich mindestens 1000 Hektoliter Bier absetzen und einen vollberuflichen Braumeister beschäftigen.

Die IG der Klein- und Mittelbrauereien selber entstand nicht als Reaktion gegen die Akquisitionen des dänischen und des holländischen Riesen, sondern bereits im Jahr 1990, als das Bierkartell fiel. Dieses war lange Zeit Garant dafür gewesen, dass keine Brauerei die andere angriff: Man hatte sich auf Preise und Verkaufsregionen geeinigt. Nach 1990 war das anders. «Die Grossen wollten fortan diktieren, wo es langgeht», erinnert sich Alois Gmür, der nicht nur die IG präsidiert, sondern auch in der familieneigenen Brauerei Rosengarten in Einsiedeln als Braumeister tätig ist. Die IG macht sich stark für die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder und will regionale Biersorten und deren Vielfalt fördern.

Das regional produzierte Bier mit unterscheidbarer Geschmacksnote: Damit trafen gerade die kleinen Brauereien den Geschmack so mancher BierkonsumentInnen. Hartmuth Attenhofer erinnert sich noch lebhaft an das frühere Biereinerlei: «Bevor das Kartell fiel, wurde Bier mit einem gefüllten Stangenglas und dem Slogan ‹Schweizer Bier› beworben. Man braute überall dasselbe.» Für den Generalsekretär der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt führte die Auflösung des Kartells dazu, dass kleine und neu gegründete Brauereien Spezialbiere auf den Markt brachten.

Bleibt Eichhof in Luzern?

Es ist davon auszugehen, dass der Markt sich nach dem Verkauf von Eichhof in naher Zukunft nicht grundlegend verändern wird. Weitere Übernahmen durch Carlsberg und Heineken würden kaum bewilligt, da diese zwei den Markt dann noch stärker dominieren würden. Heineken will laut Mediensprecher Urs Knapp denn auch keine weiteren Zukäufe tätigen. Das Szenario, dass die Dänen die Niederländer schlucken oder umgekehrt, bezeichnet Vontobel-Analyst René Weber als «unwahrscheinlich». Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen würden dies die betroffenen Länder kaum zulassen. Weber kann sich hingegen vorstellen, dass sich kleinere Brauereien zusammenschliessen. Könnte etwa Schützengarten, der Familienbetrieb, der nun mit einem Marktanteil von vier Prozent zum grössten Schweizer Bierbrauer avancierte, andere Brauereien aufkaufen? «Akquisitionen sind eine Frage der Gelegenheit. Zurzeit sind die Brauereien aber in guten Händen», hält sich Schützengarten-Chef Christoph Kurer bedeckt. Man habe auch nicht im Sinn, sich von einer grösseren Brauerei übernehmen zu lassen.

Der Biermarkt scheint vorerst zu bleiben, wie er ist. Bleiben jedoch auch die Produktionsorte, wo sie sind? Heineken könnte etwa den Luzerner Standort von Eichhof aufgeben, wie Alois Gmür von der IG der Klein- und Mittelbrauereien befürchtet: «Bei früheren Fusionen wurde die Produktion auf jeweils einen Standort konzentriert.» Dass die Brauerei in Luzern aufgegeben werde, verneint Heineken-Mediensprecher Urs Knapp. Eine Stilllegung kann sich auch Eichhof-Mediensprecher Walter Lutz nicht vorstellen. Die Brauerei sei topmodern, das verwendete Wasser stamme vom Pilatus. Auch Analyst Weber hält eine Verlegung nach Chur wegen zu langer Transportwege für ausgeschlossen.

Darin mögen auch die Gründe liegen für die Arbeitsplatzgarantie, welche Heineken den 455 Eichhof-Angestellten laut Mediensprecher Lutz zugesichert hat: für das Jahr 2008.