Cannabis: Wer ist hier die Mafia?

Nr. 46 –

Die Zeit der Hanfläden ist vorbei. Jetzt wird schlechte Qualität zu horrenden Preisen auf der Strasse verkauft - dort, wo auch die harten Drogen zu haben sind. Ein Augenschein in der Berner Szene.


Die Berner Altstadt zur Jahrtausendwende: Hier schien, so heisst es, fast immer die Sonne. Und wenn sie das tat, sammelten sich Hunderte von Menschen auf der Münsterplattform, dem Park mit der Aussicht auf Aare und Alpen. Über dem Park schwebte eine Wolke von süsslich-herbem Duft, auf dem Rasen trommelten PerkussionistInnen und an den Parkeingängen wurde warnend gepfiffen, wenn die uniformierte Staatsmacht anmarschierte, um einigen Unglücklichen die Blüten abzunehmen, die diese kurz zuvor in aller Selbstverständlichkeit in einem von Dutzenden polizeilich geduldeten Hanfläden in Parknähe gekauft hatten.

Es war dies der Höhepunkt des Laisser-faire, der Versuch einer tolerierenden Hanfpolitik. Läden zum Verkauf von «Hanfduftkissen» und «Badezusätzen» wurden zu der Zeit in weiten Teilen der Deutschschweiz gegründet. In Bern etwa existierten Ende 1996 erst drei Hanfläden, sechs Jahre später waren es laut Schätzungen des Regierungsstatthalters bereits gegen fünfzig Läden, die Cannabis verkauften. Sie trugen Namen wie Hemp it up, Evolution oder Sweet Dreams, die einen waren spezialisiert auf Hanfblüten vom Feld (Outdoor-Gras), die anderen verkauften potenteres, von künstlichen Lampen genährtes Kraut (Indoor-Gras).

Nationalrat Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) war von 2000 bis 2007 Regierungsstatthalter von Bern. Von einer Romantisierung der Hanfladenszene hält er nichts: «Es gab plötzlich Läden mit Tagesumsätzen von bis zu 30 000 Franken. Der Schutz der heissen Ware Hanf erforderte seitens der Händler immer weitergehende Vorkehrungen, bis hin zum Schusswaffeneinsatz und zur Schutzgelderpressung.» Diese «Entwicklung in Richtung mafiöser Zustände» habe er damals aus Sicherheitsgründen nicht mehr tolerieren können.

Die goldenen Zeiten

Der dreissigjährige Michael Mosimann sitzt im FourTwenty, seinem Laden in einem Kellergewölbe an der Kramgasse. Die «goldenen Berner Hanfzeiten» hat er erst zu ihrem Ende hin miterlebt. 2003 eröffnete er den Laden. Zu Beginn waren die Umsätze gut, Mosimann beschäftigte vier Angestellte. Er war auch Präsident der Berner Sektion der Hanfkoordination Schweiz.

Herrschten damals mafiöse Zustände in der Hanfladenszene? «Nein, ganz im Gegenteil!», sagt Mosimann, «wir haben uns zu der Zeit in einem Verein organisiert, zwölf, dreizehn Läden.» Man habe Cannabis nur an Volljährige und nur an KundInnen mit Wohnsitz in der Schweiz verkauft, «um dem Drogentourismus entgegenzuwirken». Man habe mit der Drogenberatungsstelle Contact zusammengearbeitet und Verträge mit der Gewerkschaft GBI abgeschlossen («keine Löhne unter 4000 Franken»). Natürlich seien die Umsätze hoch gewesen, es hätten aber auch viele Leute vom Geschäft gelebt, im Anbau, in der Verarbeitung der Blüten, bis hin zum Abpacken und im Verkauf. Die Gewinnmarge habe zu der Zeit etwa dreissig Prozent betragen.

Und waren die Ladenbesitzer bewaffnet, wie das Alec von Graffenried behauptet? «Ich glaube nicht, dass Ladenbesitzer Schusswaffen in ihren Läden gehabt haben.» Bei ihm habe es auch heute noch Pfefferspray und einen Baseballschläger - «aber das hat auch der Antiquitätenhändler von gegenüber». Überhaupt sei es sehr ruhig gewesen in Bern. Es habe keine Überfälle auf Läden gegeben.

Auch Sämi (Name geändert) hat den Beginn des neuen Jahrtausends als Hanfhändler miterlebt. Der 31-Jährige hatte zwar keinen Laden, an KundInnen hat es ihm dennoch nie gefehlt. Ein guter Verkäufer muss er gewesen sein, bevor er im Jahre 2004 aufhörte mit seinem Geschäft. «Ich bot günstigere Preise, eine bessere Auswahl und höhere Qualität als die Hanfläden», sagt er nicht ohne Stolz. Gekauft habe er direkt vom Bauernhof.

Wie hat er die entsprechenden Kontakte geknüpft? «Wir gingen Felder suchen. Wurden wir fündig, läuteten wir bei den Bauern und stellten uns vor.» Eingekauft habe er ein Kilo für 2500 bis 3000 Franken. Später habe er auch einmal ein eigenes Hanffeld angepflanzt, versteckt in einem Maisfeld. «Wir hielten uns an die strengen Demeter-Bio-Richtlinien. Wir setzten also nicht nur keinen Kunstdünger ein, sondern richteten uns auch nach den Mondphasen.» Mit der Zeit habe er KundInnen aus halb Europa gehabt. Einem Franzosen habe er einmal sechs Kilo verkauft. Dieser habe gefragt, ob er auch mit Kokain oder Waffen zahlen könne. «Aber mit so was wollte ich überhaupt nichts zu tun haben», betont Sämi. Und auch ausgeraubt sei er worden, insgesamt dreimal. «Ich konnte natürlich nicht zur Polizei. Das ist das Problem: Erst durch die Illegalität entstehen mafiöse Verhaltensweisen.» In Bern sei es aber insgesamt ruhig gewesen: «Der Kuchen war gross genug, alle konnten sich ein Stück davon abschneiden.»

Jede Menge Chemie

Doch die Ära ging zu Ende. Schweizweit wurden Hanfläden dichtgemacht. Im Sommer 2002 beschloss auch Regierungsstatthalter Alec von Graffenried, die Läden zu schliessen. Das ging zwar nicht über Nacht, aber spätestens 2004 war der Handel in den Untergrund verschwunden. Zudem hatte das Bundesgericht den Bauern den Anbau von Hanf mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent bereits im Jahr 2000 untersagt (zum Vergleich: Hochgezüchtete Indoorsorten bringen es gerne mal auf 25 Prozent THC-Gehalt). Angesichts der nun drohenden Gefängnisstrafen gaben viele BäuerInnen den Anbau auf.

Dazu Sämi: «Heute wird mehr Indoor geraucht, häufig aus dem Ausland», und da stecke eine stattliche Menge Chemie drin. Auch abgesehen davon sei die Qualität heute häufig schlecht: «Ein gutes Gras braucht drei Monate Trocknungszeit.» Doch wer im Untergrund züchte, der könne es sich gar nicht leisten, so lange auf der Ware sitzenzubleiben.

Auch Michael Mosimann ist heute noch sauer, wenn er an die Repressionswelle denkt. In seinem Laden nahm die Polizei 2004 eine Razzia vor, in der Folge musste er all seine Angestellten entlassen. «Wenn es von Graffenried darum ging, schwarze Schafe unter den Läden zu bekämpfen, dann hätte es ja keine generelle Ladenschliessung gebraucht», meint er.

«Was heute auf der Gasse abgeht, das ist mafiös», so Mosimann. Da würde nur noch zerriebenes Kraut angeboten, mitunter gestreckt, angereichert mit Quarzsand oder mit asbestartigen Fasern, die mit Haarlack ans Kraut geklebt würden. Und: «Früher gab es eine klare Trennung der Märkte.» Heute seien an den Orten, wo Gras verkauft werde, auch harte Drogen erhältlich.

Das gilt es zu verifizieren. Hundert Meter vom Laden entfernt, auf der Münsterplattform: «Gras?», zischt jemand von einem Bänkchen. Für zwanzig Franken gibt es ein kleines Säckchen. «Hast du auch Kokain?» - «Nein, aber der andere dort drüben hat welches.» Das Wägen des erstandenen Cannabis ergibt: Es sind 0,7 Gramm, der Grammpreis beträgt also über 28 Franken.

Zurück im FourTwenty bei Michael Mosimann: «Früher hat man in den Läden zwischen sechs und zwölf Franken für ein Gramm bezahlt, je nachdem, ob es sich um In- oder Outdoor handelte», sagt er, bevor er einen Krümel des Gassengrases prüfend in den Mund nimmt: «Immerhin ist das hier nicht schmeckbar gestreckt.» In seinem Laden verkauft Mosimann heute vor allem Raucherartikel wie Papierchen oder Wasserpfeifen sowie Ausrüstungen für den Eigenanbau, also Lampen, Lüftungsanlagen und Dünger zur Pflanzenzucht.

Der 21-jährige Sven (Name geändert) ist einer, der selber Hanf anbaut. Dazu braucht es einiges an Infrastruktur: «Eine 600-Watt-Lampe reicht für einen Quadratmeter Anbaufläche. Dazu benötigst du viel Dünger, eine gute Lüftung und gute Nerven.» Gerade Geruchs- und Lichtemissionen seien ein Problem, regelmässige Standortwechsel der Anlage seien als Vorsichtsmassnahme nötig. Ansonsten könne man nur hoffen, dass die Polizei nicht gerade kurz vor der Ernte vorbeischaue. «Die messen den THC-Gehalt deiner Pflanzen. Erwischen sie dich am Anfang eines Zyklus, so hast du Glück, denn die Pflänzchen enthalten in dieser Phase kaum THC.» Ein Zyklus dauere etwa zweieinhalb Monate, wenn alles optimal verlaufe, so könne er in seiner Anlage bis zu drei Kilo ernten. Verkaufspreis: Zehn bis zwölf Franken pro Gramm. KundInnen? «Nur Leute, die ich kenne.» Zurzeit verkaufe er aber fast nichts. «Es ist Herbst, da rauchen alle von ihrem Balkon-Eigenanbau. Wäre ich ein guter Kaufmann, so würde ich jetzt Outdoor-Gras kaufen und im Frühling weiterverkaufen.»

Die Abstinenz-Ajatollahs

Gras bekommt heute also nur, wer sich auf die Gasse wagt oder entsprechende Beziehungen hat. Das habe auch aus Sicht der Suchtprävention Nachteile, sagt Fritz Brönnimann, der seit zwanzig Jahren für Contact arbeitet. Die Organisation hat sich einen Namen gemacht als Präventions- und Beratungsstelle in Drogenfragen. Fritz Brönnimann ist Regionalleiter von Contact Bern, jährlich berät sein Team zwischen 250 und 300 CannabiskonsumentInnen.

«Die heutige Suchtpolitik ist reaktionärer geworden. Die Abstinenz-Ajatollahs à la Verein Eltern gegen Drogen spüren Aufwind, dabei ist unsere Gesellschaft ja generell weit entfernt von Enthaltsamkeit», so Brönnimann. Jedenfalls sei heute die Nachfrage nach Hanf etwa gleich hoch wie früher, die Repression habe kaum eine Abnahme des Konsums bewirken können. Die heutigen Vertriebskanäle seien von den Anbietern einfach diversifiziert worden. «Schlimm ist es, wenn junge Menschen Cannabis konsumieren, ohne über den Umgang damit informiert zu sein.» Über die Hanfläden habe eine gewisse Möglichkeit bestanden, Präventionsbotschaften an CannabiskonsumentInnen zu bringen. Ohne Läden sei der Zugang zu diesen Leuten hingegen nur erschwert möglich. «Grundsätzlich vertreten wir die Meinung, dass kein Drogenkonsum besser ist als Drogenkonsum. Wenn aber jemand Drogen konsumiert, dann muss er über die Wirkungen und Risiken informiert sein.» Und solche gebe es zweifelsohne auch beim Cannabiskonsum, etwa die Gefahr von Psychosen, die bei kiffenden Jugendlichen, sofern eine Veranlagung dazu besteht, ausgelöst werden könnten, sagt der Suchtexperte.

Gibt es denn einen direkten Zusammenhang zwischen Hanfladenschliessung und der aktuell zu beobachtenden Kokainwelle? «Einen direkten Zusammenhang sehe ich nicht. Ich würde sagen, das sind verschiedene Konsumentenszenen.» Allerdings bestehe schon die Gefahr der Vermischung von harten und weichen Drogen: «Ich spreche mit Sechzehnjährigen, die sagen, sie könnten leicht alle Arten von Drogen kaufen, wenn sie wollten.»

Überhaupt entwickle sich der Kokainkonsum gerade zu einem riesigen Problem, sagt Brönnimann: «Es gab eine massive Zunahme in den letzten zwei Jahren.» Schuld daran sei einerseits der Preiszerfall, heute koste eine Linie Kokain manchmal weniger als ein Joint, andererseits sei es auch eine Frage der gesellschaftlichen Dynamik: «Wir leben in einer sehr schnellen leistungsorientierten Gesellschaft, wo Fitness und Coolness zählen; da passt Kokain als Droge dazu.»

Und was hält Brönnimann von der Hanfinitiative, die Ende November zu Abstimmung kommt? «Eine Annahme würde uns schon vieles erleichtern, wir könnten Gefährdete besser erreichen, und der Schutz von Jugendlichen würde gewährleistet.» Zudem seien dann die Herstellungsart, der Verkauf und der THC-Gehalt von Hanf kontrolliert und geregelt.

Und was meint derjenige, der den tolerierten Hanfhandel in Bern damals beendet hat? Alec von Graffenried: «Es ist nicht einzusehen, wieso wir mündigen, verantwortungsvollen Erwachsenen den Konsum weiter verbieten wollen.» Was den Handel angehe, so solle dieser staatlich kontrolliert und in geregelte Bahnen gelenkt werden.

Einzig Indoor-Pflanzer Sven ist gegen die Initiative: «Die würde wohl mein Geschäft kaputt machen.»