Obwald: Naturjuiz und Taarabmusik

Nr. 26 –

Am vierten Volkskulturfest in der Nähe von Giswil stehen neben Jodlerchören und Volksmusikgruppen aus Ob- und Nidwalden eine ganze Reihe von MusikerInnen aus Sansibar auf der Bühne.


Das Volkskulturfest Obwald hat sich schnell einen Namen geschaffen. Das idyllisch gelegene Open-Air-Gelände Gsang, eine Waldlichtung bei Giswil, ist nicht nur für FreundInnen der schweizerischen Volksmusik zu einem Treffpunkt geworden.

Nachdem sich in den vergangenen drei Jahren MusikerInnen aus den Gastkantonen Appenzell und Tessin mit MusikerInnen aus Obwalden trafen und auch die eigensinnige Musik des Muotatals sein Programmfenster bekam, sind dieses Jahr die NidwaldnerInnen zu Gast. Das Jodlercheerli Briseblick, das Schwyzerörgelitrio St. Jakob, die Helvetic Fiddler, das Alphornduo Thomas & Corinne Odermatt, Quantensprung, Chlepfshit und andere lassen ihre Musik über dem Sarnersee erklingen - Naturjuiz und Betruf von ob und nid dem Wald steigen gen Himmel.

Ausserdem war in den letzten Jahren Volksmusik aus der Bretagne, aus Rumänien und Italien (Sardinien und Sizilien) programmiert. Die Chöre, SolistInnen und Instrumentalgruppen aus unterschiedlichen europäischen Regionen sorgten für starke Kontraste, liessen aber auch Verwandtschaften mit authentischer alpenländischer Volksmusik erkennen. Dieses Jahr sind verschiedene Gruppen aus Sansibar zu hören, die sich weitgehend aus den MusikerInnen des Culture Musical Club Taarab Orchestra zusammensetzen und die 95-jährige Sängerin Bi Kidude begleiten. Erstmals ist im Rahmen des Volkskulturfests Obwald Musik aus Afrika zu hören.

Musik der Nelkeninseln

Die in Ostafrika vor der Küste Tansanias gelegenen kleinen Inseln waren ein Handelszentrum, in dem vor allem SklavInnen, Elfenbein und Gewürze auf einen Markt kamen, der in alle Weltgegenden reichte. Die Inselgruppe Sansibar («Küste der Schwarzen»), die auch als Nelkeninseln bezeichnet wird, hatte verschiedene Kolonialregierungen zu erdulden, bis sie am 25. April 1964 zu einem autonomen Bundesstaat von Tansania wurden.

Die Taarabclubs auf Sansibar entstanden nach dem Vorbild von Musikclubs aus dem Nahen Osten, in denen sich vor allem die Männer zum gemeinsamen Musizieren trafen. In der Taarabmusik verschmelzen Einflüsse aus dem arabischen Raum mit den Musikkulturen aus Afrika und Indien und finden zu einem eigenständigen Mix. Die Klänge der Violinen mischen sich mit den Tönen von Akkordeon, Ud (Laute), Kanunzither, Naiflöte, Bass und werden durch Perkussionsinstrumente aus drei Erdteilen verstärkt. Die Melodien aus ägyptischen und indischen Filmen haben ebenso ihre Spuren hinterlassen wie klassische europäische Musik und westliche Populärmusik - und zu einer Verbindung geführt, wie sie nur auf Sansibar und als Variation in manchen Gebieten an der Ostküste Afrikas zu finden ist.

Allabendlich wird musiziert

Auf der Hauptinsel Unguja, auf der Sansibar City liegt, und Pemba lebt eine weitgehend islamische Bevölkerung mit wenigen Hindus und ChristInnen zusammen. Nachdem der Gebetsruf des Muezzins verklungen ist und die Sonne im indischen Ozean versinkt, beginnt nach der Hitze des Tages das Leben in Stone Town, der Altstadt von Sansibar City, erneut zu pulsieren. Einige Mitglieder des Culture Musical Club, dessen Gründung auf 1958 zurückgeht, treffen gemächlich ein, tauschen Neuigkeiten aus, schauen die News am Fernsehen an und holen ihre Instrumente aus den hinteren Räumen. Sie finden sich beinahe täglich zum abendlichen Musizieren ein, proben neue Stücke, spielen traditionelle Swahili-Weisen und eigene Songs aus ihrem Repertoire.

Taarab, was so viel wie «Verzauberung durch Musik» bedeutet, heisst der Stil, der sich in den dreissiger Jahren einbürgerte, als mit den ersten Schellackplatten arabische Musik auf Sansibar sehr populär wurde. Die Durchmischung von arabischen und afrikanischen Elementen in der Musik Sansibars begann bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, und einige Jahrzehnte später wurden auch indische Einflüsse wichtiger. Aus der Musik, die ursprünglich der geistigen Versenkung diente, ist mit der Zeit eine tanzbare Form geworden, bei der die Stimme stärker ins Zentrum rückte. Vor allem in den feurigen Liebesliedern tauchen auch mal Anzüglichkeiten auf, die von Hüftbewegungen der Sängerinnen begleitet werden.

Eigene Band mit neunzig

Die Sängerin Bi Kidude - das «kleine Ding» - wurde als Fatma bint Baraka vor rund 95 Jahren geboren und hörte bereits in den zwanziger Jahren die legendäre einheimische Sängerin Siti bint Saad (1880-1950), die zu ihrem Vorbild wurde. Inzwischen ist sie selbst zur Legende geworden und wird gleichermassen als Sängerin, Pflanzenkundige und Heilerin geschätzt. In den vierziger Jahren lebte sie auf dem Festland im Egyptian Music Club von Daressalam (Tansania) und erinnert sich noch heute an die Zeit, als es Frauen verboten war, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sang sie unter anderem auch in Sansibars Frauentaarabband Sahib el-Ary, die ausschliesslich vor weiblichem Publikum auftrat. Wenn gelegentlich Gastmusiker mitspielten, waren diese hinter einem Vorhang verborgen.

Ab den fünfziger Jahren trat sie nur noch sporadisch in der Öffentlichkeit auf, sang bei privaten Anlässen, Hochzeiten und Initiationsritualen für Mädchen. Grössere Erfolge hatte Bi Kidude erst wieder in den achtziger Jahren, als Ali Hassan Myinyi, der aus Sansibar stammende Präsident von Tansania (Amtszeit 1985-1995), nach einer Sängerin Ausschau hielt, die das Repertoire von Siti bint Saad kannte und interpretieren konnte. Seither wirkt sie in verschiedenen Gruppen als Gastsängerin mit und ist gelegentlich auch in Europa unterwegs. Erst vor vier Jahren formierte Bi Kidude ihre eigene Taarabgruppe und erhielt im selben Jahr den in England verliehenen Womex World Music Award für ihr Lebenswerk.

Das Eigene wird in der Gegenüberstellung mit dem Fremden besser sicht- und hörbar. So gesehen sorgt das Volkskulturfest Obwald für genügend Kontraste, wenn es Naturjuiz und Jodel aus Ob- und Nidwalden der Gesangskultur und Taarabmusik Sansibars gegenüberstellt. Mit dem vielfältigen Programm in einer idyllischen Bergwelt über dem Sarnersee macht Obwald auf eigensinnige Musikkulturen abseits des Mainstream aufmerksam und schärft so den Blick und das Gehör.

4. Volkskulturfest Obwald in: Giswil Festplatz Gsang, Do, 2. Juli, bis So, 5. Juli. Infos und Reservation: www.obwald.ch