SVP-Ausschaffungsinitiative: Geschwätz mit Folgen

Nr. 5 –

Eine Scheininitiative wird jetzt mit einem Scheingegenvorschlag bekämpft – das Rezept einer sprachlosen bürgerlichen Mitte.


Fleisch gibt es in unterschiedlicher Qualität: Vom Naturabeef-Filet bis zum Gammelfleisch. AusländerInnen auch? Den Begriff der «Ausländerqualität» nahm CVP-Nationalrat Gerhard Pfister letzte Woche in der «Arena» des Schweizer Fernsehens in den Mund. Zu stören schien der Begriff niemanden.

In der Sendung diskutierte man die SVP-Ausschaffungsinitiative. «Ausländer, die vergewaltigen, stehlen, Sozialhilfe missbrauchen», müssen ausgeschafft werden, in Varianten zigmal wiederholt, das ist der Kernsatz des SVP-Vertreters Adrian Amstutz. Man streiche drei Buchstaben und schon heisst es: «Ausländer vergewaltigen, stehlen, missbrauchen Sozialhilfe».

Diese Woche hat die staatspolitische Kommission des Ständerats beschlossen, die Ausschaffungsinitiative nicht für ungültig zu erklären, obwohl man kaum offensichtlicher gegen Verfassungs- und Völkerrechtsprinzipien verstossen könnte. Noch hat der Abstimmungskampf nicht begonnen, die zur Initiative gehörenden Schlagworte nisten sich dennoch bereits ein, setzen sich – emotional aufgeladen – in eine enge Beziehung zueinander: Vergewaltiger, Diebe, Sozialschmarotzer, Mörder, Kuschelrichter, Ausländer, Ausschaffen.

«Kuscheljustiz» wird lanciert

Die SVP erkämpft sich Wortassoziationen und Begriffe, erfindet neue Bezeichnungen, haut sie in die Köpfe. Sie schafft sich das sprachliche Fundament, auf das sie ihre (verkürzten) Argumente bauen kann. Auf Gegenwehr stösst sie kaum. Das sprachliche SVP-Fundament ist nachhaltig, weiterverwertbar, kombinierbar. Wenn Amstutz heute in der «Arena» den Richtern «Kuscheljustiz» im Umgang mit AusländerInnen vorwirft, muss er nicht erklären, was er damit meint. Die SVP hatte den Begriff im Sommer 2008 im Rahmen einer Strafrechtsdebatte – es ging um die Umwandlung kurzer Gefängnisstrafen in Geldstrafen – lanciert. Seither ist er laut Schweizerischer Mediendatenbank SMD in fast 300 Zeitungsartikeln verwendet worden, darunter über 40 Mal in Titeln oder Leads. Der Begriff ist erregend wie Sex and Crime – verwendet wurde «Kuscheljustiz» unter anderem im Zusammenhang mit Rasern, den «Sex-Tätern» des FC Thun und Kindsmissbrauch.

Dabei kann von «Kuscheljustiz» keine Rede sein. AusländerInnen sind bereits heute vor Gerichten einer Diskriminierungsgefahr ausgesetzt und werden mitunter für vergleichbare Delikte härter bestraft als SchweizerInnen, wie der Basler Strafrechtsprofessor Peter Albrecht im Juristenmagazin «Plädoyer» schrieb. Doch wo sind die bürgerlichen PolitikerInnen, die den Mut haben, mit Argumenten in eigener Sprache dagegenzuhalten? Viele (bis in die Linke hinein) sagen dasselbe: «Das Volk und seine Probleme muss man ernst nehmen», das «Volk würde nicht verstehen, wenn ...» Wer das Volk ist und was seine Probleme sind, entscheidet die SVP.

Härter als die Initiative?

Diese Woche also drang die FDP mit einem direkten Gegenvorschlag in der Kommission durch. Dieser suggeriert den StimmbürgerInnen, ähnlich hart (wenn nicht härter) wie die Initiative zu sein, aber ohne «die Grundprinzipien der Bundesverfassung und des Völkerrechts» zu verletzen. Dieser Passus steht nicht etwa in einem Begleittext, sondern direkt im Gegenvorschlag, der dereinst in der Verfassung stehen könnte. Kommissionsvertreter Hansheiri Inderkum (CVP) sagte dazu: «Natürlich hätte man nicht hinschreiben müssen, was ohnehin immer gilt, aus politischen Überlegungen haben wir es trotzdem getan.»

So wird suggeriert, man könne die Ausschaffungsinitiative entweder mit oder ohne rechtsstaatliche Grundprinzipien haben. Das hätte sich sie SVP nicht besser ausdenken können.

Für Anwalt Marc Spescha, ein erfahrener Praktiker und Dozent für Ausländerrecht, ändert der Gegenvorschlag – sollte er in der jetzigen Form angenommen werden – kaum etwas an der bestehenden Ausweisungspraxis des Bundesgerichts. «Selbst die SVP-Initiative würde in der Praxis kaum zu Änderungen führen – sie ist schlichtweg nicht umsetzbar», so Spescha. Obwohl die Initiative dem Wortlaut nach bestimmte Delikte automatisch – ohne Verhältnismässigkeitsprüfung – mit der Ausweisung ahndet, müssten die Gerichte weiterhin verhältnismässig entscheiden und überdies mehrere völkerrechtlichte Verpflichtungen beachten. «So wie sie es bereits heute tun und tun müssen», sagt Spescha.

Ob die Initiative angenommen wird, ist also faktisch irrelevant. Dafür ist sie symbolisch von hoher Wichtigkeit. Auch der Gegenvorschlag ändert nichts an der gegenwärtigen Praxis, zementiert aber rechte Klischees: Auch wenn «nur» der Gegenvorschlag angenommen werden sollte, wird die SVP bei jeder verhältnismässigen Nichtausschaffung laut die «Missachtung» des Volkswillens beklagen können. Noch könnte das Parlament den Gegenvorschlag der Kommission kippen und die Initiative für ungültig erklären.

Sonst stimmen wir über zwei Vorlagen ohne direkte Folgen ab. Beide Varianten tun, als ob.

Wieso spricht niemand von «Scheinabstimmung»?