Psychoanalyse: Man löscht die Ladung, um Neues aufzunehmen

Nr. 49 –

Was hat das Containerprinzip als psychoanalytisches Verfahren mit der heutigen Containerwelt zu tun? Olaf Knellessen, Mitorganisator einer Tagung zu diesem Thema, gibt Auskunft.

WOZ: Im Zeitalter von bildgebenden Verfahren und biochemischen Prozessen, mit denen das menschliche Gehirn ausgelotet wird, hat die Psychoanalyse einen schweren Stand. Jetzt organisiert das Psychoanalytische Seminar Zürich eine Tagung zum Thema «Container» – packen Sie ein?
Olaf Knellessen: Nein – wir packen aus! Wir packen die Psychoanalyse aus, und zwar in ihrer ganzen Vielfalt, die in diesen bildgebenden Verfahren extrem verkürzt wiedergegeben wird. Denn die sind auf Eindeutigkeit ausgelegt. Man glaubt, den Finger auf eine Stelle legen und sagen zu können: «Da ist was; jetzt müssen wir hier nur noch was schrauben oder vielleicht ein bisschen medikamentös nachhelfen – und dann ist der Patient geheilt.» Demgegenüber hat die Psychoanalyse vor allem eines auszupacken, nämlich, dass alles viel komplexer, vielschichtiger und auch konflikthafter ist.

Konflikthafter?
Der Konflikt ist eine Grundkategorie der Psychoanalyse. Und Konflikte sind schwer auszuhalten – nicht nur persönlich für den einzelnen Menschen, sondern auch auf theoretischer Ebene. Daher rührt auch die Tendenz, sich in Eindeutigkeiten zu flüchten. Doch wer sich mit dem Unbewussten beschäftigt, weiss, dass da immer noch eine andere Seite ist, dass sich Eindeutigkeit nie herstellen lässt. Diesen Aspekt muss die Psychoanalyse wieder stärker in die Therapieforschung einbringen, aber auch in Politik und Gesellschaft tragen.

Und wo kommt da der Container ins Spiel?
Der Begriff selbst ist vom englischen Psychoanalytiker Wilfred Bion in den sechziger Jahren entwickelt worden. Und zwar relativ zeitgleich mit dem Aufkommen der normierten Containerboxen. Das Interessante dieser Verbindung ist, dass beide Entstehungsgeschichten mit Krieg zu tun haben. Der normierte Container erlebte seinen Aufschwung im Vietnamkrieg: In Saigon baute das US-Militär den ersten Containerhafen, um den Nachschub an Kriegsmaterial zu beschleunigen. Und Bion war Militärpsychiater im Zweiten Weltkrieg; er entlehnte seinen Containerbegriff auch dem militärischen Sprachgebrauch. Dort bedeutet «containing», den Feind einzuschliessen und dadurch unschädlich zu machen.

Und wer macht in der Psychoanalyse was wie unschädlich?
In der analytischen Situation zwischen Patient und Therapeut sieht das Containerprinzip so aus: Der Patient erzählt etwas, was für ihn nicht zu fassen ist, der Therapeut nimmt es auf, macht etwas damit und gibt das dann zurück, in der Hoffnung, dass es auch beim Patienten ankommt und ihm neue Denk- und Handlungsperspektiven erschliesst. Das Konzept umschliesst also nicht nur den Container als Behälter, sondern auch, was darin «contained», also aufgenommen, verarbeitet und zurückgegeben wird. Und es erstreckt sich so auch auf den Patienten.

Das Containermodell hat sich seit den sechziger Jahren zum beinah universell angewandten Therapiekonzept entwickelt und dabei zu einer gewissen Uniformierung in der Psychoanalyse geführt.

Wie äussert sich diese Normierung?
Die Therapeuten glauben, eine ausgeprägt «mütterliche» Position gegenüber den Patienten einnehmen zu müssen. Das führt nicht selten dazu, dass die empathische Grundhaltung des Therapeuten überformt wird zu stereotypen Verhaltensweisen, die als weiblich gelten: lieb, sanft, einfühlsam sein. Gewisse Theoretiker fordern sogar auch, dass ein Therapeut zwischen den einzelnen Sitzungen alles vergessen soll, was der Patient ihm gesagt hat, um so möglichst offen zu bleiben.

Wie beim Container: Man löscht die Ladung, um Neues aufzunehmen …
Genau! Was auch heisst, dass die Anwendung dieser Methode nicht nur empathisch ist, wie es manchmal den Anschein macht. Mit unserer Tagung wollen wir das festgefahrene Containerkonzept aufbrechen, im Austausch mit andern Disziplinen, in denen der Container ebenfalls eine zentrale Rolle spielt: den Kulturwissenschaften etwa, der Architektur oder auch der Logistik.

Logistik?
Ja, das ist eine spannende Sache. Bislang werden Containerströme zentral geregelt. Irgendwo sitzt einer, der weiss, dass ein gewisser Container von da nach dort unterwegs ist und eine bestimmte Ware geladen hat. In einem Forschungsinstitut in Bremen ist man jetzt dabei, intelligente Container zu entwerfen. Container, die interagieren mit ihrer eigenen Ware und zum Beispiel aufgrund von deren Zustand entscheiden, welche Wege sie nehmen. Sie interagieren dabei auch mit ihrer Umwelt, um abzuchecken, wo der Weg frei ist.

Der reale Container nähert sich sozusagen dem intelligenten Psychoanalytiker als Behälter an?
Eigentlich geht es dabei um die Situation des Einzelnen. Etwas, das zunächst Teil eines grossen Stromes ist, bekommt plötzlich mehr subjektive Bedeutung. So betrachtet hat der intelligente Container auch etwas Bedrohliches. Gerade, weil sein Inhalt nur ein temporärer ist.

Bedrohlich für wen?
Einerseits hat diese Vorstellung, durch das Löschen von Erinnerungen zu grösserer Offenheit zu kommen, etwas Faszinierendes, andererseits etwas Bedrohliches, weil es das Löschen von Geschichte bedeuten kann. Und das scheint mir in der psychoanalytischen Theorie oft zu wenig reflektiert zu werden. Das übergeordnete Containermodell tritt immer mehr gegen ein Grundprinzip der Psychoanalyse an: die Triebhaftigkeit des Menschen. Was ebenfalls eine Löschung bedeuten kann, weil in ihr die Konflikthaftigkeit des Subjekts gefasst ist.

Inwieweit ist mit der Dominanz des Containerprinzips auch eine aktuelle Gesellschaftsdiagnose verbunden?
Der Container ist eine Ikone der Globalisierung. Die Mobilität, für die der Container steht, zieht eine ganze Reihe von Begleiterscheinungen nach sich – und das ganz real: Mit den Flüchtlingsströmen etwa kommen die Containerbaracken, neue temporäre Architekturformen entstehen. Wie die Zürcher Künstlerin Ursula Biemann zeigt, kommen entlang der Ölpipelines auch Menschen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen. In Containern, die dann eben gerade nicht als Büchse der Pandora verstanden, sondern geöffnet werden sollten.

The Missing Link

Das Psychoanalytische Seminar Zürich (PSZ) verleiht alle zwei Jahre einen Preis für interdisziplinären Austausch mit der Psychoanalyse, «The Missing Link». Dieses Jahr werden die Hamburger Psychoanalytikerin Dietmut Niedecken und der Berliner Komponist Hauke Berheide für ihre Zusammenarbeit ausgezeichnet. Die Laudatio hält WOZ-Autor Thomas Meyer.

Die Preisverleihung ist eingebettet in eine Tagung zum Thema «Das Motiv der Kästchenwahl: Container in Kunst, Kultur und Psychoanalyse». Sie findet am Freitag, 9., und Samstag, 10. Dezember im Kunstraum Walcheturm, Zürich, statt. Referate zu Architektur, Kunst, Technik, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften bieten Diskussionsraum, um das Containermodell der Psychoanalyse mit Anregungen aus anderen Disziplinen zu bereichern.

Weitere Informationen und Anmeldung unter www.psychoanalyse-zuerich.ch