Südafrika und die Kohle: Der nervöse schwarze Riese

Nr. 49 –

Noch harzen die Verhandlungen an der Uno-Klimakonferenz in Durban. Immerhin hat auch in Südafrika ein Umdenken begonnen: Im Land, dessen Energiepolitik bisher von der Kohle dominiert war, soll ein ehrgeiziges Projekt «grünes Wachstum» schaffen.

Nach zehn Minuten kommt der Sicherheitsdienst. Zwei bullige Wächter, einer in Werkskleidung, der andere in Zivil, bauen sich vor uns auf. «Was tun Sie hier?» Dabei stehen wir nur vor dem Werkstor und schauen uns die Fabrik an. «Fotos verboten, Notizen verboten!» Der Begleiter muss die Fotos löschen, mir wird vorübergehend der Notizblock weggenommen. «Sie dürfen hier nicht sein, dies ist ein Projekt der Regierung!» Als wir abfahren, folgen uns die beiden Aufpasser bis zum nächsten Highway.

Das «Regierungsprojekt» ist keine geheime Anlage, es ist ein Kohlekraftwerk. Die Kendal Power Station, eines der grössten fossilen Kraftwerke weltweit, ragt hundert Kilometer östlich von Johannesburg aus der flachen Ebene: sechs mächtige Turbinenhäuser, sechs Kühltürme, zwei hohe Schornsteine und aussen herum ein Doppelzaun mit Stacheldrahtrollen. Die Hitze flimmert über den Bergen, die sich als Abraumhalden der nahen Kohlegruben entpuppen. Die Dörfer hier im südafrikanischen Kohlerevier rund um die Minenstadt Emalahleni bestehen aus zerbröckelnden Häusern, vor dem Werkstor von Kendal betteln Arbeitslose um einen Job oder Geld. Im nationalen Fernsehen wird die Nachricht gefeiert, dass ein Nachbarort wieder Trinkwasser hat.

Südafrika als Vorreiter?

Südafrika ist in diesen Tagen stolzer Gastgeber der Uno-Klimakonferenz. Aber hier, knapp 600 Kilometer nördlich von Durban, zeigt sich die dreckige Seite der Regenbogennation: Neunzig Prozent des Stroms gewinnt das Land aus Kohle, seine Treibhausgasemissionen sind die höchsten in ganz Afrika. Moderne erneuerbare Energien spielen bislang keine Rolle, und der staatliche Stromversorger Eskom setzt auch weiterhin auf den fossilen Energieträger. Doch in Durban deutet sich nun ein Umdenken an: Am Mittwoch lancierte dort die südafrikanische Regierung feierlich die South African Renewables Initiative (Sari), die mithilfe von ausländischen GeldgeberInnen die erneuerbaren Energien massiv ausbauen will. Auf Sari ruhen viele Hoffnungen: Südafrika setzt darauf, dass mit dem Geld ein neuer Wirtschaftszweig und Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Und die Geberländer wollen Südafrika als Vorreiter aufbauen und den anderen Schwellenländern beweisen: Grünes Wachstum kann sich lohnen.

In Kusile ist davon allerdings noch nichts zu spüren. Fünfzehn Kilometer vom Kendal-Kraftwerk entfernt, zieht Eskom hier mit Weltbankkrediten ein noch gigantischeres Kohlekraftwerk in die Höhe: Sechs riesige Schornsteine ragen bereits in den Himmel, auf der Schotterstrasse zur Baustelle zieht eine endlose Schlange von Lkws eine grosse graue Staubfahne hinter sich her. Auch dort stoppt uns eine Eskom-Angestellte im blauen T-Shirt, und es geht wieder los: Wer seid ihr, was wollt ihr hier? Ihr habt hier nichts verloren. Und wieder fahren Kraftwerksangestellte hinter uns her.

Eskom ist nervös. Im November besetzten Greenpeace-AktivistInnen kurzfristig die Baustelle in Kusile, um gegen den «Klimakiller Eskom» zu protestieren. Das Kraftwerk soll ab 2014 jährlich 37 Millionen Tonnen CO2 ausstossen – so viel wie ganz Marokko. Greenpeace hat eine Studie vorgelegt, nach der «der Schaden durch Eskoms CO2-Emissionen das Land doppelt so viel kosten wird wie der erzeugte Strom wert ist» – vor allem wegen des hohen Wasserverbrauchs. Aber es sind nicht die Ökoargumente, die Eskoms Image beschädigt haben, sagt Kevin Davie, Leiter der Wirtschaftsredaktion bei der Wochenzeitung «Mail and Guardian» in Johannesburg: «Die Menschen haben das Vertrauen verloren, dass Eskom die richtigen Entscheidungen trifft.»

In der Apartheidära verfügte Südafrika über dreissig Prozent mehr Kraftwerkskapazität als nötig. Strom war und ist für Unternehmen extrem billig, deshalb verlagerten Energiefresserinnen wie Aluminiumschmelzen ihre Standorte ins Land. Doch es wurde nicht investiert. Die Kraftwerke veralteten, während der Strombedarf stieg. 2008 dann der Schock. Die stärkste afrikanische Volkswirtschaft litt unter Stromausfällen, die Produktion in den Kohle- und Goldgruben wurde zeitweise eingestellt. Inzwischen haben sich die Strompreise für PrivatkonsumentInnen verdoppelt, und «das ganze Geld von Eskom geht in die Kohlekraftwerke und ein Atomprogramm», sagt Davie.

Auch jetzt produziere Eskom gerade genug Strom für den aktuellen Bedarf, sagt der Energieexperte. Sollte der Konzern – etwa wegen einer Protestaktion – ein Kraftwerk abschalten müssen, drohen Ausfälle. Das wäre parallel zur Klimakonferenz natürlich peinlich, und das erkläre auch die Nervosität der Konzernspitze. Die Bitte, Kendal oder Kusile besuchen zu dürfen, hat Eskom jedenfalls mit Verweis auf «die Sicherheitslage» abgelehnt. Mails mit Fragen zur Unternehmens- und Energiepolitik blieben unbeantwortet. Nur eine Rückfrage kommt aus der Konzernzentrale: «Was ist Sari?» Die Konzernsprecherin des Staatsunternehmens ist über das Regierungsprogramm für erneuerbare Energien offenbar nicht im Bilde.

Methan abfackeln als Klimaschutz

«Für die Erneuerbaren liegt eine grosse Zukunft in der Luft», sagt dagegen Greg Midlane. Er meint allerdings nicht das Gemisch aus Fischgestank, Fäulnis und Dieselölgeruch, das er gerade atmet. Midlane steht auf der grössten Müllkippe von Johannesburg und hat einen atemberaubenden Blick auf die Wirtschaftsmetropole: auf die Innenstadt mit ihren Hochhäusern, das neue Fussballstadion in Soweto, die gelben, rissigen Abraumhalden aus der Zeit der Goldförderung. Der Boden bebt mit jedem Mülllaster, der sich die fünfzig Meter hohe Rampe hochquält. Hier werden jeden Tag bis zu 15 000  Tonnen Müll abgekippt: Plastiktüten, Autoreifen, Bauschutt, Konservendosen, Schuhe, Essensreste. Das «Recycling» übernehmen zwei Dutzend Gestalten in Overalls oder dreckstarrenden Hosen, die jede neue Ladung schnell nach Verwertbarem durchwühlen. Dann kommt der Bulldozer und planiert alles fest. Und dann kommen die erneuerbaren Energien ins Spiel. Oder das, was man in Johannesburg so nennt.

Denn am Fuss der Müllkippe hat Midlanes Firma Ener-g Systems Rohre verlegt. Sie reichen bis tief unter den Müll und pumpen das Methangas ab, das entsteht, wenn der Abfall verrottet. Das brennbare Methan will Midlanes Firma ab nächstem Jahr in Generatoren verbrennen und damit Strom erzeugen. Bislang steht nur ein etwa zehn Meter hoher Schornstein neben einem Gewirr aus Rohren, geschützt durch einen hohen Zaun. In ihm wird das Methan bei tausend Grad Celsius abgefackelt, und dafür gibt es viel Geld: Weil Methan 21-mal so klimaschädlich ist wie Kohlendioxid, zählt seine Verbrennung zu den Clean Development Mechanisms (CDM) des Kyoto-Protokolls. Pro Tonne verbranntes Methan gibt es etwa 200 Euro, dazu kommt noch der Strom, den Ener-g Systems verkaufen kann – ein sauberes Geschäft.

Wo Methan abfackeln als Klimaschutz gilt und Milliarden in Kohle investiert werden, ist es aber auch um die Zukunft der Wirtschaft nicht gut bestellt, das weiss Nimrod Zalk. Der junge Beamte sitzt im legeren Hemd vor einem Restaurant in Sandton, dem Geschäftsviertel von Johannesburg. Zalk koordiniert beim Ministerium für Handel und Industrie das Sari-Projekt. Den geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien von derzeit null auf knapp zehn Prozent bis 2030 (Greenpeace sieht sogar ein Potenzial von fünfzig Prozent) begründet er nicht mit einem langen Ökovortrag. Er hat seine Zahlen und Argumente extra auf einem Zettel parat: Die Strompreise kann man nicht mehr anheben, bereits jetzt protestieren die Menschen, und so manche Unternehmen gehen Pleite. «Wir befinden uns in einer sehr ernsten Situation», sagt Zalk. «Wir verlieren unsere Industrie, der Strom wird knapp, und wir haben Angst, dass irgendwann andere Länder unsere Exportgüter mit Strafsteuern belegen, wenn wir sie mit so hohen Emissionen produzieren.»

Nicht noch mal was verpassen

Für Südafrika komme der Aufbau einer Industrie für erneuerbare Energien wie gerufen, um eine neue industrielle Grundlage zu schaffen, für Wachstum, für Jobs. Das Land hat die «IT-Welle» verpasst, mit der die asiatischen Länder im letzten Jahrzehnt über den Export von Computern und Playstations Geld verdienten. «Die kommende Welle der grünen Technologie werden wir mitnehmen», schwört der Sari-Manager.

Das wird viel Geld kosten. Insgesamt wohl etwa vierzehn Milliarden US-Dollar bis 2030. Ein Drittel des Geldes soll aus dem Ausland kommen. Dass Südafrika den Rest selbst aufbringen will, bringt dem Land grosses Lob ein. Denn eigentlich könnte es auch darauf bestehen, dass die Industriestaaten alles zahlen – so steht es in den Klimaverträgen. Aber das Geld fehlt auch im Norden, die Industriestaaten haben ihre Finanzierungsversprechen ohnehin nicht gehalten, und Südafrika will nicht als Bittsteller auftreten. Grüne Jobs schaffen und das Land zum afrikanischen Zentrum von Windkraft und Solarenergie aufbauen – das schwebt Nimrod Zalk vor. Für die europäischen PartnerInnen von Sari – darunter auch die Schweiz – ist das Projekt genauso wichtig: Es muss zeigen, dass die reichen Nationen den Schwellenländern nicht immer nur vom «grünen Wachstum» vorschwärmen, sondern dass das auch funktionieren kann.

Die Erwartungen sind riesig. Auf der einen Seite bremsen Eskom und Teile der Regierung. Auf der anderen Seite unterstützt Staatspräsident Jacob Zuma öffentlich das Projekt und ist bei den Geberländern in der Pflicht. Spricht man Zalk auf Eskom an, verdreht er nur die Augen. Draussen vor dem Restaurant hängt ein Plakat, auf dem Siemens für Windparks wirbt. Aber davon gibt es bisher nur einen in Südafrika. Und der produziert weniger Strom als eine einzige Offshoreturbine in der Nordsee.

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