Fumoir: Kein Vertreter im Himmel

Nr. 39 –

Ruedi Widmer in den Fängen des Karikaturenstreits.

Sie war nur klein in einer unbedeutenden Zeitung abgebildet: eine Karikatur von Steve Jobs und seinem Propheten Tim Cook. Es war eigentlich Usus, dass man sich nicht über Apple lustig macht. Drei Wochen lang nahm kaum jemand Notiz von der Zeichnung des Karikaturisten Widmer.

Doch dann gelangte die Karikatur ins Netz und wurde weltweit verbreitet. Die Gläubigen, die letzten Freitag nach der Einführung des iPhone 5 aus den Apple-Shops auf die Strasse strömten, versammelten sich weltweit auf den Plätzen, in London auf dem Trafalgar Square, in Berlin auf dem Alexanderplatz, in New York auf dem Times Square, um gegen die Karikatur zu demonstrieren. Die Gefühle der weiss gewandeten Apple-Jünger mit ihren Designbärtchen gingen hoch, und es wurden weltweit Hunderte Microsoft- und Samsung-Shops zerstört. Infolge der Navigationsprobleme des neuen iOS-6-Kartendiensts schlugen aufgebrachte UserInnen aber auch computerfremde Lokalitäten wie Schuhläden, Lebensmittelmärkte oder Coiffeursalons kurz und klein.

Die Redaktionen beriefen AnalystInnen ein. Sie fragten ihre Leserschaft, wie weit denn Satire gehen darf. Sie waren sich im Grossen und Ganzen in ihren Kommentaren einig, dass man angesichts der brühend heissen Situation auf den IT-Märkten kein Öl ins Feuer giessen dürfe. Die Zeichnung, auf der Steve Jobs lachend vom Himmel auf seinen Vertreter auf Erden, Tim Cook, schaut, bei dem sich deutlich Spuren von Urin auf seiner weissen Robe abzeichnen, war allgemein als nicht lustig, sondern als beleidigend bezeichnet worden. Besonders weil darunter stand: «iOS 6 verhebed nöd.»

Der Karikaturist Widmer, der seit Jahr und Tag mit einem Wacom-Zeichenstift-Tablet auf einem Apple-Computer zeichnet, war schliesslich gezwungen, Polizeischutz einzufordern. Ihm wurde vorgeworfen, primitive Zeichnungen auf Kosten des Heiligen Steve Jobs anzufertigen. Sein Computer wurde so oft gehackt, dass er kaum noch zu erkennen war. Er erhielt Viren- und Absturzdrohungen und E-Mails mit Fäkalien. Ende.

In den LeserInnenkommentaren in den Newsblogs zur Papstkarikatur der deutschen Satirezeitschrift «Titanic» fiel in den letzten Wochen ein immer wiederkehrendes Muster auf: eine unausgesprochene tiefe Frustration der christlichen Gemeinschaft, nicht so wie die muslimische sein zu dürfen. «Bei Muslimen hättet ihr euch eine solche Beleidigung nicht getraut.» Die MuslimInnen hätten nämlich Bomben gelegt, Hände abgehackt und andere wüste Sachen gemacht. Doch die ChristInnen dürften das ja nicht, wegen Jesus nämlich, und so sei es natürlich besonders feige, sich über den Papst lustig zu machen. Offenbar sind viele ChristInnen neidisch auf die extremistischen MuslimInnen, die Rambazamba machen, statt den Ärger still in sich hineinzubeten und entsprechende seelische Schäden davonzutragen.

So wie es künftig jedes halbe Jahr infolge des computerisierten Hochgeschwindigkeitshandels einen Börsentotalabsturz geben wird, so wird es jedes halbe Jahr Christen- und Muslimaufstände wegen Facebook- und YouTube-Spässen geben. Mehr Kommunikation führt eben unweigerlich zu mehr Missverständnissen.

Die Diskussion zwischen Strengsatirikern und Strenggläubigen ist so kompliziert wie die Kommunikation zwischen einem iPad und einem alten 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk. Es gibt nichts, was die beiden verbindet. Religion läuft von oben nach unten, Humor von unten nach oben. Leider hat der Humor noch keinen Vertreter im Himmel.

Ruedi Widmer ist Karikaturist in Winterthur.