Stuttgart 21 : Kurz vor der Endstation?

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Die Warnung kam von überraschender Seite – und könnte das Aus für den umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21 (S21) einleiten. In einem fünfzehnseitigen Dossier, das dieser Tage bekannt wurde, äusserten Verkehrsfachleute grosse Zweifel an der Finanzierung, am Fertigstellungstermin und an der Wirtschaftlichkeit des Grossprojekts in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Das Papier empfiehlt dem Aufsichtsrat der staatseigenen Deutschen Bahn AG (DB) zudem, Regressansprüche gegen den DB-Vorstand zu prüfen und Alternativen – bis hin zum Ausstieg aus dem Projekt – in Erwägung zu ziehen. Das Brisante dabei: Das Dossier stammt nicht etwa, wie viele kritische Gutachten zuvor, aus den Reihen der S21-GegnerInnen, sondern wurde von ExpertInnen des Bundesverkehrsministeriums verfasst und dem DB-Aufsichtsrat vorgelegt. Dieser traf sich am Dienstag zu einer Krisensitzung.

Der DB-Vorstand, heisst es in dem Papier, habe bereits im Juli 2012 von der Kostenexplosion gewusst, dem Aufsichtsgremium – in dem drei Staatssekretäre sitzen – diese Information aber vorenthalten. Erst im Dezember gab die DB-Spitze zu, dass die Kosten für den verkehrspolitisch unsinnigen Tunnelbahnhof von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro steigen werden. Verkehrspolitiker wie der grüne Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses, Anton Hofreiter, rechnen sogar mit Ausgaben von bis zu 11 Milliarden Euro; ausserdem sei eine Fertigstellung – falls überhaupt – erst 2025 zu erwarten.

Noch ist völlig unklar, wer die Mehrkosten schultern soll. Die DB-Projektpartner (das Land Baden-Württemberg, die Stadt und die Region Stuttgart) lehnen eine stärkere Beteiligung rundweg ab. Und allmählich mehren sich auch kritische Stimmen aus dem Lager der BefürworterInnen von CDU und FDP: Sie befürchten, dass das teure Grossprojekt nach dem Desaster des Berliner Flughafens im bevorstehenden Wahlkampf nicht mehr vermittelbar ist, da es zulasten anderer, dringenderer DB-Infrastrukturmassnahmen geht. Und dass CDU und FDP bei der Bundestagswahl in Baden-Württemberg ein ähnlich schlechtes Ergebnis erzielen wie bei der Landtagswahl 2011. In diesem Fall wären die Aussichten für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin schlecht.

Und noch jemand könnte den Ausschlag für das Ende von S21 geben. Demnächst beginnen die Lohnverhandlungen zwischen der Bahngewerkschaft und dem DB-Vorstand. Sollte die Bahn wegen der gestiegenen S21-Kosten Lohnerhöhungen verweigern, werden sich die GewerkschafterInnen im Aufsichtsrat querlegen. Sie verfügen in diesem Entscheidungsgremium, das demnächst erneut über S21 berät, über die Hälfte aller Sitze.