«Verliebte Feinde»: Sie war zu früh und zu radikal

Nr. 8 –

In seinem neuen Film zeigt Regisseur Werner «Swiss» Schweizer ein vielschichtiges Bild einer Vordenkerin: Iris von Roten. Ihr Buch «Frauen im Laufgitter» erregte 1958 die Gemüter. Es ist zum Teil hoch aktuell.

Selbstständig, doch nicht allein: Iris von Roten und ihr Mann Peter im neuen Schweizer Spielfilm.

Als Iris von Roten 1990 starb, war das medial kein grosses Thema. Die WOZ erwähnte den Tod der Schweizer Frauenrechtlerin, Rechtsanwältin und Autorin mit keinem Wort, der «Tages-Anzeiger» widmete ihr einen kurzen Nachruf. «Sie war eine Frauenrechtlerin der ersten Stunde. Und sie eckte überall an damals, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei vielen Frauen, die es gern milder und gediegener gehabt hätten», war dort zu lesen.

1958 hatte die damals 41-Jährige mit ihrem radikalen Buch «Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau» landesweit für Schlagzeilen gesorgt. Ihre Vorwürfe zur Stellung der Frau und ihre Forderungen nach Gleichberechtigung erschreckten die SchweizerInnen: «So gibt es, von Ausnahmefällen abgesehen, grundsätzlich nach wie vor nur drei Arten von ‹Frauenleben›: das der ausgenutzten Arbeiterbiene, jenes der Magd des Ernährers und der Nachkommen und das Dasein der amüsierten oder gelangweilten Luxusgattin», schrieb von Roten und forderte unter anderem «kollektive und anonyme Fürsorge für den Nachwuchs», damit die Frau nach der Geburt der Kinder wieder ihrer Erwerbsarbeit nachgehen könne. Auch die ungleiche Bezahlung für Mann und Frau bei gleicher Arbeit prangerte sie an und die Tatsache, dass viele Frauen nach der Hochzeit ihre Arbeit an den Nagel hängen.

Öffentliche Skandalfigur

Doch Iris von Roten war ihrer Zeit voraus: 1958 besassen die Schweizer Frauen nicht einmal das Stimm- und Wahlrecht.

«Es ist seit Menschengedenken nicht vorgekommen, dass ein Werk aus der Feder einer schweizerischen Autorin schon gleich nach dem Erscheinen einen wahren Sturm gegensätzlicher Diskussionen ausgelöst hat», hiess es 1958 in der «Schweizer Illustrierten», nachdem von Rotens Buch erschienen war. «Im Allgemeinen schreiben ja unsere Schriftstellerinnen ziemlich brav – andernfalls müssen sie damit rechnen, höchstens im Ausland beachtet zu werden. Aber Iris von Roten ist es nun gelungen, mit ihrem Buch ‹Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau› die eidgenössischen Gemüter von Anfang an zu erhitzen.»

Wie die Autorin durch ihr Werk zur öffentlichen Skandalfigur gemacht wurde – dies ist ein Nebenthema in «Verliebte Feinde», dem neuen Film von Werner «Swiss» Schweizer. Vielmehr steht im Zentrum des Films die Beziehung zwischen Iris von Roten und ihrem Ehemann, dem Walliser Nationalrat und Rechtsanwalt Peter von Roten, beziehungsweise die Briefe, die sich die beiden im Lauf ihres Lebens schrieben. Wilfried Meichtry trug diese in seiner 2007 erschienenen gleichnamigen Doppelbiografie erstmals vollständig zusammen – das Buch hat dem Film als Vorlage gedient.

Schweizer kombiniert dokumentarisches Material mit Spielfilmsequenzen. Dabei überzeugt Mona Petri als starke und verletzliche Iris von Roten (vgl. «Ist der Arbeitsalltag im Altersheim nicht auch ernüchternd?» ). Eher farblos wirkt daneben Fabian Krüger als ihr Mann Peter. Dass dieser einmal König des Wallis hatte werden wollen, wie Iris von Rotens Cousine im Film erzählt, nimmt man dem stets unterwürfig dreinschauenden Krüger nicht ab. Aufschlussreich sind die dokumentarischen Sequenzen: Dank der Erzählungen von Iris von Rotens Tochter, ihrer Cousine, Peter von Rotens Schwester und vielen mehr erhält man ein vielschichtiges Bild dieser kompromisslosen Frau.

Erhitzte Gemüter

Übrigens waren die LeserInnen der «Schweizer Illustrierten» 1958 mit einigen Punkten in Iris von Rotens Buch einverstanden. Ein Satz allerdings erhitzte die Gemüter: «Kinder sind nicht wertvoller als ihre Mütter.» Reaktionen darauf folgten umgehend. «Ihr Mütter von der Art Iris von Rotens kämpft dafür, kulturell und gesellschaftlich Eure Rolle spielen zu können. Weil Euch dabei aber die Kinder im Wege sind, gebt Ihr die kleineren in die Krippe und steckt die grösseren in ein Internat. Ihr glaubt, für eine bessere Welt zu kämpfen, und überseht dabei, dass Ihr das Grösste und einzige Wesentliche versagt: die Liebe.» So die Reaktion eines Leserbriefschreibers.

Wie erschreckend wenig sich der Stand der Diskussion in der Familienpolitik in den letzten 55 Jahren entwickelt hat, wird bei der aktuellen Debatte um den Familienartikel, über den am 3. März abgestimmt wird, einmal mehr ersichtlich. Die SVP zieht mit einem Plakat, das ein weinendes Kind mit einem Barcode im Ohr zeigt, gegen die Initiative «Verfassungsbasis für eine umfassende Familienpolitik» in den Kampf und schreibt dazu: «Die Familien – welche Form sie auch immer haben – wissen selbst am besten, was gut für sie und ihre Kinder ist. Sie brauchen keine Bevormundung durch den Staat. Sie brauchen auch keine Politik, die ihnen vorschreibt, wie sie ihr Familienleben zu gestalten haben.» Da wünscht man sich, Iris von Rotens Werk hätte mehr als nur oberflächliche Schlagzeilen ausgelöst.

«Verliebte Feinde». Schweiz 2012. Regie: Werner «Swiss» Schweizer. Ab 21. Februar 2013 in den Kinos.

Lesung von Wilfried Meichtry aus «Verliebte Feinde» mit Ausschnitten aus dem Film in: 
Bern, Wartsaal, Mittwoch, 27. Februar 2013, 20 Uhr. www.wartsaal-kaffee.ch