Nach dem falschen Giftalarm bei der Post: Alle drehen ständig in der Rotation

Nr. 17 –

Die Post galt als Staatsbetrieb lange als sichere und soziale Arbeitgeberin. Doch die ständigen Umstrukturierungen und der steigende Leistungsdruck belasten die Angestellten. PöstlerInnen des Briefzentrums Mülligen berichten aus dem Innern des Gelben Riesen.

Die Post will nicht, dass ihre Angestellten mit JournalistInnen reden. Deshalb haben wir ihre Schilderungen der fiktiven Figur Dario Flores zugeschrieben. Alle Begegnungen haben aber so stattgefunden. Alle Aussagen wurden tatsächlich gemacht: von aktuellen und ehemaligen MitarbeiterInnen der Post, die trotz allem bereit waren, ihre Beobachtungen, Bedenken und Befürchtungen zu teilen.

Die Pöstlerin tat an diesem Abend etwas Unübliches: Sie hörte mitten in der Schicht auf zu arbeiten. Dann rief sie einen Kollegen zu sich und zeigte ihm den geröteten Bauch. Sie hatte plötzlich einen Ausschlag bemerkt und verspürte Juckreiz. Kurz darauf, es war 20.15 Uhr am Dienstagabend des 4. September 2012, ging bei der Einsatzzentrale der Kantonspolizei Zürich die Meldung ein, dass im Briefzentrum Mülligen weisses Pulver aus zwei Briefen gerieselt sei und bei einigen MitarbeiterInnen Reizungen ausgelöst habe. Schutz und Rettung Zürich löste Alarm aus. Sirenen heulten. Im Minutentakt rasten Ambulanz, Feuerwehr und Polizei nach Schlieren, wo sich das grösste Briefzentrum der Schweiz befindet.

Im Briefzentrum Mülligen aber herrschte ruhige Geschäftigkeit: In den weiten Hallen surrten die Sortiermaschinen, die Briefbehälter rumpelten über die Förderbänder, und die Sammelbehälter klapperten, wenn sie aneinanderstiessen. Alle paar Minuten unterbrach eine Sirene die Kakofonie der Maschinen, wenn etwas mit einem Brief oder einer Zeitschrift oder einer Maschine nicht in Ordnung war.

Der Postangestellte Dario Flores vernahm eine ruhige Stimme aus dem Lautsprecher, aber er hörte nicht richtig hin, denn seine Schicht ging gerade zu Ende. Flores wollte endlich nach Hause. Dann ertönte die Durchsage noch einmal, auf Französisch und Spanisch, und Flores dachte, sie gelte wohl einer der vielen Besuchergruppen, die das Briefzentrum gerade wieder besichtigt hatten. Aber als Dario Flores «Notausgang» hörte und «Bitte alle das Gebäude verlassen», wurde ihm schlagartig klar, dass etwas nicht stimmte. Er begab sich auf den Versammlungsplatz hinter dem Briefzentrum. Dabei hörte er, dass weisses Pulver gefunden worden war. Deshalb die Evakuierung.

Kurz darauf meldeten Medien den Grosseinsatz. Das Schweizer Fernsehen behauptete eine halbe Stunde lang, die Polizei habe einen «Giftpulveranschlag» bestätigt. Das Dementi folgte bald. Um 23.05 Uhr verschickte die Kantonspolizei ein Communiqué: Das vermeintliche Giftpulver war eine «unbekannte Substanz harmloser Natur».

Falscher Alarm.

Dario Flores stand in der Menschenmenge und verfluchte sich dafür, dass er nicht früher abgeschlichen war. Jetzt musste er mit 220 anderen PöstlerInnen auf dem Versammlungsplatz warten, Blaulichter blinkten, und sein Magen knurrte.


Endlich Feierabend. Dario Flores steht an der Bar und bestellt ein Bier. «Der Job ist oft unerträglich», beginnt er. Dann nimmt er einen grossen Schluck und sagt: «Aber ich bin auf ihn angewiesen.» Seit fast zwanzig Jahren arbeitet Flores bei der Post, in verschiedenen Zentren, in unterschiedlichen Abteilungen. Und auch wenn er oft über die monotone und anstrengende Arbeit klagt, ist er froh, dass sie ihm ein regelmässiges Einkommen sichert.

Nach der Evakuierung des Briefzentrums Mülligen letzten September war die Post deutlich geworden: kein Kontakt mit den Medien. Die Betriebsleitung hatte sich darüber geärgert, dass Postangestellte mit JournalistInnen gesprochen oder Fotos eingeschickt hatten. Wie zum Beweis zeigte sie Ausrisse von Onlineportalen, auf denen mit dicken, roten Pfeilen auf das Wort «Leserreporter» hingewiesen wurde.

Dario Flores legt Wert auf die Feststellung, dass er immer loyal zum Betrieb gewesen sei, dass er nicht über seinen Arbeitgeber herziehen wolle, aber in den letzten Jahren habe sich die Post massiv verändert, eine Umstrukturierung folge auf die andere. «Früher war die Post ein sehr sozialer Betrieb, vielleicht war sie als Staatsbetrieb sogar zu sozial. Aber heute wird unsere Arbeit nicht mehr geschätzt. So wie jetzt habe ich mich in all den Jahren bei der Post nie gefühlt.»

Letzten Herbst hätten die Zeitungen aber lieber über «Massenhysterie» geschrieben, über Placebo- und Nocebo-Effekte. In Leserbriefen wurden die PöstlerInnen auch mal als «Psychos» bezeichnet. Doch der Vorfall im September zeige, wie sehr die PöstlerInnen heute unter Druck stünden, sagt Flores, wie schlecht teilweise das Arbeitsklima im Briefzentrum Mülligen geworden sei: «Die Unzufriedenheit ist relativ gross. Aber wenn der Chef kommt und fragt, sagen alle, alles sei wunderbar. Dabei läuft die Optimierungslokomotive immer schneller, so schnell, dass anscheinend nicht einmal mehr die Gewerkschaften nachkommen.»



Das Briefzentrum Mülligen sieht aus wie das Raumschiff aus einer Zukunft, die man sich in der Vergangenheit ausgemalt hat. 1985 als Paketzentrum gebaut, steht das Gebäude heute als bedeutendes Stück Industriegeschichte unter Denkmalschutz. Mit 70 000 Quadratmetern Grundfläche und zwei Geschossen ist Mülligen das grösste Briefzentrum der Schweiz: 1200 Menschen füttern das Monster täglich in drei Schichten mit 4,7 Millionen Briefen, die über 22 Andockrampen angeliefert, auf neun Kilometern Förderstrecke sortiert und schliesslich über 24 Andockrampen ausgeliefert werden. Vor Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern schluckt es gar sechs bis acht Millionen Sendungen.

In das silbrige Gebäude führt eine enge, überdachte Überführung, die einen von der Zürcherstrasse über die Anfahrt der Post hinweg zur Empfangshalle bringt. Mindestens fünfmal die Woche geht Dario Flores diesen Weg, manchmal auch am Wochenende. Vorbei am Sicherheitsdienst steigt er die Treppen hoch zum eigentlichen Eingang ins obere Stockwerk des Briefzentrums. Alle Postangestellten müssen dort einzeln durch die Sicherheitsschleuse rein und bei Pausen und Feierabend wieder raus – elektronisch registriert und von Kameras beobachtet. Wenn er die Schleuse betrete, dann schalte er sein Hirn aus, sagt Flores. Das sei besser so, weil er dann schneller arbeite und nicht nachdenke.

Neben der Schleuse steht ein Leitstand, in dem die Betriebsleiter ihre Büros eingerichtet haben. Von hier aus koordinieren sie den Betrieb, überwachen auf den Monitoren die Maschinen, melden den Teamleitern, Mechanikerinnen und Handwerkern über Funk, wenn ein Programm gewechselt werden muss, eine Maschine klemmt oder ein Kugellager kaputt ist.

Die Postangestellten arbeiten in drei Schichten, «drei Farben», wie sie sagen: Rot, Grün und Blau. Die Frühschicht beginnt um 6.30 Uhr, die Spätschicht um 13.40 Uhr, die Nachtschicht um 20.50 Uhr. Fast alle ArbeiterInnen rotieren, wechseln im Wochentakt die Schicht. «Die Rotation», sagt Flores, «ist das Schlimmste überhaupt: Das ist Gift pur, das macht uns krank.» In gewissen Abteilungen würden deshalb «viele Leute nur dank Medikamenten» ihre Nachtschichten durchstehen. Flores sieht nicht ein, warum er jede Woche in einer anderen Schicht arbeiten muss. Vor allem den vielen älteren PöstlerInnen machen die Rhythmuswechsel zu schaffen, sie schlafen nicht richtig, können kaum mehr länger als vier Stunden am Stück abschalten. «Es gibt nur zwei Methoden, um damit fertigzuwerden», sagt Flores, «Schlafmittel oder Alk.»



Das System der ständigen Rotation hat seinen Ursprung in den Umstrukturierungen, die die Post vor rund zehn Jahren einläutete, als sie sich für die Liberalisierung des Postmarkts fit machen wollte. «Reengineering Mailprocessing», kurz Rema, so nannte die Post den grossen Umbau, in dem das Postwesen logistisch zentralisiert und vereinheitlicht wurde. Seither wird ein Brief, der in Flims eingeworfen wird und nach Laax muss, zuerst nach Zürich-Mülligen gefahren, im Briefzentrum sortiert und am nächsten Morgen wieder zurück ins Bündnerland gebracht. Für diesen Prozess wurde das einstige Paketzentrum Mülligen für 200 Millionen Franken umgebaut, ehe die Post es Anfang 2008 neben Eclépens und Härkingen als drittes Zentrum in Betrieb nahm. Damals wurde das System der Rotation eingeführt. Alle sollten in allen Schichten arbeiten müssen.

2009 war das Projekt Rema abgeschlossen. Sofort folgte Distrinova, «eine weitere Modernisierung der Briefverarbeitung», wie die Post das Projekt beschreibt: «Distrinova will bei der Zustellung, also am Ende der Prozesskette, Abläufe verbessern und effizienter gestalten.» Mitte 2013 soll Distrinova vollständig umgesetzt sein. Die grösste Änderung ist die sogenannte Gangfolgesortierung. Früher mussten die BriefträgerInnen die Austragungen von Hand sortieren. Nun erhalten sie die Briefe bereits vorsortiert in der Reihenfolge, in der sie ihre Tour laufen. Was nach einer angenehmen Verbesserung für die BriefträgerInnen klingt, zieht einen Rattenschwanz von Änderungen und logistischen Problemen nach sich.

Oben wird geschraubt, unten muss jemand ein neues Problem lösen. «Distrinova heisst: neue Prozesse, neue Schichten, neue Teams», sagt Flores kopfschüttelnd. «Es gibt viele Pöstler, die immer gesagt haben: Wir müssen uns halt anpassen, mit der Zeit gehen. Aber heute haben auch die genug. Alles soll immer noch schneller gehen, denn wir müssen ja ‹konkurrenzfähig› bleiben. Aber die Post ist längst ein hoch effizienter 24-Stunden-Betrieb. Und jetzt sollen mit den neuen Schichtplänen die Präsenzzeiten noch länger werden, alle müssen in die Rotation, und am Mittwoch erfahren wir jeweils, ob wir auch am Samstag arbeiten müssen. Es wird immer schwieriger, die eigene Familie zu sehen. Eine Weiterbildung, ein Vereinsleben oder andere regelmässige Termine am Wochenende sind kaum noch möglich. Sozialleben, Familienleben – das ist hier nicht vorgesehen.»

Distrinova bedeutet auch: noch mehr maschinelle Arbeit. Bereits heute wird in Mülligen nur noch wenig von Hand sortiert. Und auch da wird stetig mehr Tempo verlangt. Die wenigen PöstlerInnen, die noch in der Handsortierung arbeiten, sitzen auf einem Hocker, von Regalen umgeben, die in einem Halbkreis angeordnet sind, und werden von einer 360-Grad-Kamera an der Decke beobachtet. Sie werfen die Post mit atemberaubender Geschwindigkeit in Fächer, die mit Postleitzahlen versehen sind. Verpflegung oder persönliche Utensilien bewahren sie in einer durchsichtigen Plastiktasche auf, die sie von der Post erhalten. «Damit wir nichts mitgehen lassen.» Manchmal werde die Zeit genommen, erzählt Flores. «Dann steht jemand hinter die Sortierer, drückt auf die Stoppuhr und schaut zu, wie diese die Briefe in die Fächer ablegen. Dann heisst es ‹Stopp›, und das Regal wird überprüft: Wie hoch war das Tempo? Wie hoch war die Fehlerquote?»


Die manuelle Sortierung sei wenigstens dynamisch, findet Flores. «Die Leute dort bewegen sich ein wenig. An den Maschinen hingegen fehlt jede Abwechslung. Die gibt es höchstens, wenn man zwischen zwei verschiedenen Maschinen wechseln kann.» Die Sortiermaschinen geben den Rhythmus vor, die Postangestellten sind ihnen während der Schicht ausgeliefert: «Wenn du Briefe einspeist, kannst du dort nicht einfach weg – höchstens mal schnell auf die Toilette.» Die Arbeit ist sehr monoton, die Bewegungen einseitig, teilweise stundenlang die immer gleichen Handgriffe. Da ist jede Störung, jedes Abweichen von der Routine eine willkommene Abwechslung. «Hin und wieder fällt ein Brief zu Boden, weil ihn die Maschine nicht lesen kann. Oder weil er zu dick ist und hängen bleibt. Dann kann man ein paar Schritte gehen, den Brief aufheben und wieder an seinen Platz zurückkehren.»

Aber da sind noch andere Umstellungen, die Dario Flores und seine KollegInnen derzeit beschäftigen: die neuen Arbeitszeiten, die neuen Schichtpläne, die Blockzeiten. Zum Teil werden nur Kleinigkeiten geändert, für den einen oder anderen Postangestellten können diese aber existenziell sein. Vor allem für jene, die in Mülligen nur Teilzeit arbeiten und einen zweiten Job haben. «Künftig müssen auch sie in Rotation in jeder Schicht arbeiten. Da können sie ihren Zweitjob gleich vergessen.» Hinzu kommen grössere Pausen wegen Wartungsarbeiten an den Maschinen – unbezahlt natürlich –, was zu noch längerer Anwesenheit im Briefzentrum führt. «Ausserdem endet die Spätschicht im neuen Plan um 23.30 Uhr», sagt Flores. «Und der letzte Bus, mit dem man am Hauptbahnhof Anschluss auf Züge und Trams hat, fährt um 23.45 Uhr. Das ist verdammt knapp.»

Und dann sind da die «Härtefälle» der vierten Schicht, des sogenannten Teams Gelb: alleinerziehende Mütter, Angestellte mit gesundheitlichen Handicaps, denen ärztlich bescheinigt wurde, dass sie nicht in allen Schichten arbeiten können, oder solche, die daheim Pflegefälle zu betreuen haben. Das Team Gelb arbeitet in der Regel nur in der Früh- und in der Spätschicht. Es ist bislang nicht in den rotierenden Dreischichtbetrieb integriert. In den Augen der Betriebsleitung sind diese Leute gegenüber den anderen Angestellten privilegiert. Deshalb soll die Anzahl der Härtefälle in den nächsten Jahren verringert werden. Und neue Härtefälle, so erzählen sich die PöstlerInnen, soll es nach dem Willen der Chefs keine mehr geben. Dann kommen alle in die Rotation, arbeiten Nacht- und Wochenendschichten. 5.80 Franken pro Stunde erhalten die PöstlerInnen als Nachtzulage, 10.50 Franken am Sonntag. Dario Flores verdient zwischen 4000 und 4500 Franken inklusive Zulagen. Die Post sagt, das durchschnittliche Einkommen betrage in Mülligen ohne Zulagen über 5000 Franken, die Löhne der Teamleiter mit eingerechnet.

«Was mich am Abbau der Härtefälle stört, ist, dass überhaupt erst die Arbeit bei der Post diese Leute zu Härtefällen gemacht hat. Da kann sich die Post doch nicht einfach aus der Verantwortung stehlen!» Flores erzählt von KollegInnen, die insgeheim hofften, zu einem Härtefall zu werden, um nur reduziert in zwei Schichten arbeiten zu müssen. «Auf einigen Abteilungen gibt es einen Running Gag, wenn sich jemand bei der Arbeit verletzt. Dann rufen sie freudig: IV! IV! IV!»



Manchmal, wenn Dario Flores einen Moment findet, um durchzuatmen, sieht er, wie die Post BesucherInnen durch das Briefzentrum Mülligen führt: Alle haben sich Kopfhörer um das Kinn gehängt wie einen Babylatz und schlendern durch die Hallen, während über ihnen die Briefpost auf Förderbändern ins Hochregallager ruckelt. Von Zeit zu Zeit müssen sie einem Gabelstapler ausweichen oder einem Teamleiter auf einem Trottinett. An der Art der Fortbewegung lassen sich die Hierarchien im Betrieb ablesen: Die ArbeiterInnen gehen zu Fuss, die Teamleiter fahren mit dem Trottinett. Und für die Betriebsleiter stehen zwei Elektroscooter bereit, Modell «Colly», Tragkraft 130 Kilogramm.

Die meisten BesucherInnen nehmen die Kopfhörer während des Rundgangs nicht ab, lauschen dem Strom von Informationen zur Grösse des Gebäudes, zu den sauber glänzenden Maschinen, zu den orangen Strichcodes und Scanmaschinen, die dafür sorgen, dass der Brief, der da gerade vorbeirast, am Ende am richtigen Ort landet. Dadurch entgeht ihnen ein wesentliches Detail: der Lärm. Ein ständiges Scheppern und Rumpeln und Brummen und Heulen, das sich in den riesigen Hallen zu einem grossen Brei vermengt, sodass man die Kopfhörer lieber schnell wieder aufsetzt.

Lange will Dario Flores nicht mehr bei der Post arbeiten. Er weiss allerdings, dass er das – wie so viele andere – schon oft gesagt hat. Er kenne KollegInnen, die sagten, sie seien froh, wenn sie bald pensioniert würden. «Das hätte früher kein Pöstler gesagt.» Aber er hat durchaus Verständnis dafür: «Wenn du dich zehn, fünfzehn Jahre lang im Schichtbetrieb hier abrackerst, schwere Kisten schleppst oder acht, neun Stunden am Stück die gleichen Bewegungen machst, dann wirst du irgendwann zum Krüppel.»

Wenn die Schicht von Flores zu Ende geht und er die Post über die Schleuse verlässt, kommt er jeweils an einem dieser Automaten vorbei, die für gewöhnlich mit Snacks und Getränken gefüllt sind. Der gleich neben dem Ausgang, zwischen Schleuse und Leitstand, bietet stattdessen Briefmarken, Vignetten und Grusskarten an. Und Glückslose der Marke «Win4Life».


«So faszinierend der Betrieb aussieht, so blitzblank und gut organisiert: Das hier ist Industriearbeit, Fliessband, Monotonie.» Flores findet es denn auch nicht weiter erstaunlich, dass es letzten September ausgerechnet bei der Sendungsaufbereitung im Untergeschoss zu einer Panik gekommen ist, dort, wo viele Härtefälle arbeiteten. Gerade bei ihnen hat der Druck in letzter Zeit zugenommen.

34 Menschen mussten kurzzeitig ins Spital eingeliefert werden, obwohl das weisse Pulver, das aus den Briefen rieselte, ungefährlich war. Die Arbeit bei der Sendungsaufbereitung sei besonders anstrengend und monoton, sagt Flores. Die Briefkasteneinwurfsendungen werden auf einen Tisch geleert, jemand stempelt, was noch keinen Stempel trägt. Eine andere Person wirft die Briefe auf ein Band, das diese in eine Art Waschtrommel befördert, die mit eng aneinandergereihten Schaufeln ausgestattet ist und sich langsam dreht, sodass laufend Briefe durch die Ritzen zwischen den Schaufeln rutschen. Was zu dick ist, muss von Hand sortiert werden. Alles andere rast über ein vollautomatisches Fördersystem um eine Kurve und verschwindet im Bauch des Briefzentrums.

Hier irgendwo müssen am Dienstagabend des 4. September 2012 zwei Briefe beschädigt worden sein. Das Pulver versetzte den PöstlerInnen einen Schreck. Druck und Stress taten das Übrige.

Was die Post sagt : «Positiv bewertet»

In einer Stellungnahme schreibt die Post, dass die «Annahme einer ‹grossen Unzufriedenheit›» nicht generalisiert werden könne. Bei einer jährlichen Personalumfrage hätten die PöstlerInnen in Mülligen ihre Arbeit «noch positiver» bewertet als der Durchschnitt des gesamten Konzerns, wo die Zufriedenheit des Personals einer «hohen positiven Beurteilung» entspreche. Da sich die Rücklaufquote der Umfrage auf 75 Prozent belaufe, liefere sie «ein umfassenderes Stimmungsbild als Aussagen von einzelnen Mitarbeitenden».

Zur Schichtarbeit schreibt die Post, dass man eng mit Fachleuten zusammenarbeite. Man sei sich bewusst, dass Schichtarbeit eine «körperliche Belastung» bedeute. Deshalb würden «gesundheitsfördernde Massnahmen» angeboten, zum Beispiel «Kampagnen zur Erholung oder zur Ernährung bei Schichtarbeit». Darüber hinaus seien BetriebsphysiotherapeutInnen im Einsatz.

Den Vorwurf, dass die Massenpanik im September 2012 unter anderem auf das schlechte Arbeitsklima zurückzuführen sei, weist die Post zurück. Kader und Personal hätten sich bei der Evakuierung vorbildlich verhalten: «Dies deutet nicht auf eine schlechte Stimmung hin. Fachleute sprachen im Zusammenhang mit den auftretenden Symptomen vom ‹Nocebo-Effekt›.»

Generell hält der Gelbe Riese fest: «Die Post bietet faire und sozialverantwortliche Arbeitsbedingungen, die gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit sicherstellen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten strebt die Post vor allem in den Tieflohnbranchen überdurchschnittliche Arbeitsbedingungen an.»