Thailand: Es herrscht ein Klima der Angst im Überwachungsstaat

Nr. 50 –

Fast sieben Monate nach dem Militärputsch ist eine Rückkehr zur Demokratie in weite Ferne gerückt. Nur ein Massenaufstand könnte dies ändern.

Meist geschieht es in den frühen Morgenstunden, noch vor der Dämmerung: Plötzlich liegen Hunderte Flugblätter auf den Strassen in der Hauptstadt Bangkok, besonders vor dem Eingang des Armeehauptquartiers und beim Denkmal der Demokratie. «No Coup!», haben AktivistInnen auf die Flugblätter geschrieben. Der Widerstand gegen Thailands Militärregierung ist da – auch wenn er in der Öffentlichkeit nur vereinzelt zu sehen ist.

Schlagzeilen machten am 19. November fünf Studenten aus der nordöstlichen Provinz Khon Kaen, die während eines Besuchs von Juntachef und Ministerpräsident Prayuth Chan-ocha protestiert hatten: Während Prayuth eine Rede hielt, hatten ihn die Studenten mit dem rebellischen Dreifingerzeichen aus dem Hollywoodblockbuster «The Hunger Games» begrüsst, das in Thailand seit Monaten als Symbol des Widerstands gilt. Die fünf wurden vorübergehend festgenommen, woraufhin andere StudentInnen in Bangkok zu einer Solidaritätskundgebung zusammenfanden. Eine junge Aktivistin, die mit anderen PutschgegnerInnen Bilder ihres Protests im Internet veröffentlicht hat, fasst ihre Motivation so zusammen: «Wir wollen auch dem Ausland zeigen, dass wir gegen den Militärcoup sind. Wir haben Angst, dass die politischen Spannungen steigen und es vielleicht zu einem Bürgerkrieg kommt.»

Wahlen nach dem «Reformprozess»

Ihnen schwant längst, dass eine Rückkehr zur Demokratie in immer weitere Ferne rückt. Nicht nur, weil kürzlich Vertreter der vom Militär dominierten Regierung erklärten, dass das Kriegsrecht «auf unbestimmte Zeit» gelte und Neuwahlen auf 2016 verschoben würden. Prayuth, der durch die von den Militärs handverlesene Nationalversammlung im August zum Ministerpräsidenten gekürt wurde, hatte bereits kurz nach dem Putsch im Mai gesagt, dass ein Urnengang Ende 2015 nur infrage komme, wenn der «Reformprozess» abgeschlossen sei. Im Klartext: Ob und wann es Wahlen geben wird, bestimmen allein die jetzigen Machthaber.

Übersetzt heisst Thailand «Land der Freien». Doch davon kann keine Rede mehr sein. Innerhalb weniger Monate ist das buddhistische Königreich zur Diktatur verkommen. Durch die systematische politische Verfolgung kritischer Stimmen werde ein Klima der Angst geschaffen, schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Seit dem Putsch habe es Hunderte willkürliche Festnahmen gegeben; viele der Verhafteten hätten die gestürzte Regierung unterstützt. Hinzu kämen Folterungen und unfaire Prozesse vor Militärgerichten.

In den thailändischen Medien wagen nur wenige, das Militär offen anzugehen. Es gilt als krimineller Akt, die Junta, die sich selbst Nationaler Rat für Frieden und Ordnung nennt, zu kritisieren. Stattdessen lassen viele in den sozialen Netzwerken ihrem Frust und ihrer Wut freien Lauf – trotz massiver Versuche der Militärs, die Meinungsfreiheit zu beschränken: Die US-amerikanische nichtstaatliche Organisation (NGO) Freedom House kritisierte jüngst, dass es um die Internetfreiheit in Thailand mittlerweile schlimmer bestellt sei als im Nachbarland Myanmar: «Thailands Junta hat Verhaftungen veranlasst, die digitale Überwachung verschärft und ein Klima der Angst erzeugt, in dem Internetnutzer on- und offline Hexenjagden auf Landsleute veranstalten.» Damit befinde sich Thailand auf einer Stufe mit Ländern wie China, Vietnam und dem Iran.

Widerstand der JuristInnen

Die Anwältin Pawinee Chumsri von der Initiative Thai Lawyers for Human Rights bestätigt die zunehmenden Repressionen gegen PutschkritikerInnen: Wer festgenommen oder vorgeladen wird, müsse sich mit einer Unterschrift verpflichten, künftig politischen Aktionen fernzubleiben. Die AnwältInnen der Initiative versuchen, den Militärs und der Polizei klarzumachen, dass Festgenommene auch in der aktuellen Situation Anspruch auf juristischen Beistand haben. «Wenn uns der Zugang zu den Verhafteten verwehrt wird, versuchen wir es dennoch», sagt Pawinee. Zudem hat die Initiative die Junta aufgefordert, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu beenden. «Das Kriegsrecht ist kein Blankoscheck für Willkürakte», sagt Pawinee.

In den militärgerichtlichen Verfahren gegen AktivistInnen geht es um angebliche Verstösse gegen die nationale Sicherheit, was die in Genf ansässige NGO Internationale Juristenkommission verurteilt: «Nach internationalen Standards dürfen Zivilisten keiner Rechtsprechung durch Militärgerichte unterworfen werden, vor allem nicht dort, wo – wie im von Militärs regierten Thailand – Gerichtshöfen die institutionelle Unabhängigkeit von der Exekutive fehlt.» Hinzu komme, dass gegen diese Urteile keine Revision eingelegt werden kann.

Massenaufstand notwendig

Unter die «nationale Sicherheit» fällt auch das seit Jahren politisch missbrauchte Gesetz gegen Majestätsbeleidigung. Diffamierungen der thailändischen Monarchie mit dem 87-jährigen, schwer kranken König Bhumibol Adulyadej an der Spitze werden mit drei bis fünfzehn Jahren Haft bestraft. Die Armee hat seit ihrer Machtergreifung die Auslegung dieses Gesetzes noch verschärft.

Während das Land zum Überwachungsstaat mutiert ist, bereiten von der Junta zusammengestellte Gremien eine neue Verfassung vor. Diese soll den Weg zu einem politischen System ebnen, das die Militärs der Aussenwelt als «Thai-Style Democracy» verkaufen wollen. Das sieht nach einem schlecht verbrämten Versuch aus, das Netzwerk des ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, dessen Parteien seit 2001 alle Parlamentswahlen gewonnen hatten, zu zerschlagen. Stattdessen könnte die Junta ihre eigene Macht und die ihrer Verbündeten aus den alten, ultraroyalistischen Kreisen festigen. Damit dürfte der Spielraum künftiger Regierungen unter dem Einfluss einer ultrakonservativen Justiz, Technokratie und Militärspitze drastisch beschnitten werden. Daneben gibt es Spekulationen, die Armee könnte ihre eigene Partei gründen.

Viele gehen davon aus, dass die Militärherrschaft noch mindestens ein oder zwei Jahre anhalten wird. Manche bezweifeln gar, dass es in absehbarer Zeit überhaupt zu Neuwahlen kommt. Ein Massenaufstand des Volks, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem politischen Lager, wäre eine Möglichkeit, sich gegen die Junta zu erheben. Doch ein solcher ist in dem tief gespaltenen Land derzeit undenkbar. Zumal die Angst vorherrschen dürfte, dass die Armee erneut DemonstrantInnen niedermetzeln würde, wie sie das in den letzten Jahren wiederholt getan hat.

Der Maiputsch

Dem Militärputsch vom 22. Mai dieses Jahres waren in Thailand Monate politischer Unruhen vorangegangen. Ein oppositionelles Bündnis hatte sich zum Ziel gesetzt, durch Strassenproteste Chaos und Gewalt zu schüren, um ein Eingreifen der Armee zu provozieren (siehe WOZ Nr. 22/2014 ). Auf diese Weise sollte die 2011 in einem Erdrutschsieg gewählte Regierung unter Yingluck Shinawatra aus dem Amt getrieben werden.

Yingluck selbst, Schwester des einstigen, bereits 2006 vom Militär gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, sowie Teile ihres Kabinetts waren bereits kurz vor dem Putsch durch einen fragwürdigen Entscheid des Verfassungsgerichts abgesetzt worden. Der klägliche Rest der Regierung wurde durch die Armee gestürzt.