Im Affekt: Zack, die Tyrannei der Mehrheit!

Nr. 11 –

Am Ende waren wir tot, und schuld war das Kollektiv, also wir selbst. So ist das halt in einer Demokratie: Man kann sich nie sicher sein, ob es dann auch richtig herauskommt, wenn alle mitreden dürfen.

Die Abstimmung mit tödlichem Ende fand zum Glück nur im Kino statt. «Late Shift» heisst der Schweizer Thriller, bei dem das Publikum den Plot selbst steuern kann. Im Zentrum steht der Student Matt, der als Nachtwächter in einem Londoner Parkhaus in einen Kunstraub verwickelt wird. Aber wie sich Matt in gewissen Momenten entscheidet, das können wir eben selber bestimmen, dank «CtrlMovie», einer Software für interaktive Filme. Entwickelt hat das Programm ein Zürcher Start-up, das auch «Late Shift» realisiert hat – quasi als Pilotfilm, um zu demonstrieren, was die Software draufhat.

Als Film ist das ganz okay, aber «Late Shift» ist ja mehr als das. Das Drehbuch muss man sich als wahnwitziges multioptionales Geflecht aus parallelen Erzählsträngen vorstellen. Im Film, der keiner ist, summiert sich das auf 180 Entscheidungspunkte, bei insgesamt vier Stunden Laufzeit. Wer sich allein vor dem Computer durch den Plot klickt, kommt sich vor wie in einem Bastard zwischen Spielfilm und Videogame: Bin ich noch ZuschauerIn, oder spiele ich schon? Im Kino, wo das Publikum über eine App via Smartphone abstimmen kann, wird daraus ein Gesellschaftsspiel über die Eigendynamik im Kollektiv. Dreinschlagen oder cool bleiben? Zur Polizei gehen oder untertauchen? Den Bösen einschüchtern oder einfach niederschiessen? Man erlebt hier eine Instantdemokratie der Affekte: Entschieden wird aus dem Moment, für eine öffentliche Debatte ist keine Zeit. Du wirst überstimmt? Zack, die Tyrannei der Mehrheit!

Sieben verschiedene Enden hält «Late Shift» für Matt parat, das Stimmvolk bekommt den Ausgang, den es verdient. Held oder Opfer, Draufgänger oder Zauderer? Du bist, was du wählst. Bei der Premiere in Zürich war Matt am Ende tot, es war der Preis für unsere Lust an der Gewalt.

«Late Shift» läuft in Zürich im Kino Houdini. Den Film gibts auch im App-Store.