Christophe Badoux (1964–2016): Träf und klar mit exaktem Strich

Nr. 45 –

Mit einer Trillion Blaustiften und frei von linken Dogmen: Der Zeichner Christophe Badoux erneuerte das Comicschaffen in der Schweiz – nicht nur, aber auch mit seiner FCZ-Kultfigur «Stan the Hooligan».

Zürichs Verkehr im Jahr 2050, gezeichnet 2009 fürs städtische Tiefbauamt. Zeichnung: Badoux

Gerade war er noch da. Gerade noch oszillierte sein blau-weiss gestreiftes Sweatshirt in der Abendsonne. Gerade habe ich ihn noch an seinem Arbeitstisch gesehen, auf seinem durchgerittenen Ledersessel über einen A2-Papierbogen gebeugt, auf dem er mit einem seiner Trillionen Blaustifte einen Comic skizzierte, eine Flasche Bier neben sich. «Tschüss! Bis am Montag!» Aber nur Stunden später war Christophe Badoux tot, mit 52 Jahren von einem akuten Herzversagen aus dem Leben gerissen.

Schon ewig arbeitete Badoux im «Strapazin»-Atelier, längst gehörte er zur alten Garde der dort ansässigen Zeichner, Illustratorinnen und Verleger. Für uns noch Ältere aber war er, der erst ein paar Monate nach der Eröffnung des Ateliers im Jahr 1994 zu uns gestossen war, immer ein «Neuer» geblieben, einer der jungen Generation von Comiczeichnern, die frisch, frech, frei und unbelastet von den linken Dogmen der siebziger Jahre drauflosstrichelten.

Um alle Regeln foutiert

Eine Weile lang belauerten wir uns etwas misstrauisch, aber da flatterte ein Auftrag herein, der wie geschaffen für uns beide war: Die Firma Lego suchte Comics für ihre Kinderbroschüre. Zusammen entwarfen wir ein Geschwisterpaar, das sich dank Lego-Bausteinen aus jeder verzwickten Situation rettet. Ich schrieb die Geschichten, Badoux zeichnete die dreiseitigen Comics, der Auftraggeber war zufrieden. Leider befand sich Lego damals in der Krise und stellte die Kinderbroschüre bald ein, aber ich empfand die Arbeit mit Badoux als besonders angenehm, da er, im Gegensatz zu anderen Zeichnern, beim Ausarbeiten der Geschichte stets mitdachte, eigene Ideen einbrachte und vor allem keine Schere im Kopf mit sich trug. Was für eine Freude, mit ihm zu blödeln, sich von einem Witz zum nächsten zu hangeln, Pointen auf den Tisch zu hauen, gleich wieder zu verwerfen und in eine ganz andere Richtung weiterzudenken.

Er foutierte sich um alle Regeln, um die von uns Älteren stillschweigend übernommenen Vorschriften und Leitlinien im publizistischen Alltag, und er setzte sich mit seinem hellen, exakten Ligne-Claire-Stil bewusst ab von den ZeichnerInnen der frühen achtziger Jahre mit ihren dystopischen Geschichten und apokalyptischen Balladen. Bald kamen Aufträge von Zeitschriften und Magazinen, er illustrierte Schulbücher und Artikel in der WOZ und der NZZ. Cartoons und Comics aus seiner Feder tauchten in «Strapazin», «via» und «Velojournal» auf, zusammen mit dem Kabarettisten Beat Schlatter entwarf er den Krimi «Bupo Schoch» und mit der Neurochirurgin Nadia Khan das Buch «Fatmas fantastische Reise», ein Comicalbum, das den von der Gehirnkrankheit Moyamoya betroffenen Kindern auf unterhaltsame und spannende Weise Krankheitsverlauf und Therapie erklärt, aber auch Trost vermittelt.

2008 erschien «Klee», eine im Auftrag des Zentrums Paul Klee produzierte Künstlerbiografie in Comicform, die grosses Aufsehen hervorrief und vielfach besprochen und gelobt wurde. Die «historische Akkuratesse» wurde hervorgehoben, die «zeichnerische Gelassenheit» und Badoux’ «filmisches Gespür für dramatische Momente».

Ein Ultra wird berühmt

Es folgten viele weitere Comicstorys, Ausstellungen sowie Einladungen nach Indien, Myanmar und Algerien. Schliesslich betrat der heute als Kultfigur gehandelte «Stan the Hooligan» das Stadion, bekannt und beliebt weit über die lokalen Kreise der FCZ-Fans hinaus. Gemeinsam mit Autor Marcel Gamma veröffentlichte Badoux ab 2004 die Strips um den schlecht rasierten Südkurvenultra in Fanzines und später gesammelt als Bücher. Der Erfolg war riesig und hält bis heute an, was auch damit zu tun hat, dass Badoux wenn immer möglich im Letzigrund seinen FCZ anfeuerte, oft sogar zusammen mit seiner Familie (auch wenn sein Sohn, wie Badoux etwas wehmütig erzählte, vor allem wegen der Bratwurst mitkam). Im Spiel gegen Steaua Bukarest von letzter Woche hissten die Fans Transparente mit der Figur «Stan», in einer Sprechblase stand zu lesen: «Ich wird immer i de Kurve stah!»

Seit einiger Zeit war Christophe Badoux auch als Dozent an der Hochschule Luzern tätig, Abteilung Gestaltung und Kunst, wo er sich mit grossem Engagement dem Unterrichten widmete. Uns, die wir ihn und seinen Umgang mit Kindern und Jugendlichen kannten, erstaunte es nicht, dass ihn diese Arbeit ebenso erfüllte wie das Zeichnen weiterer Cartoons, zuletzt des Bands «Krank geschrieben», eine Sammlung von Comics rund um die Welt der Ärzte, erschienen im Lauf der letzten Jahre in der «Schweizerischen Ärztezeitung».

Er war ein zäher Schaffer, der zwar die Arbeiten oft erst in letzter Minute ablieferte, der aber trotzdem für alle ein offenes Ohr hatte und jederzeit half, wenn die Alten oder auch die Jüngeren im Atelier den Scanner erklärt haben wollten oder unschlüssig waren, welche Hintergrundfarbe, welche Art von Perspektive, welche Schrift in den Sprechblasen oder welchen Blaustift sie für ihre Werke verwenden sollten.

Gerade eben ist Badoux noch durchs Atelier gegangen, in seinem gestreiften Sweatshirt, in der Hand die Bierflasche und auf den Lippen wie immer einen ebenso träfen wie saublöden Spruch, der uns alle zum Lachen bringt.

Christoph Schuler ist Redaktor beim Comicmagazin «Strapazin».