Volksmusik: Vier rohe Hörner, ein heiteres Chaos

Nr. 7 –

Ein gemütlicher Abend im Spätsommer im Emmental, im Tösstal oder im Prättigau: Von fern tönt ein Alphorntrio über die Heimat. Vier- oder Fünfklänge, einfache, warme Chormusik in Ganztonschritten. Ich mag die Melancholie dieser Urmusik. Doch neugierige Musiker machten die behäbigen Alphornisten immer wieder unruhig. Leopold Mozart, der Künstlervater, widmete ihnen 1755 schon eine lüpfige «Sinfonia Pastorella», der Unterhaltungsmusiker Pepe Lienhard führte 1977 mit dem urtümlichen Instrument seine «Swiss Lady» in die Hitparade – gespielt hat das mit Schweizerei aufgeladene Instrument seinerzeit der Iraner Mostafa Kafa’i Azimi.

Vor einem guten Dutzend Jahren begann das Hornroh Modern Alphorn Quartet seine Laufbahn. Nun spielen Balthasar Streiff, Michael Büttler, Jennifer Tauder und Lukas Briggen (und der Trommler Pit Gutmann) auf ihrem Doppelalbum «Gletsc» auf. Auf der einen CD das Erwartete: Chörli, Gsätzli, Rufe und Kuhreihen, so wie sie der Senn auf dem Mythen spielt oder die Bänklerin am Feierabend auf dem Hügel vor dem Emmentaler Dorf. Nur virtuoser und ab und zu schräger, denn die vier sind professionelle Bläser. Dazwischen «Marginalien», zeitgenössisch gehaltene Einsprengsel. Hier ahnen wir, was so ein Horn nebst dem Jüzli noch kann.

Auf der zweiten CD wird diese Ahnung zu einer faszinierenden Ohrenreise. Es gurgelt, knarrt, ruft, swingt und echot. In der eigens fürs Alphornquartett komponierten Sechsersuite «Gletsc» werden die Naturtonreihen aus den vier Alphörnern so auf- und ineinandergefügt, dass ein heiteres Chaos an Tönen sich auftut. Weit weg sind wir nun vom Spätsommerabend, wenn die Polizistin nach dem Feierabend auf dem Hügel vor dem Dorf ihr Horn tönen lässt. Verstörende Klänge, swingende Tänzli, schmerzliche Obertonschwingungen, eckige Klangkaskaden und Rufe der Zauberfee aus dem Gletscher.

Hornroh Modern Alphorn Quartet: Gletsc. Musiques suisses