Buch: Klarheit erträumen

Nr. 37 –

Ein Mann und eine Frau. A und P. Die Protagonistin P und der Antagonist beziehungsweise Allerliebste A, die «zueinander passen wie die Faust aufs Auge», wie die Autorin an einer Stelle anmerkt. Sie die kleine Zierliche, er der grosse Stattliche, den sie nur küssen kann, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellt. Er, zu dessen Sprachgebrauch Wörter wie «Cashflow-Maximierung» gehören, sie eine «tapfere kleine Geistesarbeiterin, die von der harten Arbeit ihrer rührigen Synapsen lebt» und die nicht hineinpasst in sein «exklusives Eliteleben» und in sein «Wichtigkeitsnetz».

Und doch sind sie magnetisch voneinander angezogen, leben ihre Lust in einer leidenschaftlichen Affäre. Treffen in Hotelzimmern, heimliche elektronische Briefchen, dann und wann einmal ein Telefonat. Für P ist es die grosse Liebe; was A wirklich fühlt, wird nicht so ganz klar. Mit ironischer Distanz betrachtet sie sich selbst, merkt, wie ihre Hormone verrücktspielen und ihrem gewohnt analytisch-rationalen Denken immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Mit ihrer Affäre knüpfen A und P an eine Beziehung an, die sie ein Vierteljahrhundert zuvor hatten; damals hatte A eines Tages plötzlich P verlassen. Und nun sind sie mit anderen verheiratet, haben Kinder und wollen ihr normales Leben nicht gefährden.

In Tausenden Varianten sind Geschichten wie diese schon literarisch aufbereitet worden, rührselig, tränenreich, triefend vor Kitsch. «Klartraum» ist völlig anders geschrieben, wie es von Olga Flor auch nicht anders zu erwarten war. Die studierte Physikerin präsentiert keine lineare Erzählung, sondern folgt den Gedanken ihrer Protagonistin. Sie erweist sich in jedem Satz als scharfe Beobachterin, die alles hinterfragt und seziert (manche schreiben ihr Kühle und Nüchternheit zu). Mit beissender Ironie greift sie den zeitgeistigen Jargon auf und verortet diese Liebe selbstverständlich in unserer technologisierten und ökonomisierten Welt. Die Kapitel tragen Überschriften wie «Verlust», «Glück», «Lust», «Komik» oder «Möglichkeit». Und übrigens: In einem Klartraum ist sich die Träumende klar, dass sie träumt.

Olga Flor: Klartraum. Verlag Jung und Jung. Salzburg 2017. 282 Seiten. 32 Franken