Im Affekt: Halligalli mit der Tonhalle

Nr. 22 –

Wer ist schon wieder die Nummer  8 der französischen Fussballnationalmannschaft? Der heisst doch nicht Bringuier. Und wer soll dieser Wang sein, der offenbar für Argentinien spielt, mit Rückennummer  6 im weissen Trikot mit den himmelblauen Streifen? Und wieso in Teufels Namen spielt Ravel für Brasilien?

Genau, wir sind bei der aktuellen Plakatkampagne der Zürcher Tonhalle. Und die höchste Währung in der Werbung ist, wie man weiss: Aufmerksamkeit. Die Tonhalle will uns also auf ihr Gratiskonzert am 8.  Juni im Münsterhof aufmerksam machen, und sie tut es mit Motiven einer Veranstaltung, die spätestens dannzumal sowieso überall am meisten Aufmerksamkeit bekommt: der Fussballweltmeisterschaft.

Es gibt einen Namen dafür. Man nennt es Anbiederung, und es wirkt immer in erster Linie: verzweifelt.

Klar gibt es Parallelen. Ein begnadeter Fussballer ist manchmal auch irgendwie ein Künstler, umgekehrt gibt es Klassikstars, die ihren Vortrag etwa so inspiriert gestalten wie ein Hochleistungssportler. Aber wie tief muss das Vertrauen in die eigene künstlerische Strahlkraft gesunken sein, dass ein angesehenes Konzerthaus uns die grossen Namen aus seinem Programm aufs Auge haut, als ob es irgendwelche Fussballprofis wären?

Wobei, das sind doch snobistische Einwände, nur darauf ausgerichtet, die alten Schranken zwischen Hoch- und Subkultur neu zu befestigen. Konservative Spassbremsen! Nehmen wir die Einladung der Klassikszene doch freudig an, wo diese schon mal ihren sprichwörtlichen Dünkel abschütteln will, der ja ohnehin nur ein hartnäckiges Vorurteil ist. Wenn Yuja Wang im Münsterhof unter Lionel Bringuier aufspielt, werden wir also stolz unseren Bringuier-Fanschal tragen. Die Festlaune holen wir uns von der Winterthurer Bierkurve, die Fackeln besorgen wir uns von den Ultras aus der Zürcher Südkurve. Und dann: Ravel und Schlachtengesänge, Pyros und Prokofjew, das volle Programm. Halligalli mit der Tonhalle!

Für unfreiwillig erlittene Bierduschen während Edvard Griegs «Peer-Gynt-Suite» übernehmen wir keine Haftung.