«Schwarze Listen» im Aargau: Politik, die Leben gefährdet

Nr. 35 –

Mehr als zwei Prozent der erwachsenen AargauerInnen stehen gegenwärtig auf der «schwarzen Liste» der «säumigen Prämienzahler» von Krankenkassen. Diese 12 240 Menschen werden nur im Notfall behandelt. Da die im Aargau geltende Notfalldefinition keine konkreten Krankheiten auflistet, haben etwa Menschen mit HIV ihre Medikamente nicht erhalten – und wollten Krankenkassen nicht für die Behandlung von Krebskranken aufkommen.

Neun Kantone hatten seit Einführung eines neuen Artikels im Krankenversicherungsgesetz im Jahr 2006 eine schwarze Liste eingeführt; drei schaffen sie wieder ab. Der Aargauer Regierungsrat jedoch stellt sich gegen eine entsprechende SP-Motion. In der Begründung widerlegt er alle rationalen Argumente für die Liste gleich selbst: Die Zusatzbürokratie sei teurer als die erwartete Einsparung. Und: Die Kostenentwicklung weise darauf hin, dass die Liste niemanden abschrecke. Was bleibt, ist die regierungsrätliche Überzeugung, dass es AargauerInnen gebe, die ihre Prämien nicht zahlen wollten, obwohl sie könnten. Und dass Gemeindebehörden geeignet seien, diese zu disziplinieren. Anders gesagt: Der Aargauer Regierungsrat verachtet den ärmsten Teil der Bevölkerung und setzt auf sozialen Druck im Dorf.

Die Gemeinden können nämlich Meldung erstatten, damit jemand nicht auf der Liste landet. Tun sie das innert Monatsfrist nach der Betreibung durch die Kasse nicht, wirkt automatisch der Ausschlussmechanismus der schwarzen Liste.

Aber warum gibt man SachbearbeiterInnen in den 212 Aargauer Gemeinden solche Macht? Damit alle Seiten die Verantwortung von sich weisen können, falls jemand stirbt? Es ist ein Hochrisikospiel, das Leben gefährdet: Die Gemeinden verantworten die Listen. Die Krankenkassen interpretieren die Notfalldefinition. ÄrztInnen machen es mit ihrem Gewissen aus, ob sie behandeln, selbst wenn die Kosten an ihnen hängen bleiben. Und wer mit der «Diagnose schwarze Liste» leben muss, sucht nur im äussersten Notfall medizinische Hilfe auf. In Graubünden starb 2017 ein HIV-Positiver, weil er seine Medikamente nicht bekommen hatte. Im Aargau ist noch niemand gestorben.